Gärtnerfreud und Gärtnerleid

von Constanze Nauhaus 4. Juli 2016

Längst hat es sich die neue Laubenpieper-Generation in ihren Parzellen gemütlich gemacht. Meist gärtnern Alt und Jung friedlich nebeneinander. Doch die Generationskonflikte sind nicht überall überwunden.

„Ein Gefühl beschlich mich, als würde man mitten in Berlin eine Staatsgrenze überqueren“, schrieb Wladimir Kaminer vor zehn Jahren in seinem Schrebergartenroman*. Und sprach von den Laubenkolonien als einem „Deutschland, in dem statt des Grundgesetzes das Kleingartengesetz galt und die Würde jedes Gärtners von der Größe seiner Früchte abhing.“ Mit dem literarischen Anspruch, Deutschland in all seinen Facetten verstehen und erklären zu wollen, pachtete der Schriftsteller damals eine Laube in einer Kleingartenkolonie. Diesem, wie er es nannte, „letzten Bollwerk des deutschen Spießers.“

Wir befinden uns, nun im Jahr 2016, in ebenjener Kleingartenanlage Bornholm II, wo Kaminer vor zehn Jahren Äpfel und Rhabarber erntete. Sitzt man in Jasmins und Jans wildromantischem Garten, scheinen nicht nur zehn, sondern Lichtjahre zwischen ihren und Kaminers Laubenerfahrungen zu liegen. Jasmin Rietdorf und Jan-Vincent Barentin wirken, als hätten sie hier mit ihren zwei Kindern das Paradies auf Erden gefunden. Bei Kaffee und Kuchen sitzen sie unter dem großen Sonnenschirm, während der vierjährige Johann spielt, die einjährige Josefine schläft und Hund Frida irgendein Getier jagt. Selbstverständlich zwitschern auch die Vögel und eine leichte Brise läßt die Kirschbaumblätter rascheln, während die Sonne gülden.. Kurz, absolute Idylle.

 

Eine Laube? Nie im Leben!

 

„Hättest Du mich vor zehn Jahren gefragt: Nie im Leben hätte ich mir einen Schrebergarten angeschafft!“, sagt Jasmin Rietdorf und lacht ihr herzliches, ansteckendes Lachen. Zu präsent sei die Anlage der Schwiegermutter in Weißensee gewesen, die dem verstaubten Laubenimage alle Ehre mache. „Alle sitzen hinter ihren Hecken und reichen sich mal eine Grillwurst rüber, das war’s.“ Doch mit den Kindern wurde auch der fromme Wunsch nach einem grünen Rückzugsörtchen in Laufnähe geboren. Als Johann kam, ließ sich das an der Grenze zwischen Prenzlauer Berg und Pankow wohnende Paar auf die Warteliste für eine Laube setzen. Und als diese dann wirklich den Weg zu ihnen fand, war Johanns Schwester Josefine keine zwei Wochen alt. „Klar, 3000 Quadratmeter Garten wären auch schön“, lacht Jasmin. Aber da man die zusammenhängend in Berlin so schwer bekommt, freute sich die vierköpfige Familie vor einem Jahr sehr, als die Zusage für einen Garten kam. Übernommen von einer älteren Dame, die nach 40 Jahren Gartenarbeit nicht mehr konnte.

Doch diese alteingesessenen Laubenpieper werden weniger und weniger, viele vererben ihren Pachtvertrag an eigene Kinder. Entsprechend rar machen sich die freien Gärten. Der Run auf die Parzellen jedoch ist riesig. So riesig, dass sich eine Kleingarten-Vermittlungsagentur wie „Laupi“ in der Prenzlauer Allee problemlos über Wasser halten kann. „Unser Alterdurchschnitt hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verjüngt, unsere jüngste Pächterin ist 31 Jahre alt“, berichtet Christiane Unger, Vorstandsmitglied von Bornholm II. Zahlen für den ganzen Bezirk zu nennen sei schwierig, da die Kolonien (hier geht’s zur Infografik) unterschiedlich organisiert sind. Doch nicht zuletzt aufgrund ihrer Lage in Arnimkieznähe mit seinen vielen Familien steht die Anlage Bornholm II exemplarisch für die bezirksweiten Entwicklungen. Mittlerweile befinde sich knapp die Hälfte der 182 Parzellen in der Hand jüngerer Gärtner zwischen 30 und 45 Jahren. Doch die Warteliste ist lang, 40 Anmeldungen gibt es momentan, die ältesten aus dem Jahr 2013. Bei zwei bis fünf freiwerdenden Gärten pro Jahr.

 

Früher war hier eine Schutthalde. Immer wieder findet Johann Scherben und Tonstückchen, die er in seinem „Museum“ sammelt  (Foto: Constanze Nauhaus)

Auch Jasmin und Jan stehen mit ihren 34 und 41 Jahren beispielhaft für diese neue Gärtnergeneration. Wenn sie berichten, wie es in dieser Parzelle vor einem Jahr aussah, kann man nur staunen über diese Augen- und Gaumenweide, die ohne Jasmins Elternzeit sicher anders aussähe. „Das war ein Urwald“, sagt Jasmin. Gut, drei Apfelbäume, eine Sauer- und eine Süßkirsche, dreierlei Johannisbeeren und Brombeeren gab es schon auf der Parzelle. Mit der vierköpfigen Familie kamen Himbeeren, Heidelbeeren, Stachelbeeren, Jostabeeren, Erdbeeren, Walderdberen, Felsenbirnen, Kräuter, Teepflanzen, Bohnen, Erbsen, Möhren, Rote Beete, Salate und Kartoffeln hinzu (geht teilweise auch am Küchenfenster. Im Podcast erfahrt Ihr, wie). Für diesen Dienst an der Umwelt müsste es eigentlich Extra-Elterngeld geben. Die kleine Laube mit den rotgestrichenen Sprossenfenstern scheint direkt einem Astrid-Lindgren-Buch entsprungen zu sein. Girlanden, Sandkasten, Schaukel und Rutsche, bestickte Kissen auf Omas alter Holzbank, eine bunte Kuchenabdeckhaube, Holundersirup mit Sprudel unterm Sonnenschirm. Von Baum zu Schirm gespannte Stoffwimpel mit Punkt- und Streifenmustern aus den einschlägigen Prenzlauer Berger Mama-Näh-Läden machen das Familienparadies perfekt, rücken es in weite Ferne zu den herkömmlichen Gartenzwerg-Parzellen mit Edelstahlgrill und Springbrünnchen.

 

Friede Freude Eierkuchen? Nicht überall.

 

Und das Zusammenleben mit den anderen Gartenfreunden, wie man sich hier nennt? Ein freundliches Neben- bis Miteinander, das trifft es wohl am besten. Man hält Pläuschchen an der Hecke, tauscht über den Zaun hinweg Pflanzen und botanisches Fachwissen aus, revanchiert sich mit Hilfe beim Dachdecken für eine geschmiedete Feuerschale vom Metallbauer-Nachbarn, selbstgeimkerter Honig wird gegen selbstgebackenes Brot getauscht. Lokale Ökonomie at its finest. So sympathisch das Gärtnervölkchen in diesen Erzählungen anmuten mag – laut Wladimir Kaminer steckt in jedem Laubenpieper auch ein Verbrecher. Zwangsläufig verstoße ein jeder von ihnen früher oder später gegen einen Paragraphen im Bundeskleingartengesetz. Dies im Hinterkopf, erwischt sich der Gast auch in Jasmins Garten, der jedes Kleingärtnerherz höher schlagen lässt, bei der Frage: „Darf man das?“ Die Hecke etwa. Jasmin und Jan haben das, ja, Glück, an den Hauptweg zwischen Bornholm I und Bornholm II zu grenzen. Das ermächtigt sie zum Erhalt einer sicher zwei Meter hohen Hecke, die sie bereits so übernommen haben. Denn seien wir ehrlich, auch in der offensten, hippieskesten Kolonie neigt der Mensch, ganz Sklave seiner Gene, zum Höhlenbau. Auf der anderen Seite des Grundstücks ziehen dann und wann körperlose Köpfe vorüber – laut Gartenordnung ist beim Pflanzen von Hecken „die Einsicht in den Garten zu gewährleisten“. Doch auch die strengste Gartenordnung kann das rege Treiben in der Kolonie nicht trüben. Jasmin freut sich an der hiesigen bunten Mischung. „Hier gibt es die Altgärtner aus Ostzeiten, klassische Familien, Medienleute, Künstler.. Klar, wir sind hier keine Insel der Glückseligkeit“, räumt sie ein. „Es gibt hier alles, was es in Berlin im Großen gibt, im Kleinen. Ein Querschnitt der Bevölkerung auf sehr engem Raum eben.“ Natürlich schreit das Kind, bellt der Hund. Und natürlich gibt es wie überall Leute, die sich daran stören.

Davon können andere ein Liedchen singen. Eine Gartenfreundin etwa, die ihren Namen nicht genannt haben möchte, nennen wir sie Johanna. Johanna und ihre Familie pachten seit etwa anderthalb Jahren eine Laube in Bornholm II, doch von einer offenen Willkommenskultur haben sie zumindest in ihrer direkten Nachbarschaft bislang wenig gespürt. „Wir haben einfach Pech mit unserem Standort, wir haben uns quasi direkt in ein Alteingesessenen-Nest gesetzt“, beginnt Johanna zu erzählen. Unfreundliche Zurechtweisungen in Blockwart-Manier, sei es wegen der Kinder oder der ein paar Zentimeter zu weit an Nachbars Zaun lehnenden Fahrräder, seien an der Tagesordnung. Sie räumt ein, anfangs hätten sie sich um die Ruhezeiten wenig geschert, mittlerweile halten sie sich in ihrer Laube an Sonntagen und zwischen 13 und 15 Uhr gar nicht mehr auf. Ihre Vorgänger, auch eine Familie, hätten nach drei Jahren aufgegeben. Und auch eine sympathische ältere Dame aus der Nachbarschaft habe von anfänglichen Animositäten zu berichten gewusst. Wie Platzhirsche führten sich die Nachbarn auf. „Von Mai bis September wohnen sie dort quasi dauerhaft“, erzählt Johanna. „Und verbringen die meiste Zeit damit, ihre Nachbarn zu beobachten. Da würde ich auch komisch werden.“ Anmerkung am Rande: Schon Wladimir Kaminer adelte die Kleingartenparzelle zum „Buddelkasten für Erwachsene, die mit ihrer Freizeit in der Großstadt nichts anfangen können“.

 

Große Versöhnung in Bornholm I

 

Junge, unkonventionelle Familie trifft auf alteingesessene Laubenpieper. In der benachbarten, etwas größeren Kolonie Bornholm I hat man Erfahrungen mit dem Konfliktpotenzial dieses culture clashs. Doch den alten Streit will hier niemand aufgewärmt wissen, in Bornholm I verweist man mittlerweile stolz auf den Friedensschluss. Trotzdem, für unsere Leser: Offiziell ging es um eine öffentliche Gartenparty, veranstaltet von jungen Pächtern, vom Vorstand nicht abgesegnet, es folgten gerichtliche Auseinandersetzungen, wir berichteten. Inoffiziell ging es um scheinbar unvereinbare Weltanschauungen, Kiezöffnung versus Bewahrungsmentalität. Robert Ide versteht beide Seiten. „Klar, die Anlage ändert sich, es kommen mehr Familien, aber Ältere wollen das, was sie aufgebaut haben, nicht in Frage gestellt wissen“. Er, stellvertretender Vorsitzender der Kolonie, ist nicht ganz unschuld an der Versöhnung. Spontan stellte er sich im vergangenen November bei der Wahlversammlung des Vereins als Kandidat zur Wahl, zu einer Zeit, als der Streit so richtig brodelte. Und betonte vor versammelter Mannschaft, weder für die Alteingesessenen, noch für die „revolutionäre Garde“ zu stehen, sondern als Vermittler auftreten zu wollen. Als „alter Ossi“ Anfang 40 ist er prädestiniert für diese Rolle. „Ich sagte damals, wenn wir so weitermachen, entstehen hier in zehn Jahren Luxuswohnungen“, erzählt er bei Kaffee und Salzbrezel am Gartentisch. Keine ganz unberechtigte Sorge, denn die Anlage genießt zwar Bestandsschutz bis 2020, doch das Areal gehört der Stadt und ist potenzielles Bauland. So appellierte er an die Gärtner, man müsse sich wieder vertragen, sich als Verein für den Kiez öffnen, sprach mit allen Seiten. „Es gab bei vielen eine gewisse Ermüdung vom Streit und den Willen, das zu beenden. Doch es brauchte einen Impuls, damit alle aufeinander zugehen.“ Der bot sich dann im Mai dieses Jahres bei der Gartenversammlung. Sowohl der „Anführer“ der jungen Garde als auch der Vereinsvorsitz hielten versöhnliche Reden, räumten Fehler ein, umarmten sich schließlich unter tosendem Applaus.

 

Robert Ide ist stellvertretender Vorsitzender von Bornholm I (Foto: Constanze Nauhaus)

Aber da sich selbst die süßeste Umarmung irgendwann verflüchtigt, mussten den frohen Absichten handfeste, identitätsstiftende Taten folgen. So organisiert man nun zusammen die 120-Jahr-Feier, gemeinsam mit, auch das gehört betont, Bornholm II. Denn über Jahre hinweg redeten die beiden benachbarten Kolonien wenig miteinander. Ohne Streit allerdings, sagt Robert Ide, es entwickelte sich eben so. Beziehungsweise nicht. Nun aber soll am letzten Sommerferienwochenende (3. und 4. September) Zusammenhalt ein bisschen sicher auch demonstriert, vor allem aber gefeiert werden. Das Programm ist vielfältig. Politische Talkrunde mit Bezirkspolitikern über die Zukunft von Kleingartenanlagen, Kinderfeste, Feuerwerk, Blasmusik für die Älteren und DJ Clärchen aus Clärchens Ballhaus für alle, offene Gärten mit Workshops, man hat sich Einiges vorgenommen.

Dass Jan und Jasmin einen sehr viel einfacheren Einstieg hatten als andere, das wissen sie. Es mag einerseits an beider sehr offenem und lebensbejahendem Naturell liegen, nicht zuletzt aber auch an Jans Imkertätigkeit in der Anlage. Seine Bienen stehen zwischen Vereinsheim und Eschengraben, den Honig verkauft er, auch gibt er Imkerkurse. Dadurch hatten sie schon vor der eigenen Parzelle einen guten Draht zu vielen der hiesigen Gartenfreunde. „Das war kein normaler Anfang“, weiß Jasmin. Und blickt sich glücklich in ihrem Garten um. Da drängt sich wieder Kaminer auf, auch er, anfänglicher Vorurteile zum Trotz, ein Gartenfreund: „Wenn ich in meinem Schrebergarten auf der Wiese zwischen Rosen und Ameisen liege, wird mir allmählich klar, dass von der Natur wahrscheinlich genau dieser Platz für mich vorgesehen war.“

 

*Wladimir Kaminer: Mein Leben im Schrebergarten, Goldmann Verlag, München 2007

 

Mehr zum Thema: Im Podcast erzählt uns Maike Majewski vom Netzwerk Transition Town Pankow, warum man an der Schönhauser Allee keine Kräuter auf dem Balkon anpflanzen sollte, wieso der Mauergarten bald abgeräumt wird und wie man eine „Window Farm“ baut. Und in unserer Infografik erfahrt Ihr, wo es im Prenzlauer Berg Kleingärten, Gemeinschaftsgärten und Obstbäume für alle gibt.

 

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