Ideologie im Klassenzimmer

von Juliane Schader 23. Mai 2012

Der Schule in der DDR widmet sich die neue Sonderausstellung des Museums Pankow. Ein Interview mit Autorin Nele Güntheroth über den Schulalltag zwischen Wandzeitung, Wehrkunde und Wende. 

Am Freitag eröffnet im Museum Pankow die neue Sonderausstellung „Die Meldung“ zur Geschichte des Schulalltags in der DDR. Die Autorin Nele Güntheroth, einst selbst Lehrerin für Mathe und Physik in Ost-Berlin, hat dafür die Erinnerungen von Lehrern zusammengetragen. Ihre Erkenntnisse ergänzen in der Ausstellung die historischen Bilder der Fotografen Volker Döring, der zwischen 1984 und 1989 mit seiner Kamera an den Schulen des Prenzlauer Bergs unterwegs war.

 

Wie unterschied sich die Schule in der DDR von der von heute?

Als Staatseinrichtung war die Schule in der DDR der Ideologie der SED verpflichtet. Das hat man vor allem an Unterrichtsfächern wie Staatsbürgerkunde und Wehrkunde gemerkt, aber auch im Heimatkundeunterricht. Zudem waren die Lehrplanziele ganz klar vorgegeben – heute hat man Rahmenpläne. Auch der Schulbetrieb war reglementiert. Schon äußerlich gab es andere Rituale, etwa die Meldung zu Beginn einer Schuldstunde, mit der die Unterrichtsbereitschaft gemeldet wurde und nach der die Ausstellung auch benannt ist.

 

Wo stieß die Ideologie in der DDR-Schule an ihre Grenzen?

Die naturwissenschaftlichen Fächer ideologisch einzufärben war natürlich schwieriger, aber nicht unmöglich. Ich habe in den 80er Jahren selbst an Mathe- und Physiklehrerin gearbeitet und erinnere mich an Mathebücher, in denen schon in der Unterstufe Aufgaben zum Übungsschießen der NVA, also zum Abschuss von Kanonen, zu finden sind. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, solche Aufgaben angewendet zu haben.

 

Die Lehrer hatten da also einen Spielraum?

Genau. Die Inhalte waren da; was davon transportiert wurde, hing zum einen vom Lehrer ab und zum anderen davon, was überhaupt transportiert werden konnte. Es gab zwar einen allgegenwärtigen ideologischen Überbau, der aber so nicht in die schulische Praxis übertragbar war.

 

Können Sie das an einem konkreten Beispiel erläutern?

Zu Anfang des Schuljahres musste man immer den Klassenleiterplan machen, in dem die Erziehungsziele und möglichen Aktivitäten für das Schuljahr festgehalten wurden. An meiner Schule war es üblich, als Präambel die aktuellen Ziele des gerade abgelaufenen Parteitags einzufügen. Da stand dann etwas von den neuen Zielen der sozialistischen Erziehung – das Schulleben selbst hatte aber viele Facetten.

 

Was kann man davon auf den Fotos sehen?

Man sieht die geforderten Attribute wie etwa eine Wandzeitung, auf der „Frieden ist schön“ steht. Solche politischen und ideologischen Dinge waren schon im Klassenraum präsent. Andere Sachen sieht man natürlich nicht. Die Fotos sind eher der Anlass, noch einmal genauer hinzusehen und Fragen zu entwickeln. Mir geht es nicht darum, eine generalisierende Aussage über das DDR-Schulwesen zu treffen, sondern sich selber noch einmal zu vergegenwärtigen, wie die Bedingungen waren und was davon hängen geblieben ist. Oft ist es nicht der ideologische Gehalt, der prägte, sondern wie damit umgegangen wurde, diese Doppelbödigkeit. Das war eine Haltung, die die DDR-Schule transportiert hat, und ich frage mich, wie das heute nachwirkt.

 

Ist den Schülern denn dieser ideologische Rahmen bewusst geworden, und dass der reale Unterricht damit vielleicht gar nicht so viel zu tun hat? 

Ich denke schon. Das hing aber auch vom Umfeld der Schüler ab. Wer offen opponierte, konnte mit negativen Folgen rechnen.

 

Dann kam die Wende. Wie haben die Lehrer diese Zeit erlebt?

Es war schwierig, an diese konkrete Situation überhaupt Erinnerungen bei den Interviewpartnern hervorzurufen. Durch den Druck, schnell etwas Neues zu machen, wurde der Auseinandersetzungsprozess mit dem, was man früher gemacht hatte, gar nicht gelebt. Die Lehrer mussten das neue Schulsystem kennenlernen, das Kurssystem, die anderen Bewertungssysteme. Die DDR-Schule ist zu Ende gegangen, aber die Lehrer konnten sich nicht in Ruhe umstellen und damit auseinandersetzen, was sie gerne hinter sich lassen wollten. Das war ein Wechsel in laufenden Betrieb.

 

Wie kann man sich das konkret vorstellen?

Alles Ideologische wurde schon in der Wendephase zügig abgebaut. Als erstes fiel der Staatsbürgerkunde weg, Wehrkundeunterricht wurde abgeschafft, andere Fächer wurden auf ihren Ideologiegehalt geprüft. Die Mauer war ja offen, da orientierten sich die Lehrer nach Westen, es gab pädagogischen Austausch, einige Lehrbücher aus Westberlin wurden schon genutzt. Für viele Lehrer war es ja auch eine Befreiung und sie haben sich bewusst andere Lehrmittel und Themen gesucht, die vorher nicht möglich waren. Mit den Sommerferien 1991 wurde dann das Schulsystem umgestellt und aus der Zehn-Klassen-Schule wurden Grund-, Gesamt- und Hauptschulen sowie Gymnasien, womit sich dann auch räumlich für Schüler und Lehrer die Strukturen veränderten.

 

Die Lehrer wurden alle einfach übernommen?

Ja die meisten, anders wäre es auch gar nicht möglich gewesen. Allein in Berlin gingen 15.000 Lehrer in das neue System – die konnte man nicht einfach mal eben ersetzen. Das musste ja auch wieder funktionieren.

 

Gibt es auch etwas, was die Lehrer ins neue System mitgenommen haben?

Natürlich. Es war ja nicht alles ideologisch überformt, sondern es ging auch um pädagogische Erfahrungen. Eine Lehrerin erzählte zum Beispiel, dass sie viele Methoden für den naturwissenschaftlichen Unterricht übernommen hat, etwa das Experimentieren, die Gruppenarbeit und wie man Unterricht strukturiert. Zwar haben sich viele äußere Bedingungen geändert. Wichtig ist aber auch, wie der Lehrer als Mensch auf die Schülerpersönlichkeiten regiert.

 

„Die Meldung. Schüler, Punks und Pioniere in der DDR. Fotografien von Volker Döring“, 26. Mai bis 16. September, Di bis So 10 bis 18 Uhr, Museum Pankow, Prenzlauer Allee 227/228, Eintritt frei. 

 

 

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