Namensstreit um den „Turnvater“

von Sarah Schaefer 12. Oktober 2018

Der Bezirk würde den Jahn-Sportpark gerne umbenennen. Dafür sieht der Senat jedoch keinen Anlass. Möglicherweise zeichnet sich ein Kompromiss ab.


Es ist eine Diskussion, die immer wieder aufflammt und der der Berliner Senat wohl ein Ende setzen möchte: Soll der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark weiterhin den Namen eines Mannes tragen, der deutschnationale Ideologien vertrat und in Verdacht steht, Antisemit gewesen zu sein?

Diese Namensgebung sollte zumindest kritisch hinterfragt werden, befand die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Pankow. Sie beschloss Anfang Juni dieses Jahres mehrheitlich, die Senatsverwaltung für Inneres und Sport dazu aufzufordern, die Benennung nach Jahn „kritisch zu überprüfen“. Zur Begründung hieß es: „Die Benennung von Sportstätten nach dem ‚Turnvater‘ und bekennenden Antisemiten Friedrich Ludwig Jahn wird inzwischen allgemein kritisch beurteilt.“

Anlass für den Beschluss sind die geplanten Umbaumaßnahmen. Das Stadion soll in den kommenden Jahren zu einem Inklusionssportpark umgestaltet werden. 2020/21 soll das Große Stadion abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden.

Keine Nachricht an das Bezirksamt

Allein: Für den Senat ist das Thema offenbar vom Tisch. „Der Senat beabsichtigt derzeit nicht, die Sportanlage umzubenennen“, ließ Staatssekretärin Sabine Smentek wissen. Allerdings richtete sie diese Aussage nicht an das Pankower Bezirksamt. Sie geht aus einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage der Abgeordneten Stephan Lenz und Stephan Standfuß (beide CDU) im Berliner Abgeordnetenhaus an die Senatsverwaltung für Inneres und Sport hervor.

Diese Antwort erfolgte im Juli dieses Jahres. Bis heute hat sich die Senatsverwaltung in dieser Sache dem Pankower Bezirksamt gegenüber nicht positioniert, wie Bezirksbürgermeister Sören Benn auf Anfrage mitteilte.

Benn bekräftigte seine kritische Sicht auf Jahn, der ein „mindestens völkisches Gesellschaftsverständnis“ an den Tag gelegt habe. Das Bezirksamt werde sich weiterhin beim Senat dafür einsetzen, im Zuge des Umbaus die Namensgebung zu hinterfragen.

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Turnvater, Revolutionär, Nationalist, Antisemit?

Eingebracht hatte den Antrag zur kritischen Überprüfung des Namens die Pankower Linksfraktion. Deren Vorsitzender Matthias Zarbock zeigte sich „schockiert darüber, dass der Senat den BVV-Beschluss ignoriert“. Der Senat müsse sich fragen, ob es sinnvoll sei, auch im Zuge der Umgestaltung des Sportparks an dieser „zweifelhaften Benennung“ festzuhalten. Es stehe außer Frage, dass Jahn ein Nationalist, Chauvinist und Antisemit gewesen sei. Die häufig angebrachte Erklärung, Jahn sei lediglich ein Kind seiner Zeit, will Zarbock nicht gelten lassen: „Jahn war kein Mitläufer, sondern ein Akteur.“ Er habe sich in einer Gedankenwelt bewegt, die im Widerstreit zu anderen politischen Bewegungen stand. „Schon zu seiner Zeit war Jahn umstritten“, so Zarbock.

Die Senatsverwaltung begründet ihre Entscheidung gegen eine Umbenennung mit Jahns Lebenswerk. „Neben den zu Recht kritisierten Äußerungen muss auch sein Wirken als Begründer der heutigen Vereinsbewegung im Sport betrachtet werden: eine Bewegung für alle Altersklassen, Bevölkerungsschichten, Ethnien und Geschlechter“, schreibt Staatssekretärin Smentek.

Sein Ziel: Wehrfähigkeit durch Turnen

Ähnlich äußerte sich auch Dr. Josef Ulfkotte, Präsident der Friedrich-Ludwig-Jahn-Gesellschaft mit Sitz in Freyburg (Unstrut). „Jahns Idee, dass jeder Staatsbürger, unabhängig von gesellschaftlichen Schranken und finanziellen Möglichkeiten am Turnen teilnehmen konnte, war für die damalige Zeit revolutionär“, sagte Ulfkotte den Prenzlauer Berg Nachrichten.

Jahn habe durchaus eine nationaldeutsche Überzeugung vertreten und er habe sich vereinzelt in Briefen abwertend über Juden und andere Personengruppen geäußert. Zusammenhängende Textpassagen, die auf einen grundsätzlichen Antisemitismus bei Jahn schließen lassen, seien ihm, Ulfkotte, aber nicht bekannt. Der häufig formulierte Vorwurf, Jahn habe das Turnen als Vorbereitung auf den Krieg gesehen, müsse im zeitlichen Kontext gesehen werden: Als das Turnen im Jahr 1811 entstand, sei Deutschland von den Franzosen besetzt gewesen. Jahn habe tatsächlich versucht, über das Turnen einen Weg zu finden, die Deutschen für den Kampf gegen Napoleon wehrfähig zu halten.

Ulfkotte forderte eine Versachlichung der Debatte, die nicht von parteipolitischen Interessen geleitet ist. Er schlug eine Vortragsreihe der Jahn-Gesellschaft in Prenzlauer Berg vor, die sich differenziert mit der historischen Figur Jahn auseinandersetzt.

Ort für Aufklärung über Jahn

Auch die Senatsverwaltung hat offenbar erkannt, dass Aufklärungsarbeit zum „Turnvater“ nicht schaden kann. Es sei denkbar, im Zuge der Umgestaltung „einen Ort zu schaffen, der die Person Friedrich Ludwig Jahns historisch in seiner Gesamtheit einordnet“ und zum Beispiel Platz bietet „für Schulklassen oder Sportvereinsgruppen, um sich mit der Person und dem Wirken Jahns im Kontext der Zeit, in der er gewirkt hat, auseinanderzusetzen“, sagte ein Sprecher der Senatsverwaltung auf Nachfrage. Möglicherweise ein Kompromiss, der beide Seiten zufrieden stellt?

Ein weiterer Wunsch der Pankower BVV und vieler Initiativen und Vereine im Kiez wird ebenfalls noch diskutiert: Dabei geht es darum, im Rahmen der Neugestaltung Orten, Anlagen und Wegen des Sportparks Namen zu geben, die einen Bezug zur Ortsgeschichte haben. In diesem Zusammenhang fällt unter anderem der Name Rudolf Mosse, der einst berühmte Berliner Presseunternehmer und Mäzen. Nach ihm war eine Straße benannt, die dort verlief, wo heute das Stadiongelände ist. Wie der Sprecher der zuständigen Senatsverwaltung sagte, sei die „Meinungsfindung“ in dieser Frage noch nicht abgeschlossen.

Manche Menschen in Prenzlauer Berg lässt diese Diskussion auch völlig kalt. „Bleibt für mich sowieso immer Cantianstadion“, schrieb uns eine Leserin bei Facebook.

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1 Kommentar

15. Oktober 2018 at 16:09

det heißt sowieso ‚Exer‘.. von Exerzierplatz

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