Milieuschutz schwierig

Keine Entwarnung beim Milieuschutz

von Kristina Auer 14. September 2018

Der Milieuschutz in Prenzlauer Berg steht weiter auf wackligen Beinen, weil der Politik wirksame Waffen gegen Verdrängung und Mietsteigerung fehlen. Der gelungene Vorkauf in der Gleimstraße 56 könnte ein glücklicher Einzelfall bleiben.


Die Mieter der Gleimstraße 56 haben es geschafft. Nach zehn Wochen, einer Vereinsgründung, sechs Protestspaziergängen und viel Medienrummel sieht es tatsächlich so aus, als ob der Bezirk sein Vorkaufsrecht erfolgreich ausüben wird. Statt eines Investors soll die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gesobau das Haus für 7,9 Millionen kaufen. Wer nun aber hofft, eine wirksame Gebrauchsanleitung gegen Verdrängung sei endlich gefunden und der Weg frei für den Mieter- und Milieuschutz, wird enttäuscht werden.

 

Schon einmal zu früh gefreut

So weit wie in der Gleimstraße 56 war Pankow beim Vorkaufsrecht schon einmal, nämlich Anfang des Jahres in der Belforter Straße 16. Der Ausgang ist bekannt: Der Kaufinteressent legte Widerspruch gegen den Vorkauf ein, die Argumentation des Bezirksamts hielt vor dem Gesetz nicht stand, der Vorkauf wurde rückabgewickelt und in Nachverhandlungen auf eine Abwendungsvereinbarung mit milden Regeln für den neuen Eigentümer abgeschwächt.

Das gleiche Szenario könnte in der Gleimstraße 56 nun auch drohen. Der Kaufinteressent ist eine milliardenschwere Luxemburgische Immobilienfirma, die mehr nötiges Kleingeld für gute Anwälte hat als der Bezirk. Der müsste dann erneut beweisen, dass das Vorgehen in Sachen Vorkauf rechtlich auf festen Füßen steht – diesmal hoffentlich mit erfolgreichem Ausgang.

 

Mit stumpfen Waffen gegen Giganten

Trotzdem liegt das Problem genau hier: Der Politik fehlen schlichtweg die wirksamen Instrumente gegen Verdrängung, Modernisierungen und Mietsteigerungen. Mit fast resignierten Gesichtern wiederholen Pankows Baustadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) und der Leiter seines Stadtentwicklungsamtes Christoph Speckmann immer wieder diesen Umstand, zuletzt bei einem Pressegespräch am Mittwoch. Das Vorkaufsrecht ist das einzige zur Verfügung stehende Werkzeug, und noch dazu ein schwaches. Einige Beispiele: Je höher der Kaufpreis, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sich der Kauf für ein landeseigenes Wohnungsbauunternehmen lohnt. Ohne Drittkäufer hat der Bezirk aber kein Druckmittel gegenüber den Kaufinteressenten – das zeigt zum Beispiel der Fall der Kopenhagener Straße 78. Außerdem gibt es kaum Spielraum, den Anbau von Wärmedämmungen nicht zu genehmigen, deren Kosten immer noch mit elf Prozent auf die Jahresmiete umgelegt werden können. Auch bei der Umwandlung gibt es ein rechtliches Schlupfloch, das weit häufiger in Anspruch genommen wird als es der Name Ausnahmeregelung erlauben dürfte, berichtet Speckmann.

Noch deutlicher werden die Probleme beim Blick auf die Zahlen: Im Jahr 2018 hat Pankow bisher bei 42 Hausverkäufen das Vorkaufsrecht geprüft, 2017 waren es 31. In nur acht der geprüften Fälle wurde der Bezirk wirklich aktiv und erwirkte sechs Abwendungsvereinbarungen, eine einseitige Erklärung und wendete einmal das Vorkaufsrecht an – eben in der Gleimstraße 56. Wer mitrechnet, bemerkt: In 65 geprüften Fällen passierte gar nichts .

Und das ganze Bild ist noch deutlich schlimmer: Insgesamt werden pro Jahr in Pankower Milieuschutzgebieten schätzungsweise hunderte Häuser verkauft! Sie alle zu prüfen wäre für den Bezirk undenkbar: Nur eine Sachbearbeiterin ist in Pankow für das Erteilen oder Verwehren von Negativattesten zuständig – also den Verzicht oder die Inansrpuchnahme des Vorkaufsrechts. Dazu kommen zwei bis drei weitere MitarbeiterInnen, die  sich um alle Verwaltungsschritte in Sachen Vorkaufsrecht kümmern.

 

Lösungen auf Bundesebene politisch nicht gewollt

Dabei gäbe es Lösungsansätze: Man könnte entscheiden, das Vorkaufsrecht bei Verkäufen in Milieuschutzgebieten grundsätzlich anzuwenden, dann müsste nicht mehr so viel geprüft werden. Oder der Verkehrswert von Häusern könnte anders berechnet werden: Statt nach den spekulativ in Zukunft möglichen Mieteinnahmen basierend auf den tatsächlich erzielten Einnahmen, beispielsweise der letzten fünf Jahre. Dafür bräuchte es allerdings Geld, deutlich mehr Personal und Gesetzesänderungen auf Bundesebene – die dort offenbar politisch nicht gewollt sind. Auch wahr ist allerdings: In Friedrichshain-Kreuzberg ist das Vorkaufsrecht trotz schwacher Gesetzeslage deutlich erfolgreicher angewendet worden – 13 Häuser wechselten dort bisher in den kommunalen Bestand. Möglicherweise könnte eine kämpferische Haltung die stumpfen Zähne des Milieuschutz-Tigers etwas schärfer aussehen lassen.

 

Fazit: Verkettung günstiger Umstände in der Gleimstraße 56

Der geglückte Vorkauf in der Gleimstraße 56 geht auf eine Verkettung günstiger Umstände zurück. Erstens: Die Mieter organisierten sich sehr frühzeitig, leisteten fast professionelle Öffentlichkeitsarbeit, vernetzten sich berlinweit und stellten klare Forderungen. Zweitens verpflichteten sie sich freiwillig zu Mieterhöhungen im Falle eines Vorkaufs. Künftig bezahlen alle, die es sich leisten können einen Euro mehr pro Quadratmeter. Drittens lies sich die Senatsverwaltung aufgrund dieser Vorbedingungen zu einer Zuschusszahlung in untypischer Höhe überreden. Von rund einem Fünftel des Kaufpreises ist die Rede, gängig sind laut Stadtrat Kuhn eher acht bis elf Prozent.

Vieles spricht dafür, dass sich so günstige Bedingungen nicht in vielen weiteren Prenzlauer Berger Häusern finden werden. Ohne ein Umdenken der politischen Entscheider auf Bundesebene und die auch von Experten geforderte Stärkung der politischen Steuerungsinstrumente, wird der Vorkauf in der Gleimstraße 56 nicht nur eine endlich geglückte – zweite – Premiere sein, sondern auch ein seltener Einzelfall bleiben.

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3 Kommentare

André Schlüter 14. September 2018 at 12:20

Mit anderen Worten: Ihr seid dafür, dass ein sanierungsbedürftiges Haus für 7,9 Mio. Euro von einer landeseigenen Firma gekauft wird. Das ist viel Geld für den Zweck, dass es für eine handvoll Mieter so bleibt wie es ist. Auf öffentlichen Grundstücken kann man dafür sicher mehr als 29 Wohnungen bauen und in die Gleimstraße könnten dann die Yuppies ziehen. Die müssen ja auch irgendwo wohnen.

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Kristina Auer 14. September 2018 at 12:36

Hi André,
ich persönlich wäre dafür, dass die Berechnung des Verkehrswerts dahingehend verändert wird, dass sie auf Grundlage der tatsächlichen Mieten und nicht der zukünftig zu erhoffenden Mieten basiert. Das würde die Bodenpreise deckeln und das landeseigene Unternehmen könnte das Haus zu einem deutlich moderateren Preis kaufen. Für die Mieter in der Gleimstraße 56 bleibt eben nicht alles wie es ist, sie haben sich ja freiwillig zu Mieterhöhungen verpflichtet, aber eben in bezahlbarem Rahmen. Wenn die öffentliche Hand im Sinne des Allgemeinwohls wieder mehr Kontrolle über den Wohnungsmarkt haben soll, geht das aus meiner Sicht nicht ausschließlich über Neubau sondern nur durch den Ankauf von Wohnungen – vor allem in Prenzlauer Berg, wo es wenig bebaubare Flächen gibt. Ich kann zu dem Thema das spannende Interview mit dem stellvertretenden Chef des Deutschen Instituts für Urbanistik Prof. Arno Bunzel wärmstens empfehlen: https://www.prenzlauerberg-nachrichten.de/2018/01/12/wie-wir-bodenpolitik-gut-machen/

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André Schlüter 14. September 2018 at 14:22

Hallo Kristina,
nun können wir aber leider nicht über die Marktmechanismen abstimmen und auch ein Verkehrswert richtet sich nicht nach der tatsächlichen, sondern nach der nachhaltig erzielbaren Miete. Das könnten in der Lage auch mal leicht 15 Euro/qm sein. Schon gar nicht möchte ich darüber befinden müssen, ob der Zuzug von jungen, dynamischen Menschen mit überdurchschnittlichen Einkommen oder Vermögen jetzt im Sinne des Gemeinwohls ist oder nicht. Es bleibt ein Dilemma: Wer heute gegen Neubau zum Beispiel an der Michelangelostraße oder am Thälmannpark argumentiert, muss sagen, dass wir hier keine weiteren Neubewohner wollen – oder zusehen wie die Preise steigen. Das Interview ist super. Aber große Teile des Diskurses über den Wohnungspolitik in Berlins lesen sich wie ein Wunsch nach Stadtbleibung – nicht nach Entwiclung.

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