Schlaflos überm Spätkauf

von Kristina Auer 15. Juni 2017

Kühlschrank-Konflikt in der Wörther Straße: Im Erdgeschoss eines Eckhauses brummt die Anlage eines Geschäfts so laut, dass die Mieter nicht mehr schlafen können. Sie verklagen den Eigentümer, die Gewobag.

 

Das ist die Geschichte von Chiapudding, Tiefkühlschränken, Tinnitus und einem Gerichtsverfahren. Es ist die Geschichte von Heidrun Tangerding und Tim Schneider, die eigentlich gar nichts gegeneinander haben und sich trotzdem nicht einig werden. Es ist die Geschichte eines jungen Unternehmers mit einer kreativen Idee und den ungeahnten Folgen für seine Umgebung. Und es ist eine Geschichte, die kaum exemplarischer sein könnte für das, was es bedeutet, heute in Prenzlauer Berg zu leben.

Seit Mitte Januar gibt es den Tiez-Laden in der Wörther Straße 19. Der 24-jährige Gründer Tim Schneider hat sich mit dem Geschäft seinen Traum vom eigenen Laden verwirklicht. Das Konzept: Ein Convenience Store, in dem es alles gibt, was man so braucht – und zwar zu (fast) jeder Tageszeit. Gemünzt auf Prenzlauer Berg im Jahr 2017 bedeutet das: Biowaren, Kaffee, Tabak und Bier – eine Mischung aus Biomarkt, Späti und Café. Sogar selbstgebackenes Brot und Kuchen gibt es, frisches Obst und Gemüse, Salate und natürlich Chiapudding. Von 7 Uhr morgens bis 2 Uhr nachts ist der Tiez-Laden geöffnet. Was ist schon groß gegen so einen Laden einzuwenden, möchte man denken  – außer vielleicht, dass er das Klischee vom Bionade-Biedermeier bedient?

Tim Schneider ist Gründer des Tiez-Ladens in der Wörther Straße 19

 

Tinnitus und Schlaflosigkeit

Für Heidrun Tangerding gibt es da allerdings Einiges einzuwenden. Sie wohnt seit 17 Jahren mit ihren drei Söhnen in der Wohnung im ersten Stock, direkt über dem Geschäft. Früher war dort ein Lampenladen, der habe aber bei der letzten Mieterhöhung aufgegeben. Am 3. Januar gingen unten die Kühlschränke an, erinnert sich Tangerding genau. Seit diesem Tag hat die 50-Jährige nach eigenen Aussagen keine Nacht mehr durchgeschlafen. Die vielen Kühlregale und Tiefkühlschränke machten so viel Lärm, dass sie einen Tinnitus bekommen habe. 35 bis 40 Dezibel habe sie mit einem Messgerät gemessen. Das sind zehn bis 15 Dezibel über dem zulässigen Wert.

Und in der Tat: Wenn man direkt im Laden steht, steigt die Kühl-Geräuschkulisse in die Ohren. Das Probehören im Zimmer von Tangerdings mittlerem Sohn Bruno ergibt: Die Kühlschränke sind deutlich hörbar, ein dumpfes Brummen, begleitet von höheren Rasselgeräuschen. Ein typisches Kühlschrankgeräusch – nur eben nicht von einem, sondern von über zehn großen Gewerbekühlschränken. Das kann schon beim Einschlafen stören. Sie und ihre Söhne sind nicht die einzigen Mieter, die sich von dem Laden gestört fühlen. Bis in den dritten Stock sei das Kühlschrankbrummen zu hören, erzählt Tangerding.

 

Schlafen auf der Therapie-Couch

 

Inzwischen schläft Tangerding so gut wie überhaupt nicht mehr in der Wohnung, sondern übernachtet auf der Couch ihrer eigenen Psychotherapie-Praxis in Weißensee. Die Söhne schlafen mit Kopfhörern und Musik auf den Ohren. „Sogar mein jüngster Sohn hat jetzt einen Tinnitus, obwohl er für den Laden ist“, sagt Tangerding. Auch sie habe eigentlich nichts gegen den Laden und ihren Gründer. „Er hat ja den Laden in der Annahme gemietet, dass er ihn dort auch so betreiben kann“, sagt Tangerding.

Es ginge nicht gegen den Laden, das werde immer gesagt, sagt Tim Schneider. Aber wenn dann ständig die Polizei und das Ordnungsamt gerufen würden, um Vorschriften zu kontrollieren, oder wegen lauten Menschen auf der Straße, die gar nichts mit dem Laden zu tun haben, dann werde es eben doch irgendwie persönlich. All das sei schon so oft vorgekommen. Schneider fühlt sich von den Hausbewohnern schikaniert und hält die Lärmempfindlichkeit der Prenzlauer Berger wiederum für ein Klischee.

Und so sieht der Tiez-Laden von außen aus

 

Gebäude hat keine Lärmdämmung

 

Die Schuld für die Misere liegt für Heidrun Tangerding bei den Hauseigentümern, der landeseigenen Gewobag. Die hätte den Laden nicht an einen Gastronomiebetrieb vermieten dürfen, weil der Altbau keine entsprechende Lärmdämmung hat. „Wir konnten bei unseren Besichtigungen keine Geräusche im Haus feststellen und haben deshalb den Mietern und auch dem Gewerbemieter geraten, durch das Umweltamt eine Messung durchführen zu lassen“, sagte Gewobag-Sprecherin Gabriele Mittag den Prenzlauer Berg Nachrichten. Das Amt kam, lauschte – und maß nur 24 Dezibel. Gerade so im gesetzlichen Rahmen also. Eine amtliche Messung muss allerdings beim betreffenden Gewerbetreibenden angekündigt werden. „Am Tag der Messung waren die Geräusche viel leiser“, ist Tangerding sich sicher.

 

Streit geht vor Gericht

 

Die Anwohnerin hat gegen die Gewobag Klage eingereicht, beim Amtsgericht Mitte ist sie bereits eingegangen, wie Gerichtssprecherin Annette Gabriel bestätigte. „Ich will einfach nur wieder in meiner Wohnung schlafen können“, sagt Tangerding. Die Gewobag selbst sieht sich nicht in der Pflicht. „Wir haben den Gewerbemieter aufgefordert, seine Anlagen zu überprüfen und gegebenenfalls die Schallschutzmaßnahmen an den Wänden zu verstärken und auch die Decke gegen Schallübertragung zu isolieren“, sagte Gewobag-Sprecherin Mittag. Man habe um Antwort bis zum 23. Juni gebeten.

Tiez-Gründer Schneider fühlt sich durch die Lärmmessung rechtlich bestätigt. Er habe bereits alles getan, um den Lärm zu reduzieren. Ein besonders lauter Tiefkühlschrank sei umgebaut und weiter von der Wand entfernt worden. Den Laden jetzt noch auf eigene Kosten zu dämmen, sieht er nicht ein. „Seit das Umweltamt gemessen hat, sind die Beschwerden schon deutlich weniger geworden“, sagt Schneider. Er hofft, dass sich die Situation irgendwann von selbst beruhigt.

 

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10 Kommentare

Dieter 20. Juni 2017 at 3:20

„Tinnitus wird häufig durch Lärmschäden verursacht. Ein akutes Schalltrauma wird durch einen kurzen Knall mit einem Schalldruckpegel über 125 Dezibel verursacht. Das ist unangenehm und ganz schön laut. So laut wie ein Silvesterkracher, der zu nah am Ohr losgeht. Durch den hohen Druck, den die Schallwelle verursacht, bewegt sich die Flüssigkeit in der Hörschnecke im Innenohr rapide. Für die feinen Haarzellen im Innenohr kann das zum Verhängnis werden. Es entsteht ein Schaden mit Hörverlust genau an der Stelle, an der mechanischer Schall in akustischen Reiz umgewandelt wird.

Wird das Gehör nach dem akuten Schalltrauma geschont, kann es sich innerhalb einiger Tage spontan erholen – sehr häufig aber entsteht eine bleibende Schwerhörigkeit. Eine länger andauernde Lärmbelastung über 85 Dezibel kann fast noch tückischer sein. Sie führt zu einem chronischen Lärmschaden mit chronischem Tinnitus. Dies kann passieren, wenn man mehrere Stunden täglich einem hohen Lärmpegel am Arbeitsplatz ausgeliefert ist. “ – leider erkenne ich keinen Zusammenhang mit beiden gemessenen Werten, seien es nun 25 oder 40 db. Diese Lautstärken führen nicht zu Tinnitus, und die einzig logische Erklärung stellt mir hier Stress da.
Ich bin selbst Tinnituspatient und mir ist deshalb durchaus das Leiden bewusst, aber ich finde es nicht in Ordnung falsche Informationen wiederzugeben, ohne die medizinisch Korrekten Informationen ebenfalls aufzuzeigen.

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Klauspeter 3. August 2017 at 8:34

RTL hat das ganze Dilemma weitaus besser recherchiert. Laut Messgerät an der guten Frau schlief diese in ihrer *Horrorwohnung* nach 5 Minuten ein, und erwachte nachts lediglich wenn die Katze ins Bett kam. Sie soll seit Monaten nicht mehr schlafen können, kann es aber wenn ein Fernsehteam bei ihr Ist?
Das ist reinste Schikane, vielleicht sollte sie mal selbst auf die Couch…

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Kristina Auer 20. Juni 2017 at 8:32

Hallo Dieter,
danke für den Hinweis. Ab welcher Lautstärke Tinnitus entstehen kann, kann ich natürlich nicht einschätzen. Dafür hätten wir noch eine Fachperson befragen müssen. Mir war es wichtig, darzustellen, dass die Anwohnerin sagt, sie habe einen Tinnitus wegen des Ladens. Vielleicht hätte man noch klarer darstellen können, dass das nicht nachgewiesen, sondern die Aussage der Mieterin ist. Wenn Tinnitus auch durch Stress ausgelöst werden kann, wäre es aber auch denkbar, dass der Tinnitus sich aufgrund der Schlaflosigkeit entwickelt hat, oder?

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Tristan 20. Juni 2017 at 11:22

Schade, dass der Bericht so einseitig gehalten wurde, Fakten wie die Messung des Umweltamtes werden nicht ernst genommen, aber die Wahrnehmung und eigene Messung der Mieterin wird nicht ansatzweise in Frage gestellt. Dieter hat ja auch schon darauf hingewiesen, dass auch der Tinnitus nicht wirklich logisch zu erklären ist. Aber es war ja wichtig, den Zusammenhang darzustellen zwischen Tinnitus und dem Tiez!. Das nennt man Meinungsmache und sagt vorallem etwas über die Seriösität dieser Seite aus.

Ich freue mich über diesen charmanten Laden, der eben nicht nach Biedermeier-Bioladen wirkt. sondern auch eine Milka im Angebot hat und mal einen Kaffee ausgibt, wenn man im Streß. Die Mitarbeiter tragen keinen Hipster Bart und wirken angenehm normal und bodenständig.
Schön wäre es doch, wenn man mal wirklich schlaflos im Prenzlauer Berg unterwegs sein könnte, stattdessen meckernde Nachbarn, patrouillierende Mitarbeiter des Ordnungsamtes und nicht mal der Magnet Club lädt mehr ein.
Aber vielleicht ist genau das eben exemplarisch für den Prenzlauer Berg: meckern über zu laute Kühlschränke und dann noch eine „Journalistin“ finden, die darüber pekiert schreibt. Herrlich! Dann mal auf zum Wochenmarkt, der aber ebenfalls schon harte Kritik, auf Grund seiner Lautstärke, einstecken musste.

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Kristina Auer 20. Juni 2017 at 14:23

Hallo Tristan,
schön, dass es auch Nachbarn gibt, die sich über den Laden freuen! Trotzdem finde ich nicht, dass der Artikel einseitig ist. Ich habe klargemacht, dass es sich nicht um meine Meinung handelt, sondern um die Position der Anwohnerin. Ich habe die zulässigen Dezibelwerte recherchiert und darauf hingewiesen, dass die bei der amtlichen Messung festgestellten Werte laut Aussagen aller Parteien genau im rechtlichen Rahmen waren. Ich habe mit dem Ladeninhaber gesprochen und seine Position dargestellt. Ich habe bei der Gewobag und beim Kammergericht nachgefragt und die jeweiligen Stellungnahmen einfließen lassen. Das sind doch recht viele Perspektiven auf die Situation. Der Artikel ergreift nicht Position für eine der Parteien. Das Einzige, was auf meine persönliche Wahrnehmung zurückgeht ist, dass ich in der Wohnung die Kühlschränke hören konnte. Meinungsmache kann ich deshalb nicht erkennen.

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Hans 21. Juni 2017 at 23:34

Schämt ihr euch nicht, so einen Bericht in einer Lokalzeitung zu veröffentlichen, die LIEBE ZUM STADTTEIL für sich beansprucht? Was hätten wir für einen Stadtteil, wenn Leuten ein Forum gegeben wird, die aktives und vielfältiges Leben und Treiben im Stadtteil (dazu gehören auch etwas lautere Läden, Kneipen, Feste usw.) derart unterbinden? Anwohner, die – wenn man eurem Bericht glauben kann – Polizei und Ordnungsamt wegen 35 Dezibel rufen? Gebt diesen Leuten nur weiter ein Forum, und Theater, Kneipen, Veranstaltungen werden planmäßig verschwinden. Hoffentlich unterhaltet ihr euch in eurer Redaktion nicht zu laut. Sonst müsstet ihr am Ende noch selbst gehen. Pfui für diesen Beitrag!

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Kristina Auer 22. Juni 2017 at 17:23

Hallo Hans!
Nö, wir schämen uns überhaupt nicht. Es geht in dem Text darum, einen Konflikt darzustellen und nicht darum, zu entscheiden, wer Recht hat. Die Lärmdebatten zwischen Anwohnern und Gewerbetreibenden sind symptomatisch für Prenzlauer Berg. Solchen Debatten wollen wir ein Forum geben. Weil sich solche Konflikte nur lösen lassen, wenn man über sie diskutiert. Was Sie mit Ihrem Kommentar getan haben. Dafür herzlichen Glückwunsch!

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J. 23. Juni 2017 at 11:18

Ich bin entsetzt über die bösen Kommentare, daran sieht man, dass sich Nichtbetroffene überhaupt nicht in die seit Monaten schwelende gesundheitsgefährdende Situation hineinversetzen können…
Es handelt sich nicht um normale „Kneipen oder Restaurantgeräusche“, wie es bisher alle Anwohner aus den 2 (!) betroffenen Häusern gewohnt waren.
Die mindestens 4 leidenden Mietparteien wohnen ALLE seit mehr 15 Jahren in den beiden betroffenen Häusern und sind „eingefleischte Prenzlauer- Berger“ und keine „Zugezogenen“!!!
Die Situation ist tatsächlich fatal für die Betroffenen und sollte nicht von Leuten, die keine Ahnung haben, arrogant abgetan werden!

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Marion 25. Juni 2017 at 11:17

Die negativen Äusserungen zu dem sehr gut recherchierten Artikel führen nicht zur Lösung der nachweislich vorhandenen Situation,sondern dienen eher der Bedürfnisbefriedigung von Menschen,die gern Beschimpfungen loswerden zu Themen,die sie nicht betreffen und die sie sich nicht vorstellen können. Es gibt sehr viele Mitfühlende,die sich von der Situation direkt vor Ort ein Bild machen und hören konnten,worum es geht.
Schuld sind nicht nur die vielen lauten Kühlschränke in dem Laden, sondern weitergedacht auch die billigen Flüge,die immer mehr Touristen auch in unseren Bezirk schleudern und dadurch erst die Eröffnung von immer mehr „Fressbuden“ ermöglicht wird. Die Wohnqualität der langjährigen Bewohner nimmt rapide ab,doch das würde jetzt zu weit führen… Eine Lösung wäre einfach,die Decken zu dämmen. Dann wäre Ruhe!

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Dirk Wischby 3. August 2017 at 12:51

Ich wollte es ja nicht glauben, deswegen war ich jetzt ja mal selbst dort. Ganz ehrlich und bei aller Liebe für Unternehmer und Vermieter (bin selber einer): Das geht einfach nicht, das macht man einfach nicht. Der Laden ist furchtbar laut, es brummen da nicht leise 2 kleine Kühlschränke vor sich hin, wie man sich das so vorstellt in einem kleinen Kiez-Laden, sondern bestimmt 6 oder 7 große Kühlschränke. Der Laden ist ein einziger Kühlschrank. Auch für die Mitarbeiter muss das belastend sein, übertönt wird das nur durch laute Musik.

Abgesehen davon, dass es laut und brummig ist im Laden, und abgesehen davon dass man den „Kühlraum-Style“ mag oder nicht, das bemerkenswerte ist: Die Kühlschränke waren alle halb bzw. 3/4- leer. Mit etwas Geschick könnte man auf 2/3 der Kühlschränke verzichten. Es ist unnötig laut!

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