Die Drei-Prozent-Hürde

von Thomas Trappe 15. Dezember 2014

Für das Neu- und Umbauprojekt an der Belforter Straße muss noch eine Gebäudeteil abgerissen werden, wenige Mieter verhindern das bisher mit Erfolg. Bericht von einer Baustelle mit tiefen Gräben.

Abenteuer Statik. Nein, das hat alles seine Ordnung hier, sagt die Frau, und man ist geneigt, ihr zu glauben, da sie ja schließlich selbst ein weit höheres Interesse daran hat, dass das Haus stehen bleibt als man selbst, weil sie nämlich in dem Haus wohnt. Ihr Mann sei selbst Statiker, sagt sie, und der habe ihr gesagt, dass das vielleicht auf den ersten Blick etwas bedrohlich wirke, aber die Angst unbegründet sei. Jedenfalls: Der mittlere von drei Blöcken auf der Baustelle zwischen Straßburger und Belforter Straße ragt jetzt noch weiter in die Höhe als bisher, weil an drei von vier Seiten, mit nur wenigen Metern Abstand zum Haus, es erheblich in die Tiefe geht. Imposant anzuschauen ist diese Baustelle, auf der voranzugehen scheint, so wie hier gebuddelt wird. Doch ganz reibungslos scheint es dann doch nicht zu laufen, worauf nicht zuletzt der Zustand des Hauses an der Belforter Straße hindeutet – hier steht nämlich noch ein Teil, der eigentlich abgerissen werden soll. Die Mieter, die in diesem Haus wohnen, bringen den Bauherren in Rage, und haben bis jetzt die Gerichte auf ihrer Seite.

Zum Hintergrund: Die Baustelle ist keine gewöhnliche, sondern eine politisch umstrittene (zum Dossier). Vor mehr als vier Jahren kaufte der Investor Rainer Bahr mit seiner Econcept das Grundstück, um dort an die Anlage baulich anzuschließen, die er auf dem Nachbargrundstück mit dem „Kolle Belle“ bereits steht. Bahr stieß sofort auf großen Widerstand der Bezirkspolitik und vor allem des damals zuständigen Stadtrats Michail Nelken (Linke), der mittels einer Erhaltungsverordnung zu verhindern suchte, dass hier irgendetwas gebaut wird. Begründung: Das Ensemble aus den 60ern sei städtebaulich erhaltenswert. Ein folgenreicher Beschluss, den der Bezirk später kassieren musste, um Schadenersatzansprüchen des Investors zu entgehen. In einem mit dem Bezirk geschlossenen Vergleich wurde Bahr zugestanden, dass er die drei Häuser mit einer Blockrandbebauung schließen darf, und dazu Teile der Bestandsbauten abreißen darf. Zum Teil ist das schon geschehen – allerdings nicht in der Belforter Straße 8. Hier weigern sich Mieter, das Haus zu verlassen. Und es scheint offen, wie der Kampf ausgehen wird.

 

Investor verweist auf 97 Prozent Zustimmung

 

In der jüngsten Bezirksverordnetenversammlung gab Jens-Holger Kirchner (Grüne), Stadtrat für Stadtentwicklung, Auskunft zum aktuellen Stand der Baumaßnahmen. Es gebe, so Kirchner, keinen Antrag auf eine Abrissgenehmigung für den Gebäudeteil in der Belforter Straße 8. „So ein Antrag kann auch gar nicht gestellt werden, weil dort noch Mieter wohnen“, erklärte Kirchner. Er wisse von mindestens zwei Mietparteien, die in dem laut Planungen zum Abriss vorgesehenen Gebäudeteil wohnen und gegen die Kündigung ihres Mietvertrags geklagt haben. „Mit einem für die Mieter befriedigenden Ergebnis.“ Wie der aktuelle Stand der Verhandlungen sei, wisse er nicht.

Gegenstand des Vergleichs zwischen Investor Bahr und dem Bezirksamt waren neben anderen Sozialregelungen für Bestandsmieter, dass Bewohner der Abrisswohnungen gleichwertigen Ersatz zum gleichen Preis bekommen. In einer ausführlichen Stellungnahme erklärt Rainer Bahr jetzt auf Anfrage, dass „drei Mietparteien zu überhaupt keinem Kompromiss bereit“ seien und versuchten, „viel Aufmerksamkeit zu erregen und den Eindruck zu vermitteln, es findet ein Kampf zwischen den gesamten Mietern und uns als Vermieter statt“. Das Gegenteil sei der Fall, so Bahr: „Bei unserem Bauprojekt ist uns ein Kompromiss gelungen, der von 97 Prozent der Mieter mitgetragen wird“. Sprich, der schnelle Abschluss der Bauarbeiten scheitere an den restlichen drei Prozent. Er hoffe nun auf eine schnelle Einigung. „Unser Ziel ist es, die Bauarbeiten möglichst schnell zügig zu beenden, um die Gärten schön anlegen zu können und die Wohnungen fertigzustellen. Das ist zum Vorteil sowohl der Bestandsmieter als auch der neuen zukünftigen Bewohner.“ 

 

Schröder verweist auf neue Erhaltungsverordnung

 

Gar nicht gut zu sprechen ist Bahr daher auf Roland Schröder (SPD), den Vorsitzenden des Stadtentwicklungsausschusses in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Schröder stellte in der jüngsten BVV-Sitzung eine mündliche Anfrage, auf die Kirchner wie oben zitiert antwortete, und danach noch zwei schriftliche Anfragen, auf deren Beantwortung durch Kirchner noch gewartet wird. Schröder sieht gleich an mehreren Stellen von Bahrs Baustelle Redebedarf und schließt im Gespräch auch nicht aus, dass Vereinbarungen des Vergleichs zwischen Bezirksamt und Investor Bahr in Teilen zurückgedreht werden könnten. Bahr fürchtet daher, dass Schröder „parteipolitische Interessen“ verfolge, „um ein Feindbild zur Immobilienbranche aufzubauen“. 

Schröders erste Anfrage beschäftigt sich mit der Belforter Straße 8, also jenem Haus, von dem ein Teil abgerissen werden soll. Zwar wurde mit dem Vergleich seinerzeit die Erhaltungsverordnung aufgehoben – jene, die die Wohnblöcke aufgrund ihrer baulichen Eigenart erhalten soll. Schröder allerdings verweist auf eine andere, nämlich die soziale Erhaltungsverordnung für den Kollwitzkiez, zu dem das Gelände an der Straßburger Straße gehört. Diese Verordnung gilt seit Mitte dieses Jahres und besagt, dass Rückbauten an Gebäuden nur genehmigt werden sollen, wenn die Struktur der Wohnbevölkerung dabei erhalten bleibt. Konkret geht es dabei darum, dass an gleicher Stelle Menschen gleicher Einkommensschicht weiterhin eine Wohnung finden können. Die Erhaltungsverordnung lässt in aller Regel viel Ermessensspielraum und auch Schröder weiß nicht, ob sie das Bauvorhaben tangieren könnte. „Ich will es nur eindeutig beantwortet wissen“, sagt er. Für ihn sei keineswegs selbstverständlich, dass es einen Bestandsschutz für den im Vergleich genehmigten Abriss gebe, wenn sich die rechtlichen Rahmenbedingungen geändert haben. Gegebenenfalls müsste der Aufgang also stehen bleiben, so Schröder. 

 

Bedenken wegen der Notfallwege

 

Außerdem ist Schröder der mittlere der drei Wohnblöcke ein paar Fragen wert. Es ist jener, dem von beiden Längsseiten und von der Straßburger Straße her das Erdreich abgegraben wird, um hier die Blockrandbebauung und Tiefgaragen zu bauen. Erreicht werden kann der Block deswegen nur noch über die Belforter Straße und einen zirka zwei Meter breiten Weg, großteils durch einen Tunnel. Schröder möchte in der zweiten schriftlichen Anfrage an das Bezirksamt wissen, ob damit noch gesichert ist, dass Rettungskräfte im Notfall das Haus erreichen „und im Brand- oder einem sonstigen Gefahrenfall ohne Zeitverzögerung helfen zu können?“ Schröder hat dabei vor allem im Blick, dass es sich bei den Bewohnern des Wohnkomplexes bekanntermaßen eher um ältere handelt, denen es teilweise an eigener Mobilität mangelt. „Ich kann mir nicht gut vorstellen, dass dieser Weg  ausreicht, um eine schnelle Notfallversorgung zu gewährleisten“, sagt Schröder. Eine redaktionelle Anfrage bei der Feuerwehr blieb bisher unbeantwortet.

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