Vereinssport in Not

von Kristina Auer 26. Januar 2016

Die Sportvereine in Prenzlauer Berg haben es schwer: Sie wollen sich für Geflüchtete engagieren, gleichzeitig gefährden aber die Notunterkünfte ihre Existenz.

„Die Hallenschließungen bringen uns an den Rande unserer finanziellen und personellen Ressourcen“, so beschreibt der Verein Pfeffersport seine derzeitige Situation. Pankow ist der Bezirk in Berlin mit den meisten Notunterkünften in Turnhallen, acht sind es insgesamt. Das trifft neben dem Schulsport die Vereine besonders hart. Vor einigen Wochen wandte sich der Verein Pfeffersport, einer der größten in Prenzlauer Berg, in einem offenen Brief an seine Mitglieder.

Alternative Trainingsorte müssen gefunden und angemietet und Sportgeräte transportiert werden, schreibt Pfeffersport darin. Die Hallenschließungen beträfen über ein Drittel aller Vereinssportler: Sie müssten Terminänderungen und weitere Wege zum Training in Kauf nehmen. „Auch die Personalkosten steigen, weil alle unsere Angestellten momentan 30 Prozent mehr arbeiten“, sagt Geschäftsführer Jörg Zwirn.

Ein weiterer Punkt: Der Verein rechnet damit, in den kommenden Monaten zehn Prozent seiner Mitglieder zu verlieren, das wären fast 400 Menschen. „Wenn ein Training plötzlich am Samstagmorgen stattfindet statt wie früher am Dienstagabend, können natürlich nicht alle den neuen Termin wahrnehmen“, sagt Zwirn. Pfeffersport rechnet mit 50 000 Euro Mehrausgaben, verursacht durch die Hallenschließungen.

 

Alle Rollstuhlsportler sind betroffen

 

Mehrere Rollstuhlsportgruppen mit insgesamt über 80 Sportlern trainieren bei Pfeffersport. Für sie sind die Hallenschließungen besonders schlimm. Denn für den Rollstuhlsport müssen die Hallen mit Lagerräumen für die Sportrollstühle ausgestattet sein. Durch die Schließungen befänden sich diese jetzt quer durch die Stadt verteilt, beispielsweise in Transportern, Containern und Räumen in der Max-Schmeling-Halle. „Für jedes Training müssen die Rollstühle durch die Gegend gekarrt werden. Das ist ein enormer Aufwand“, sagt Zwirn.

Was den Geschäftsführer besonders ärgert: Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) verstoße gegen ein Papier mit Kriterien für die Nutzung von Turnhallen als Notunterkünften, das die Senatsverwaltung erarbeitet hat. Dort heiße es explizit, dass von der Beschlagnahmung von Turnhallen abgesehen werden solle, die für den Behindertensport geeignet sind, meint Zwirn. „Das Lageso spricht aber nicht mit dem Bezirksamt, deshalb weiß es auch nicht, welche Hallen es eigentlich beschlagnahmt.“

Neben seiner Integrationsarbeit für Menschen mit Behinderung engagiert sich Pfeffersport schon seit 2013 auch für Geflüchtete. Im Projekt „Bunt wie wir“ machen rund 100 geflüchtete Kinder kostenlos zusammen mit deutschen Sport. Die Kritik an den Hallenschließungen ist keine Kritik an der Notunterbringung von Geflüchteten. Stattdessen müssten alternative Unterbringungsmöglichkeiten wie leerstehende Gewerbegebäude genutzt werden, so Zwirn. Immer wieder betont der Verein seine Willkommenskultur und die Tatsache, dass Integration gerade über die Sportvereine stattfinde.

 

Gerade noch so im grünen Bereich

 

Nicht nur Pfeffersport ist betroffen, auch die SG Rotation hat mit den Hallenschließungen zu kämpfen. Allerdings ist deren Lage nicht ganz so dramatisch: „Wir haben jetzt die Grenze erreicht, wo alles gerade noch so im grünen Bereich ist“, sagt Präsident Dieter Mraseck. Seitdem die Halle an der Woelckpromenade zur Notunterkunft wurde, müssen die Sportler für Turniere und Turnveranstaltungen nach Buch fahren, nur dort gibt es noch eine geeignete Halle mit Tribüne. Die Trainingsgruppen seien auf andere Hallen umverteilt worden, so Mraseck. Das bedeutet längere Wege für Sportler und Eltern.

Einige Gruppen der Abteilung Basketball müssen bis nach Charlottenburg fahren. Es fallen auch Trainingsstunden aus: Die Mädchen A und B im Volleyball trainieren nur noch an einem statt wie bisher an zwei Tagen pro Woche. Die Stimmung bei den Eltern sei daher etwas angespannt: „Natürlich freut es keinen, wenn er seine Kinder durch die ganze Stadt zum Training bringen muss oder nur noch einmal pro Woche trainiert wird, obwohl der Mitgliedsbeitrag gleich bleibt“, sagt Mraseck.

Aber auch bei der SG Rotation richtet sich der Ärger nicht gegen die Geflüchteten, sondern gegen die Politik. Der Verein positioniert sich ausdrücklich für die Willkommenskultur und macht Integrationsarbeit: Die Handballerinnen organisieren jeden Sonntagmorgen eine Kindersportgruppe mit deutschen und geflüchteten Kindern in der Bötzowgrundschule. Ebenso hätten die Basket- und Fußballer bereits Trainings mit den Kindern der Notunterkunft in der Wichertstraße veranstaltet, so Vereinspräsident Mraseck.

Wegen der knappen Trainingsorte hat die Abteilung Hockey seit Winteranfang einen kurzzeitigen Aufnahmestopp für neue Mitglieder veranlasst. Bei den Abteilungen Fußball und Volleyball gebe es einen generellen Aufnahmestopp, so Mraseck. Schon vor der Einrichtung der Notunterkünfte seien die Kapazitäten zu gering gewesen. Der Mangel an Trainingsorten habe sich durch die Schließungen noch verschärft. Hohe Kosten seien aber bisher laut Mraseck für die SG Rotation nicht entstanden. Da Sportgeräte aus den Hallen geräumt werden mussten, sei es zu geringen Transportkosten gekommen. Die Räumung hätten die Sportler in Eigeninitiative organisiert.

 

Keine weiteren Sporthallen, dafür Entschädigungszahlungen

 

Die Berliner Politiker nehmen sich jetzt der Problematik der Sportvereine an. Bezirksstadträtin für Schule und Sport Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) ist sich der Notsituation der Vereine bewusst: „Den Vereinen geht es schlecht. Wir haben kaum noch Möglichkeiten, sie anderweitig zu versorgen. Die Hallen waren ja vorher schon alle sehr voll.“

Nach der Klausursitzung des Senats am vergangenen Mittwoch gab Innensenator Frank Henkel (CDU) am Donnerstag bekannt, dass keine weiteren Sporthallen mehr für die Notunterbringung von Geflüchteten beschlagnahmt werden sollen. Auch was die finanzielle Bewältigung der Lage angeht, gibt es Neuigkeiten auf politischer Ebene: Schulen, bei denen wegen der belegten Hallen Sportunterricht ausfallen muss, sagte der Senat schon Anfang Januar bis zu 2000 Euro monatlich für Ersatzuntericht zu. Jetzt bekommen auch die Berliner Sportvereine eine Entschädigung: Insgesamt eine Million Euro aus einem Sonderfonds soll ihnen zukommen.

 

Entspannung der Notlage in Sicht

 

Das sind gute Nachrichten, auch wenn noch unklar ist, wie schnell das Geld bei den Vereinen ankommen wird. Pfeffersport-Geschäftsführer Zwirn ist zuversichtlich: „Wir rechnen fest mit einer Entschädigung für die zusätzlichen Kosten. Bisher hat der Verein alles vorgeschossen.“ Die Hoffnung, dass tatsächlich keine weiteren Hallen als Notunterkünfte beschlagnahmt werden, verbindet sowohl die Vereine als auch das Bezirksamt.

Fraglich bleibt, wann die Sportvereine die geschlossenen Hallen wieder benutzen können. Die Notunterbringung von Geflüchteten ist laut Lageso für sechs Monate geplant. Dass dieser Zeitraum eingehalten wird, bezweifeln die Vereinsvorstände. Doch selbst dann stünden die Hallen nicht sofort wieder für die Nutzung durch die Vereine zur Verfügung, sagt Zwirn: „Wir müssen damit rechnen, dass die Hallen nach der Nutzung als Notunterkünfte grundlegend saniert werden müssen. Die Instandsetzung kann locker ein weiteres halbes Jahr dauern.“

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