Schulplatz-Poker

von Susanne Grautmann 9. Februar 2016

Russisches Roulette, irrsinnig, würdelos: So beschreiben Eltern das Anmeldeverfahren für die Oberschulen in Pankow. In unserer Umfrage zur Schulsituation war der „Übergang“ ein großer Aufreger.


 

Darum geht’s: 

* Viele Gymnasien und Sekundarschulen haben deutlich mehr Bewerber als Plätze

* Für einen sicheren Platz brauchen Kinder einen extrem guten Notendurchschnitt

* Die Auswahl der Schulen wird zu einer strategischen Meisterleistung

* Wir haben uns in vier aktuellen Beiträgen mit der Lage der Schulen beschäftigt

 

 

Für den Wechsel an eine weiterführende Schule kann jedes Kind drei Wunschschulen angeben. Zumindest theoretisch. Viele Eltern halten die Sache mit den Wunschschulen nämlich für eine Farce. Da es nicht genügend Gymnasien und Integrierte Sekundarschulen (ISS) mit Oberstufe im Bezirk gebe, seien so gut wie alle „übernachgefragt“. So heißt das im Behördendeutsch. Will sagen: Längst nicht alle Schüler, die sich dort anmelden, bekommen einen Platz.

Zu Beginn dieses Schuljahres konnten an den drei Pankower Gymnasien mit den meisten Anmeldungen, Rosa-Luxemburg-Gymnasium, Carl-von-Ossietzky-Gymnasium und Käthe-Kollwitz-Oberschule, insgesamt rund 120 Schüler nicht angenommen worden.

 

Nur Überflieger haben einen Platz sicher 

 

Die begehrten Schulen wählen ihre Schüler größtenteils über die Durchschnittsnote der Grundschulzeugnisse aus. An einigen Gymnasien hätten inzwischen nur noch Kinder mit einem Schnitt bis 1.5 einen Platz sicher, berichten Eltern. Wer es über den Notendurchschnitt nicht schafft, hat nur über das Losverfahren eine Chance. 30 Prozent der Plätze werden auf diesem Weg vergeben.

„Damit haben viele Kinder, die eigentlich für das Gymnasium geeignet wären, kaum noch eine Chance, angenommen zu werden“, meint Meike W. aus dem Gleimkiez, die zwei Kinder hat. Laut Senatsbildungsverwaltung ist für Grundschüler bis zu einem Durchschnitt von 2.2 eine Gymnasialempfehlung vorgesehen.

 

Eltern versuchen sich als Hellseher

 

Und damit beginnt das Pokern um die Schulplätze. „Wenn ein Kind nicht zur absoluten Spitze einer Klasse gehört, kann man nicht einfach sein favorisiertes Gymnasium auf den ersten Listenplatz setzen, weil man davon ausgehen muss, dass es dort keinen Platz bekommt“, sagt Laura B.  Sie hat zwei Kinder und wohnt am Teutoburger Platz.

Stattdessen müsse man strategisch vorgehen und zu erahnen versuchen, welches Gymnasium eventuell im nächsten Jahr nicht zu den übernachgefragten gehören könnte und trotzdem noch in Ordnung wäre – und sein Kind dann dort anmelden.

 

Bis 2025 müssen fünf zusätzliche Gymnasien her 

 

Laut Schulstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) ist Pankow mit der Gesamtzahl seiner Gymnasialplätze in diesem Jahr gerade noch hingekommen. Ein Gymnasium im Bezirk hatte sogar deutlich mehr freie Plätze als Anmeldungen. Es liegt allerdings in Karow.

„Aber es ist eng“, sagt auch die Schulstadträtin, und „wir wachsen jedes Jahr schneller.“ Laut den Berechnungen des Schulamts braucht der Bezirk bis 2025 fünf dreizügige Gymnasien zusätzlich. Das entspricht einem Bedarf von über 2.800 weiteren Gymnasialschulplätzen.

In diesem Jahr soll nach Abschluss der Sanierungsarbeiten ein neues Gymnasium am Standort des ehemaligen Coubertin-Gymnasiums an der Conrad-Blenkle-Straße eröffnen. Zunächst soll es mit drei Zügen an den Start gehen, später kann es bis auf fünf Züge erweitert werden. An der Pasteurstraße wird gerade ebenfalls saniert. Laut Planung soll dort ab 2018 ein weiteres dreizügiges Gymnasium eröffnen.

 

Wer seine Wunschschule nicht bekommt, hat verloren

 

Trotzdem wird es an den Gymnasien in Prenzlauer Berg, Weißensee und in der Ortsmitte von Pankow auch in den nächsten Jahren eng bleiben. Wird ein Kind an keiner seiner drei Wunschschulen angenommen, schlägt das Schulamt einen Platz an einer anderen Schule vor. Die kann am Rand von Pankow, aber auch in einem anderen Bezirk liegen.

Laura B. sieht das so: „Wenn man seine Erstwunsch-Schule nicht bekommt, hat man verloren“. Der Zweit- und Drittwunsch der Kinder kämen nämlich sowieso nicht zum Tragen. Weil so viele Schulen nicht mal alle Erstwunsch-Bewerber annehmen könnten, würden sie zu den Bewerbern mit Zweit- oder Drittwunsch gar nicht erst vordringen.

 

Schon in der fünften Klasse ans Gymnasium 

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Auch Esther B. meint: „Zweit- und Drittwunsch kann man vergessen.“ Sie hat ihren Sohn schon nach der 4. Klasse am Gymnasium angemeldet. „Damit er nicht in dieses Russische Roulette reinkommt“, wie sie sagt.

Dabei ist ihr Sohn ein guter Schüler. Die Familie wohnt in der gleichen Straße, in der das Carl-von-Ossietzky-Gymnasium liegt. Eine tolle Schule, findet Esther B. – aber übernachgefragt. Das Risiko, dass ihr Sohn dort in der siebten Klasse keinen Platz bekommen und dann an irgendeiner Schule landen würde, war ihr zu groß. Und so fährt ihr Sohn jetzt jeden Tag 30 Minuten mit dem Bus nach Weißensee, weil das Gymnasium dort die Kinder schon in der fünften Klasse aufnimmt.

 

An den Sekundarschulen ist es nicht besser 

 

Die Problematik betrifft auch die Integrierten Sekundarschule (ISS). Jedenfalls die, an denen man sein Abitur ablegen kann. Davon gibt es nur zwei in ganz Pankow – und beide sind „übernachgefragt“.

Im Schuljahr 2015/2016 haben insgesamt fast 150 Schüler, die eine dieser Schulen als Erstwunsch angegeben hatten, dort keinen Platz bekommen. An der Kurt-Schwitters-Schule in Prenzlauer Berg  war nur Kindern mit einem Schnitt bis 1.9 ein Platz sicher. Nicht mal an allen Gymnasien im Bezirk brauchten die Kinder einen so guten Notendurchschnitt.

 

Die Kinder stehen unter Leistungsdruck

 

Dabei sollten die Sekundarschulen eigentlich mal eine Alternative für nicht ganz so leistungsstarke Kinder darstellen. Doch in der momentanen Situation stehen auch sie spätestens ab der fünften Klasse unter Leistungsdruck, weil es beim Notendurchschnitt auf jede Stelle hinter dem Komma ankommt.

Und so gehen die Familien auch bei den Anmeldungen an den Sekundarschulen strategisch vor. Juliane S. erzählt, dass sie ihre Tochter jetzt an einer ISS ohne Oberstufe anmeldet, obwohl die Kurt-Schwitters-Schule, die die Kinder bis zum Abitur führt, eigentlich der Wunschkandidat der Familie wäre. Das Risiko, dort keinen Platz zu bekommen, ist der Familie aber zu groß. Wie es für ihre Tochter nach der zehnten Klasse weitergehen wird, steht dafür erst mal in den Sternen.

Schulstadträtin Zürn-Kasztantowicz ist mit Blick auf die Sekundarschulen entspannt, wie sie sagt. Bis 2017 würden durch Erweiterungen bestehender ISS fünf Züge hinzukommen, 2018 vier weitere. Die zusätzlichen Kapazitäten entstehen allerdings an Sekundarschulen ohne eigene Oberstufe.

 

Mit Ringbahn, U-Bahn, Bus und Fähre in die Schule

 

Bei den weiterführenden Schulen ist der Bezirk nicht so stark unter Druck wie bei den Grundschulen, weil sie nicht wohnortnah sein müssen. Die Senatsbildungsverwaltung stellt dazu lapidar fest: „Die Schulplätze werden berlinweit angeboten und nachgefragt. Aktuell sind (noch) ausreichende Platzkapazitäten in den weiterführenden Schulen vorhanden.“

Wie praktikabel es allerdings ist, für die Wahl einer weiterführenden Schule ganz Berlin in den Blick zu nehmen, sei mal dahingestellt. Meike W. und ihre dreizehnjährige Tochter haben sich dafür entschieden. Die Tochter besucht seit eineinhalb Jahren die Schule auf der Insel Scharfenberg in Reinickendorf. Seitdem pendelt sie jeden Tag mit einer Kombination aus Ringbahn, U-Bahn, Bus und Fähre zur Schule. Eine Stunde am Morgen, eine Stunde am Nachmittag. Der Schultag dazwischen ist wahrscheinlich die reinste Erholung.

 

 

Weitere Texte zu unserem aktuellen Schwerpunkt „Schule“: 

 

Baustelle Schulpolitik: Pankow braucht in den nächsten Jahren Schulen ohne Ende. Es fehlt an Grundschulen, Sekundarschulen und Gymnasien. Der Bezirk wächst seit Jahren, doch der Schulbau hinkt hinterher.

Was nun, Herr Maaz? Wir haben Prof. Dr. Kai Maaz vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung gefragt, wie er die momentane und die zukünftige Schulsituation in Pankow einschätzt.

School-Leaks: „Ich könnte mich tagelang ereifern.“ Das schreibt ein Teilnehmer unserer Umfrage zur Lage an den Schulen – und spricht damit wohl vielen von Euch aus dem Herzen. Wo der Schuh drückt, lest Ihr hier.

 

 

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