Wer bezahlt die bezahlbare Stadt?

von Juliane Schader 15. Juni 2015

Alle wollen die durchmischte Stadt, doch die gibt es nicht umsonst. Was ist die Lösung? Arme an den Stadtrand? Staatliche Förderung für alle? Noch mehr Neubau? Drei Experten haben drei Meinungen.

Man kann ein Symposium abhalten, in dessen Titel das Wort „Durchmischung“ vorkommt, und dort Frauen ausschließlich erlauben, das Mikrophon zu halten und den männlichen Referenten frisches Wasser zu reichen.

Man kann als Mitarbeiter eines großen Immobilienportals zu einer solchen Veranstaltung Socken mit Murmeltiermotiv tragen und diese stolz der Sitznachbarin präsentieren.

Und man kann die Nachberichterstattung darüber mit eher nichtigen Nebenaspekten beginnen, wie Sie hier sehen. Schließlich leben wir in einer freien Gesellschaft, wo jeder machen kann, was er will. Oder zumindest, was er sich leisten kann, um langsam mal den Bogen zu schlagen zu dem Thema, um das es hier eigentlich gehen soll: Steigende Mieten, die zu Verdrängung führen, und der Frage, ob man dem nicht besser Einhalt gebieten sollte? Die stellt sich in Prenzlauer Berg ja seit Jahren täglich.

„Wie viel soziale Durchmischung braucht die Stadt?“ So war die Podiumsdiskussion überschrieben, zu der am Freitag das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) im Rahmen des Symposiums „Bezahlbares Wohnen und soziale Durchmischung: Herausforderungen für die Wohnungspolitik“ nach Mitte geladen hatte.

Das Institut wird von Verbänden und Unternehmen der Privatwirtschaft finanziert und gilt daher als arbeitgebernah. Deren Sichtweise zu erläutern war Aufgabe des IW-Immobilienexperten Michael Voigtländer. Als Gegenpol hatte man den Gentrifizierungs-Kritiker und HU-Soziologen Andrej Holm eingeladen. Und dann war da noch Jochen Lang von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, um praktische Beispiele aus Berlin beizusteuern.

Das Genre der Podiumsdiskussiosnacherzählung rangiert in Sachen Unterhaltsamkeit meist direkt hinter Reportagen von Bingo-Nachmittagen und der Betriebsanleitung für einen Staubsauger. Versuchen wir doch stattdessen, die verschiedenen Positionen der drei Herren herauszuarbeiten.

 

„Mischung ist gut und schön. Aber was kostet das?“

Michael Voigtländer, Institut der deutschen Wirtschaft

Für Michael Voigtländer ist die rasante Steigerung der Mieten im Berliner Zentrum eigentlich nur eine Normalisierung der Situation nach dem Fall der Mauer. „Die spannende Frage ist: Müssen wir da eingreifen?“

Aus Sicht des VWL-Professors ist ein Grund der Intervention nicht die Verdrängung an sich, sondern wenn in Folge dessen der soziale Frieden in Gefahr gerät. Für ihn ist wichtig, dass sich auf den gesamten Stadtraum gesehen für alle Platz findet, und dass am Stadtrand keine sozialen Brennpunkte entstehen. In Berlin sieht er diese Gefahr derzeit nicht.

Auf den Wunsch nach Durchmischung in jedem Kiez angesprochen meint Voigtländer: „Mischung ist gut und schön. Aber was kostet das?“ Er plädiert dafür, das begrenzte Geld lieber in Schulsanierungen zu stecken, als allen am Ort ihrer Wahl eine Wohnung zu subventionieren. „Wir beobachten gerade einen Strukturwandel. Den kann man nicht aufhalten. Es zu versuchen, kostet nur unnötig Geld.“

Doch auch Voigtländer sieht Verbesserungsbedarf, vor allem im Bereich Neubau. Da sei Berlin massiv hinterher – jedes Jahr würden bis zu 9000 Wohnungen weniger gebaut als benötigt. Dabei seien die derzeit niedrigen Zinsen eigentlich optimal. Aber den Investoren fehlten die Flächen, weil die Politik zu langsam arbeite.

Darüber hinaus kritisiert er, dass nicht nur sozial Schwache von der Wohnungsförderung profitierten: Wer eine staatlich geförderte Wohnung beziehen möchte, muss nur einmal seine Bedürftigkeit nachweisen. Ob sich daran später etwas ändert, spielt keine Rolle, so lange er nicht umzieht.

  

„Am Ende ist es billiger, wenn wir Segregation vermeiden“

Jochen Lang, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung

Der Leiter der Abteilung für Wohnungswesen und Soziale Stadt sieht einen gesellschaftlichen Konsens, dass Mischung gut ist – und zwar überall in der Stadt. Erreichen könne man sie auf mehreren Wegen. Darauf zu vertrauen, dass viele Neubauten den Mietmarkt schon entspannten, reiche nicht aus.

Um eine weitere Entmischung zu verhindert, helfe der Mieterschutz. Zudem müsse man Sozialwohnungen bauen und erhalten. Laut Lang sind dabei zum einen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften gefragt. Zum anderen sollten auch in privaten Neubaukomplexem bis zu einem Drittel der Wohnungen gefördert werden. Ein wichtiges Mittel dafür seien städtebauliche Verträge, die zwischen Politik und Investoren geschlossen werden. Darin kann zum Beispiel vereinbart werden, dass ein Investor einen Teil der Wohnungen zu günstigen Mieten anbietet, wenn er im Gegenzug Baurecht bekommt. (Ein Beispiel dafür ist der – jedoch umstrittene – Vertrag zum Baugebiet am Mauerpark.)

Dass am Ende neben jenen mit sehr viel und jenen mit sehr wenig Geld auch Menschen aus der Mittelschicht in den Häusern wohnen können, solle eine Reform der Neubauförderung sicherstellen, erklärt Lang: Bislang werden Mieten von Neubauten einheitlich auf 6,50 Euro runtersubventioniert. In Zukunft sollen die geförderten Wohnungen je nach Einkommen zwischen 6,20 und 8,50 Euro pro Quadratmeter kosten. Dadurch können die Subventionen breiter gestreut werden und mehr Menschen profitieren.

„Am Ende ist es billiger, wenn wir Segregation vermeiden“, meint Lang. Er sagt jedoch auch: „Das heißt aber nicht, dass jeder bleiben kann.“ Bezahlbare Wohnungen anzubieten koste öffentliches Geld, und das habe seine Grenzen. 

 

„Daraus ergibt sich ein Spannungspotential, dessen Folgen wir nicht absehen können.“

Andrej Holm, Humboldt-Universität

Aus Sicht der Berliner Soziologen ist die Gentrifizierung der neue Mainstream in der Innenstadt. Flächendeckend würden Menschen aus ihrer bisherigen Umgebung verdrängt– mit Folgen für alle.

Derzeit wächst die Einwohnerschaft von Marzahn erstmals seit dem Bau der Großwohnsiedlung wieder. Doch für die Meisten sei der neue Wohnort nur die zweite Wahl. „Das wird zu Problemen führen“, meint Holm.

Dabei sind die Menschen, die noch wegziehen können, nicht die sozial Schwächsten. Diese versuchten, mit anderen Mitteln die steigenden Mieten zu kompensieren, etwa durch mehr Arbeit oder dichteres Zusammenrücken. „Rein statistisch ist die Bevölkerung in Kreuzberg gemischt. Aber die Einen wohnen zu zweit auf 120 Quadratmetern und die Anderen zu siebt auf 80. Daraus ergibt sich ein Spannungspotential, dessen Folgen wir nicht absehen können. Die Frage ist: Wie geht die Politik damit um.“

Die derzeit in Berlin angewandten Methoden nennt Holm schlüssig. Man folge damit dem Beispiel der Stadt München, die seit Jahren als Vorbild gelte. „Aber die Wirksamkeit ist nicht getestet“, sagt er. Stattdessen stiegen die Mieten dort munter weiter.

Für Holm ist klar: „Wir haben zwar Förderprogramme, aber das Geld reicht nicht einmal, bestehende Belegungsbildungen zu erhalten.“ Auch vom Neubau als Allheilmittel hält er wenig: Lange Jahre habe man ihm erklärt, dass dieser in Berlin nicht in Gang komme, weil die Mieten zu günstig wären. Wie im Umkehrschluss heute neue Wohnungen Mieten senken sollten, sei ihm unverständlich. „Im Moment sorgt ein Umzug immer nur für zwei hohe Mieten: Einer zieht in einen teuren Neubau und ein Anderer in dessen alte, nun verteuerte Wohnung.“

Für Holm gibt es daher nur eine Lösung: „Wir müssen über ein Einverständnis reden, Wohnungen nicht nur nach dem Geldbeutel zu vergeben.“

 

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