Nichts für Mädchen

von Thomas Trappe 31. Oktober 2014

Das Jahn-Stadion soll irgendwann neu gebaut werden. Bis es soweit ist, kann es noch sehr, sehr lange dauern. Solange sollten Prenzlauer Berger Töchter nicht auf die Idee kommen, sich für Sport zu begeistern.

Ein Beiwerk des Zerfalls kann, wenn alles gut läuft, auch die Barrierefreiheit sein. Ralf Otto ist Vizepräsident des Berliner Behindertensportverbands und sein Lieblingsstadion in der Stadt ist der Jahn-Sportpark. „Weil es in ganz Berlin das einzige Stadion ist, in dem Sie auch mit Rollstuhl auf die Tribüne kommen.“ Grund für diesen Standortvorteil sei allerdings nicht das Bemühen um infrastrukturelle Ertüchtigung, sondern eher das Gegenteil. In den 80ern, aber auch 90ern, so Otto, hätte schlicht Geld gefehlt, die zerfallenden Treppen zu reparieren, stattdessen seien sie teilweise durch Rampen ersetzt worden. „Das wurde planiert, zum Vorteil für Menschen mit Behinderung. Versuchen Sie mal mit Rollstuhl im Olympiastadion auf die Tribüne zu kommen. Ohne Fahrstuhl geht da nichts.“ Ein Zukunftsmodell ist Geiz für den Prenzlauer Berger Sportpark und das Stadion in seinem Zentrum aber nicht. Das soll nämlich ein einwandfreies „Inklusionsstadion“ werden und dafür braucht es viel Geld. Seit nunmehr zwei Jahren wird darüber geredet, passiert ist nicht viel. Nicht so sehr zum Schaden von behinderten Sportlern, sondern vor allem des Prenzlauer Berger Nachwuchssports. Der einzige Trost ist, dass eine offensichtlich schon mal angedachte Schließung vom Tisch ist. 

Seit 2013 ist der Jahn-Sportpark immer wieder Thema im Berliner Abgeordnetenhaus, weil das Stadion dem Land gehört und seit Jahren chronisch unterfinanziert ist. Folge ist eine immer desolater werdende Substanz, der die Sanierung meist hinterherläuft. Vor zwei Jahren wurde deshalb von der Berliner Regierungskoalition das Ziel formuliert, die Sportstätte fit zu machen. Mehrere Millionen Euro sollen investiert werden, so die Zielvorgabe, und auf das Gelände soll die Zentrale des Behindertensportverbands ziehen. Auch eine Sport-Kita wurde erwogen. Pläne, die auf große Zustimmung bei Sport-Verbänden stießen. Und zunehmend ungeduldig kommentiert werden, unter anderem von Carsten Maaß, Vizepräsident des Pankower Bezirkssportbundes und zweiter Vorsitzender beim Prenzlauer Berger Sportverein SV Empor. „Wir haben dringenden Bedarf an Sportflächen im Bezirk“, sagt er. Inzwischen glaube er aber nicht mehr, dass vor 2020 irgendwas am Stadion gemacht wird.

 

Öffnung für die Bevölkerung geplant

 

Die Flottmachung des Sportparks ist Inhalt langwieriger Auseinandersetzungen zwischen dem Land, dem Bezirk und den diversen Verbänden und Vereinen, die davon profitieren sollen. Die lähmende Wirkung dieser Konstellation ist bekannt. Immerhin befindet sich jetzt offenbar die Machbarkeitsstudie im Endprozess – in ihr wurde nach einer Bedarfsanalyse von einer Stuttgarter Sportstättenplanungsagentur dargelegt, was für Möglichkeiten es für das Stadion gibt. „Zusammengefasst kann man sagen“, so Frank Otto vom Behindertensportverband, „dass das Stadion abgerissen, tiefergelegt und neu aufgebaut wird“. Von geplanten Büroräumen für Verbände und Vereinen ist die Rede, eine neue Sporthalle, zwei Kunstrasenplätze, weitere Tennis-, Beachvolleyball- und Beachsoccerfelder werden vorgeschlagen, auch eine Tiefgarage, berichtete der Tagesspiegel. Kosten soll das zwischen 30 und 40 Millionen Euro, schätzte das Land Berlin. 

Ralf Otto selbst machte sich, im Rahmen der Bedarfsanalyse danach gefragt, vor allem für eine Öffnung des Stadions stark. Er verweist darauf, dass es viele Prenzlauer Berger freute, könnten sie sich im Sportpark Tag und Nacht und ohne Anmeldung sportlich betätigen, zum Beispiel zum Joggen. „Ich glaube, das ist auch wichtig, um die Rolle des Stadions für die Bewohner des Bezirks zu erhöhen und sie bei der Entwicklung mitzunehmen.“ In der Machbarkeitsstudie sei eine solche Öffnung auch angedacht, lobt Otto, unter anderem mit einer frei zugänglichen und beleuchteten großen Laufstrecke.

 

Hundert Kinder wurden nach Hause geschickt

 

Alles, was in der Machbarkeitsstudie angedacht wird, ist machbar – aber eben kein festes Vorhaben. Das betonen alle Beteiligten, so auch Carsten Maaß vom Bezirkssportbund. Er sagt, dass auch die von seinem Verein SV Empor ins Spiel gebrachte Sport-Kita in der Machbarkeitsstudie erwähnt wird, allerdings wohl eher in der Kategorie „denkbar“. Euphorisch ist Maaß deswegen verständlicherweise nicht, denn inzwischen rennen dem SV Empor die Kinder die Türen ein, und der Platz im Jahn-Sportpark würde dringend benötigt. Nicht nur die Kita, sondern auch weitere Sportplätze.

Pünktlich zum Ende der Fußballweltmeisterschaft musste der SV Empor diesen Sommer deswegen einen schmerzhaften Schritt gehen: Er verkündete einen Aufnahmestopp. „Wir hatten damals die 600er-Marke erreicht, mehr Kinder können wir bei den eingeschränkten Möglichkeiten nicht trainieren“, berichtet Maaß. Rund hundert Kinder mussten seitdem wieder nach Hause geschickt werden, und das von einem der größten Vereine im Bezirk. „Neue Mitglieder können wir jetzt nur aufnehmen, wenn andere gehen.“ Besonders betroffen scheinen davon die Mädchen. Denn der SV Empor plane laut Maaß eigentlich schon lange den Aufbau einer Mädchenfußballmannschaft. „Daran ist aber nicht zu denken“, so Maaß, „weil einfach kein Platz mehr da ist“. Kein gutes Signal in Zeiten, in denen sogar Spielplätze in Prenzlauer Berg gendergerecht gestaltet werden. Auch in anderen Prenzlauer Berger Vereinen, so Maaß, gebe es kaum Möglichkeiten für Mädchen, Fußball zu spielen. 

 

Ohne Investition wäre Schließung wieder Thema 

 

Sport-Staatssekretär Andreas Statzkowski (CDU) erklärt auf Anfrage, dass auf dem Stadion ein „extrem hoher Nutzungsdruck“ liege, bei einem gleichzeitig desolaten Gesamtzustand. Es gehe jetzt erstmal darum, den gesamten Sportpark in einem nutzbaren Zustand zu erhalten, soweit es die Haushaltslage zulässt. So habe es das Land immerhin geschafft, „die notwendigen Maßnahmen durchzuführen, damit die Bauaufsicht zufriedengestellt ist“. Mittelfristig seien aber massive Investitionen nötig, so Statzkowski. Kämen die nicht, wäre auch wieder die Schließung des Stadions auf der Tagesordnung – bereits im vergangenen Jahr verkündete Statzkowski im Sportausschuss, dass man diese gerade erst „habe abwenden können“.  Diese „langfristige Bedrohung gibt es immer noch, wenn es keine Investitionen gibt“, sagt Statzkowski heute. „Aber davon gehen wir nicht aus“ – man halte ja an dem Ziel des Inklusionsstadions fest, ein Prestigeobjekt vor allem der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus.

Mehrere Jahre wird es aber wohl noch dauern, bis ein neuer oder komplett sanierter Jahn-Sportpark steht, schätzt Statzkowski, im Januar wisse man mehr. Jetzt soll erst einmal das Stadion mit Farbe notdürftig hergerichtet werden – für das Finale der Frauen in der Fußball-Champions-League, das hier kommendes Jahr stattfinden wird. „Damit wir uns nicht völlig vor der UEFA blamieren“, so Statzkowski. Dass das Finale in Prenzlauer Berg stattfindet, hat dabei eher einen unrühmlichen Grund, auch das kein schönes Signal an den Mädchenfußball im Bezirk: Die UEFA , so Statzkowski, habe das Spiel vom Olympia- ins Jahnstadion verlegt, weil hier weniger Zuschauer reinpassen. Man habe übermäßig leere Zuschauerränge vermeiden wollen.

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