„Ich will ein Zuhause-Gefühl schaffen“

von Anja Mia Neumann 17. September 2015

Im neuen Flüchtlingswohnheim Storkower 133a ringen die Bewohner nach ihrer Flucht um ein bisschen Normalität. Der Leiter sagt: Helfen können Nachbarn, indem sie die Umgebung zeigen. Ein Besuch.


Das neue Flüchtlingswohnheim liegt in den Ausläufern des Gewerbegebiets an der Storkower Straße, an der Grenze zum grünen Idyll Blumenviertel mit Einfamilienhäusern. Vor dem grauen Klotz, ein ehemaliges Bürogebäude von Vattenfall, spielen einige Kinder. Ein Mädchen fährt auf einem viel zu kleinen Fahrrad, die Knie an den Schultern kurvt sie um Poller auf der Straße.

In der vergangenen Woche sind hier – quasi in einer Nacht- und Nebel-Aktion – 200 Flüchtlinge angereist. Die meisten von ihnen kamen über Ungarn nach Deutschland als die Grenzen zur Bundesrepublik weit offen waren. Rund 660 Flüchtlinge leben damit nun in Prenzlauer Berg in drei Unterkünften.

 

Schwarzer Pulli, gepolsterte Stühle und Herzen auf der Sichtschutzwand

Jan Schebaum leitet die neue Unterkunft in der Storkower Straße 133a, wie auch das Rupert-Neudeck-Haus, das nur wenige Straßen entfernt ist. Der 38-Jährige trägt ganz unkompliziert Turnschuhe, schwarzen Pulli, schwarze Hose, Bärtchen und wirkt überhaupt nicht so als laste die Verantwortung für traumatisierte Menschen auf seinen Schultern.

Auf dem Hof vor dem Wohnheim kennen ihn alle. Die meisten sind Syrer, einige Afghanen und zwei Familien aus der Ukraine. Männer wie Frauen haben Stühle mit blauen Polstern nach draußen gestellt, auf der hölzernen Sichtschutzwand sind bunte Herzen aus Kreide.

 

Wie kann man den Menschen helfen?

Es geht mir vor allem um die Kommunikation mit den Menschen. Die sind ja nun Frisch-Ankömmlinge. Und sie sind besorgt. Dürfen sie hier bleiben? Sie ein bisschen zu entstressen. Ihnen zu zeigen: Leute, ihr seid angekommen. Macht euch keine Sorgen. Es läuft alles an.  Wir unterstützen euch. Wir zeigen euch, wo ist hier was. Wo ist die nächste Apotheke? Wo geht es zur Straßenbahn? So ganz profane Sachen, die zum Alltagsleben dazu gehören.“

Von weitem betrachtet bewegen sich einige Schatten hinter den Fenstern des Gebäudes. Ein großer, stämmiger Mann steht regungslos da und schaut in die Ferne. „Wer mit den Leuten rüber Richtung Velodrom auf den Sportplatz gehen kann, das hilft.“

Die erste Kontaktstelle ist der Unterstützerkreis. Es geht aber auch: Einfach vorbeigehen. Eine Mutter kommt mit ihrer Tochter zur Tür herein. Blonder Flechtzopf, vielleicht zwölf Jahre alt, Schulranzen auf dem Rücken. Die Mutter mit Flatterbluse möchte helfen, kann immer montags und dienstags. Der Security-Mensch schickt sie die Treppe runter: Die Koordinatorin der Freiwilligenarbeit ist da.

Es gibt momentan immer etwas zu tun. Jederzeit. Unmittelbar helfen: Das geht. Wir brauchen zum Beispiel jederzeit Leute, die beim Spendensortieren und bei der Spendenausgabe helfen. Ansonsten Deutschunterricht, Hilfe bei der Essensausgabe, Freizeitbegleitung.“ Viele Flüchtlinge sind traumatisiert nach einer dramatischen Reise. Fertig von allen Eindrücken. Erleichtert, irgendwo angekommen zu sein. Besorgt, weil sie nicht wissen, wie es weitergeht.

Alle sind unregistriert. Sie machen sich Sorgen und wollen etwas in der Hand haben. Ein Dokument, das ihnen bescheinigt: Du bist jetzt offiziell hier. Das haben sie alles noch nicht.“ In einem Hinterzimmer wird geschnippelt. Improvisierte Registrierungsausweise aus grünem Tonkarton. Darauf die Daten der Flüchtlinge und ein Foto, eilends geschossen und auf Papier ausgedruckt. Drei junge Frauen und ein Mann sitzen vor dem Papierberg, bereit ihn abzuarbeiten.

Ich habe am Sonntag eine Ansprache gehalten vor den Menschen. Und gesagt: Herzlich Willkommen, ihr seid angekommen. Wir kümmern uns um euch. Da hat man schon gemerkt, dass viele durchgeatmet haben. Es war wichtig, das mal gesammelt zu kommunizieren. Es gab großen Applaus. Es waren schon rührende Szenen für mich.“

Ein kleines Mädchen fährt vor dem Haus auf einem Holzlaufrad vorbei. Schebaum streicht ihr im Vorbeigehen über den Kopf. Die Mutter lächelt ihm zu. „Die Syrer sind eigentlich ein humorvolles Volk. Abends kicken sie auf dem Hof. Ich versuche die Menschen einzubinden. Dass sie mir helfen bei der Essensausgabe, bei der Reinigung. Da gab es schon viele Freiwillige. Das schafft auch ein Zuhause-Gefühl, wenn du auch für dein Zuhause sorgst.“

Im Eingangsbereich. Eine Bürouhr mit Umklapp-Funktion zeigt Datum und Uhrzeit. Hier ruht sich eine junge Frau aus. Den Kopf auf den Tisch gelegt. Schebaum ordert: Eine Matratze! Ein Mann umarmt ihn. Wäre es eine Gelegenheit, sich zu engagieren, wenn man im psychologischen Bereich qualifiziert ist? Gibt es da bürokratische Hürden? „Nein, gibt es nicht. Wir machen eben so weit, wie wir können. Die medizinische Versorgung ist nicht geregelt durch das Landesamt, weil die Flüchtlinge eben nicht registriert sind.  Wir haben deshalb selbst eine medizinische Versorgung ins Leben gerufen. Wir können anbieten, dass ein Mal am Tag ein Facharzt vorbei kommt. Die Krankenhäuser nehmen natürlich auf: Schwangere, Dialyse-Patienten. Akute Fälle regeln wir erst mal über Privatrezepte. Mit allen Spenden rund um Medizin ist uns sehr geholfen.“

Zum Abschied besteht Schebaum auf die Faust. Faust an Faust, die Bro-Fist. Mit ihm, dem Leiter zweier Flüchtlingsunterkünfte, hinterlässt das dieses Gefühl: Wir haben einen Pakt. Für die gleiche Sache. „So machen wir das hier.“

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