Masern: Besser nicht auf den Spielplatz

von Thomas Trappe 18. Juni 2015

In Berlin tagt die Nationale Impfkonferenz. Prenzlauer Berg wird hier offiziell zum Problemviertel ernannt. Wenn möglich, so die Empfehlung, sollten Eltern mit Kleinkindern gewisse Orte meiden.

Will man der Sache was Positives abgewinnen, so streiche man heraus, dass es endlich einmal Berührungspunkte zwischen den Besserverdienenden-Kiezen in Prenzlauer Berg und den bekanntermaßen eher schlechtgestellten Asylbewerbern der Stadt gibt. Wenn der bindende Faktor allerdings ist, dass die Kinder aus beiden Milieus überdurchschnittlich häufig von einer potenziell tödlichen Erkrankung bedroht sind, dann ist es Asche mit dem Postitiven. Und so geht einfach nur eine unschöne Meldung von der Eröffnung der Nationalen Impfkonferenz aus, die am heutigen Donnerstag von Bundesgesundheitsminister Gröhe und zwei Landesministern in der Berliner Urania eröffnet wurde und noch bis morgen läuft. Prenzlauer Berg ist gleich Heimat zweier von drei genannten Problemkiezen, die exemplarisch für das stehen, was bei der Konferenz angegangen werden soll, nämlich die mangelnde Durchimpfungsquote bei Masern. Betroffen sind, so der Berliner Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) zur Eröffnungspressekonferenz, besonders Asylbewerber. Und Bewohner des Helmholtz- und des Kollwitzkiezes.

„Seien wir ehrlich“, sagte Senator Czaja also. Es gehe ja nur um einige wenige Stadtteile, rede man über den Masernausbruch, der in Berlin gerade in die 42. Woche startet. Und zwar, so der Senator, „um die Gebiete um den Helmholtzplatz, den Kollwitzplatz und das Paul-Lincke-Ufer“, womit wenigstens noch ein Teil Kreuzberg Prenzlauer Berg Gesellschaft beim Thema Impfmüdigkeit leistet. Czaja bekräftigte damit etwas, was in Prenzlauer Berg immer wieder postuliert wird, vor allem von Gesundheitsstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD). „Es sind nicht die bildungsfernen Haushalte, es sind die Akademikerkinder“, die von Masern betroffen seien, so Czaja. Prenzlauer Berg ist damit sozusagen eine Insel in der alten Hauptstadt der DDR. „Wir haben einen guten Durchimpfungsgrad im Ostteil der Stadt.“ Was daran liegt, dass die Masern-Impfung in der DDR wesentlich häufiger als im Westen, nahezu flächendeckend, Kindern verabreicht wurde. Eine Maßnahme, die heute durchaus auch im Bundesgesundheitsministerium wieder diskutiert wird, und unter Kinderärzten sowieso breite Zustimmung findet.

 

Eltern in Elternzeit unter Hausarrest

 

Czaja berichtet bei der Pressekonferenz von Anfragen vieler Prenzlauer Berger Eltern in seiner Senatsverwaltung. Diese fragten, wie sie ihre Kinder, die zu jung für die Impfung seien und nicht mehr über den sogenannten „Nestschutz“ einer stillenden Mutter verfügen, am besten schützen könnten. Czaja scheut da durchaus keine deprimierenden Antworten: „Wenn Eltern fragen, ob sie mit ihrem sieben Monate alten Kind auf den Spielplatz gehen sollten, ist meine Empfehlung: Nein.“ Diese Warnung gelte auch heute noch, auch wenn die Zahl der Neuinfektionen gerade zurückgehe. Für Eltern in Elternzeit kann sich diese Vorgabe, zumal im Sommer, zu einem wahren Ausgeh- und Beschäftigungsverbot auswachsen. Cafés, S-Bahn, Partys – Geselligkeit wird zum Tabu. Zumal für Eltern, die selbst nicht geimpft sind. Bei einer zweiwöchigen Inkubationszeit müssten sie ständig damit rechnen, sich und dann auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ihr Kind mit Masern anzustecken, ohne es überhaupt zu merken.

In Berlin hatte man darauf in Absprache mit der organisierten Ärzteschaft und den Krankenkassen dergestalt reagiert, dass man die offizielle Masern-Impfempfehlung von zwölf auf neun Monate herabsenkte und damit die Empfehlung der Ständigen Impfkommission unterbot. Außerdem wurde es Kinderärzten kurzerhand erlaubt, auch Erwachsene mit Impflücke – vornehmlich junge Eltern – zu impfen. Vor allem Letzteres aber sorgt für einige Verunsicherungen bei einer tendenziell sowieso in solchen Sachen leiderprobten Berliner Ärzteschaft: Kinderärzte fürchten Regresse, weil sie eine „facharztfremde“ Leistung erbrächten. Eine Sorge, die unberechtigt sei, so Senator Czaja heute. Was nichts daran ändert, dass es die Durchimpfung sicher nicht fördert – zumal Eltern bei Kinderärzten die Kosten für den Impfstoff vorstrecken und dann unter etwas komplizierteren Vorzeichen bei der Kasse einreichen müssen. Laut Marlen Suckau, Infektionsbeauftragte in der Gesundheitsverwaltung, würde aber in aller Regel diese „Einzelfallerstattung“ problemlos über die Bühne gehen.

 

Infektionen gingen im Mai zurück

 

Bei der Pressekonferenz wurden auch aktuelle Zahlen zu den Masernausbrüchen in Berlin präsentiert, Stand gestriger Mittwoch. Demnach gab es seit Ausbruch vor 41 Wochen 1294 Fälle in der gesamten Stadt, 1173 davon in diesem Jahr. Es gebe aber einen deutlichen Rückgang: So seien es im April noch 206 neue Fälle gewesen, im Mai nur noch 88. 86 Prozent der Erkrankten seien nicht geimpft gewesen, knapp drei Prozent erkrankten trotz der empfohlenen zweifachen Impfung. Ein Kind in Berlin ist an der Erkrankung bisher gestorben. Viel geringer sind die Zahlen in Brandenburg, das zusammen mit Berlin die 4. Nationale Impfkonferenz veranstaltet: Hier seien nach aktuellen Erhebungen innerhalb von 51 Wochen nur 101 Erkrankungen aufgetreten, wurde bei der Pressekonferenz mitgeteilt.

 

 

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