Warum Ingo Schulze Wasser für ein Menschenrecht hält

von Brigitte Preissler 26. Januar 2011

Anlässlich des heutigen Volksentscheids noch einmal das Interview mit dem Schriftsteller  über sein Engagement für die Veröffentlichung der Wasserverträge.

Am 13. Februar sind alle Berliner dazu aufgerufen, am Volksentscheid über die Wasserverträge teilzunehmen. Die Initiatoren des „Berliner Wassertischs“ fordern eine vollständige Veröffentlichung aller Beschlüsse, Verträge und Nebenvereinbarungen über die Teilprivatisierung von 1999; durch einen erfolgreichen Volksentscheid soll letztlich auch die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe erreicht werden. 

Der in Prenzlauer Berg lebende Schriftsteller Ingo Schulze gehört zu den Unterstützern der Initiative; auf den Internetseiten des „Berliner Wassertischs“ haben er und viele andere Prominente mit einer gemeinsamen Erklärung ihre Mitbürger zur Teilnahme am Volksbegehren aufgerufen. Im Interview mit den Prenzlauer Berg Nachrichten erklärt Schulze nun, warum ihm auch die Beteiligung am kommenden Volksentscheid wichtig ist.

 

 

Warum unterstützen Sie den „Berliner Wassertisch?“

Es gibt kein wichtigeres Lebensmittel als sauberes Wasser. Deshalb darf Wasser auch nicht dem Profitstreben unterwerfen werden. Das bedeutet nicht, dass Wasser kostenlos sein soll, nur darf man mit Wasser keine Geschäfte machen dürfen.

 

In welcher Phase der Bewegung stießen Sie dazu?

Ich muss gestehen, dass ich 1999 nichts von der Teilprivatisierung mitbekommen habe. Erst im Sommer 2009 traf ich zufällig am Rande einer Diskussionsrunde auf die Vertreter des Wassertisches. Ich wollte das zuerst nicht glauben, ich hielt die Geheimverträge für Spinnerei, auch die Gewinngarantien. Ich war erschrocken über mein eigenes Unwissen und darüber, dass der Verkauf „meines“ Wassers vor meiner Nase stattgefunden hatte, ohne dass ich es bemerkt hatte. Und dann staunte ich, wie klein der Kreis derjenigen war, die sich gegen diese Ungeheuerlichkeit auflehnten.

 

Welcher Aspekt steht für Sie dabei im Vordergrund: Die geheimen Verträge oder die hohen Wasserpreise in Berlin?

Das lässt sich ja nicht trennen, beides ist hoch politisch. Es geht ja grundsätzlich nicht an, dass eine für vier Jahre gewählte Regierung etwas verkauft, das sie ererbt hat und das sie weiterzugeben hat. Das muss man immer zuerst sagen. Aber wenn eine Regierung Gemeineigentum verkauft, dann muss das bis ins letzte Detail transparent sein, das versteht sich von selbst. In einer Demokratie dürfen die Gewinne nicht privatisiert und die Verluste sozialisiert werden. Wenn in Berlin die S-Bahn totgespart wurde, um die Bahn für die Börse herzurichten, dann hatten das die Einwohner das zu bezahlen. Mit den hohen Wasserpreisen bezahlen wir auch die Gewinne der Privaten.

 

Der private BWB-Gesellschafter Veolia will seine Anteile bislang offenbar nicht rekommunalisieren. Unter anderem heißt es dort, die Wasserpreise seien schon vor der Teilprivatisierung 1999 hoch gewesen. Wie beurteilen Sie diese Argumentation?

Ich halte die Argumentation für eine Lüge, weil der Anstieg der Wasserpreise – es gibt ja glücklicherweise Vergleichsrechnungen – rund dreißig Prozent beträgt und Berlin an dritter Stelle bundesweit steht. Man kann ja einem Konzern nicht vorwerfen, dass er Gewinn machen will, möglichst hohen Gewinn. Aber gerade deshalb sollte Wasser – wie eben auch das Verkehrssystem und vieles andere auch – in der Hand des Gemeinwesens bleiben.

 

Die 1999 geschlossenen Verträge liegen mittlerweile zumindest teilweise offen. Welche Bedeutung haben der Volksentscheid und die Debatte über Preise und Privatisierung jetzt überhaupt noch?

Es liegt ja nicht alles offen, geschweige denn, dass es veröffentlicht und für jeden Interessierten einsehbar wäre. Wir haben aber jetzt die Chance, Regelungen zu schaffen, die solch undemokratisches, dem Gemeinwesen abträgliches Verhalten zu unterbinden, ganz gleich welche Regierung im Amt ist. Diese Chance sollten wir jetzt nicht durch ein halbherziges Entgegenkommen, das ja überhaupt erst unter starkem Druck erreicht wurde, vergeben.

 

Konfliktträchtig ist momentan besonders Paragraf 4 des Gesetzesentwurfs der Bürgerinitiavite, wonach alle nicht veröffentlichten Verträge, Beschlüsse und Nebenabreden unwirksam sind. Wie kompromissbereit sind Sie diesbezüglich, sehen Sie Alternativen zu dieser so genannten Unwirksamkeitsklausel?

Ich persönlich habe da ja nichts zu entscheiden, aber ich würde in diesem zentralen Punkt keinen Kompromiss machen. Warum soll etwas nicht veröffentlicht werden? Was spricht dagegen?

 

Sollte Wasser als Menschenrecht im Grundgesetz verankert werden, wie die Bürgerinitiative fordert?

Bezahlbares sauberes Wasser muss ein Menschenrecht sein.

 

Was vermuten Sie: Wie wird der Volksentscheid ausgehen?

Das wird von den Medien abhängen, in wie weit dieses Thema wirklich öffentlich und seiner Brisanz deutlich wird. Vom Berliner Senat ist bis heute nicht mit Unterstützung zu rechnen, im Gegenteil. Wenn ich per Brief abstimmen will, muss ich im Gegensatz zu anderen Wahlen, nun die Briefmarke selbst bezahlen. Solche kleinen Hürden sollte man nicht unterschätzen.

 

Halten Sie grundsätzlich mehr politische Einflussnahme durch die Wähler im Sinne direkter Demokratie für wünschenswert?

Ja und nein. Ich stehe Volksentscheiden eigentlich skeptisch gegenüber. Würde zum Beispiel per Volksentscheid über die Todesstrafe abgestimmt, könnte am Ende deren Einführung stehen. Ich halte es allerdings auch für ungenügend, sich nur aller paar Jahre per Stimmzettel zu Wort zu melden. Auf jeden Fall ist die Parteiendemokratie nicht der Weisheit letzter Schluss, zumal die Einflussnahme durch Lobbyisten aus der Demokratie eine Oligarchie macht.

 

Warum unterstützen Sie den „Wassertisch“ dann?

Hier war die Parteiendemokratie am Ende, denn auch der Regierungswechsel hat in dieser entscheidenden Frage keine Veränderung im Sinne der Einwohner und der Umwelt Berlins gebracht. 

 

Der Schriftsteller Ingo Schulze, geboren 1962 in Dresden, lebt in Prenzlauer Berg. Seine Werke – etwa  „33 Augenblicke des Glücks“ (1995), „Simple Storys“ (1998) oder „Adam und Evelyn“ (2008) – erscheinen im Berlin Verlag und wurden mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet.

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