„Kinder-auf-Friedhof“: Ein Experiment eskaliert

von Anja Mia Neumann 28. Oktober 2015

Ein Friedhof, auf dem Kinder spielen. Verrückte Idee? Gibt es aber gleich zwei Mal in Prenzlauer Berg. Für Zoff sorgt das Experiment in der Pappelallee. Gemeinde und Stadtrat wollen den Spielplatz abreißen lassen.

Andächtig durch das Laub spazieren, der Toten gedenken, innere Einkehr. All das liegt Kindern nicht so. Eher: toben, rennen, klettern, kreischen. Trotzdem hat der Bezirk Pankow zwei Experimente in Prenzlauer Berg gewagt: Spielgeräte für Kinder auf ehemaligen Friedhöfen.

Der Leise Park im Winsviertel ist seit drei Jahren offen für die Allgemeinheit – auch für spielende Kinder. Zwar machten dort mal Knochenfunde Schlagzeilen. Doch an sich wirkt es ganz harmonisch, wie Kinder zwischen Grabmälern in Gummi-Hängematten schaukeln oder in Bäumen klettern.

 

„Das hier ist kein Freizeitpark.“

 

Auf dem älteren der beiden „Kinder-auf-Friedhof-Experimente“ ist die Situation dagegen eskaliert. Die Freireligiöse Gemeinde – Hausherrin des Friedhofsparks Pappelallee – kämpft seit langem gegen das aus ihrer Sicht „unmögliche Verhalten“ einiger Kindergruppen. Und will, dass der Spielplatz verschwindet. „Das hier ist kein Freizeitpark“, sagt die Vorsitzende der Gemeinde.

Die Liste der Vorwürfe ist lang, die Anke Reuther bei einem kleinen Rundgang aufzählt: Da werde mit Schaufeln auf Grabsteinen gehauen, Absperrketten als Schaukeln missbraucht, auf Statuen geklettert, Pflanzen herausgerissen, der Boden zum Bocciaspielen aufgebuddelt, Tische und Stühle für Geburtstagspartys zwischen die Grabsteine gestellt. All das unter der Aufsicht von Erzieherinnen und Erziehern einiger Kindergärten, die den abgetrennten Spielplatz auf der einen Seite des Parks nutzten. Die widersprechen den Vorwürfen. Oder durch Eltern, die die Benimmregeln am Eingangstor missachteten. Die hängen dort seit 2012.

 

Zwischen Diesseits und Jenseits

 

„Wir sind dem Diesseits zugewandt und nicht kinderfeindlich.“ Das zu betonen ist Reuther wichtig. Die Vorsitzende der Freireligiösen Gemeinde hat kurze rot gefärbte Haare und trägt eine grüne Filz-Jacke mit einer Bernstein-Brosche. Sie spricht laut, redet sich in Rage. „Aber wir sprechen hier von einem kulturhistorischen Denkzeichen. Die Öffentlichkeit zernutzt unsere Sachen.“ Kurzum: Reuter bangt um die Würde des Ortes.

Den Friedhofspark zwischen Pappelallee und Lychener Straße gibt es seit 1995. Die Freireligiöse Gemeinde hatte damals dem Bezirksamt erlaubt, auf dem Gelände einen Spielplatz einzurichten. Dass hier mal so viele Kinder leben würden: Vor 20 Jahren nicht absehbar, meint Reuther. 1970 gab es die letzte Bestattung, 20 Jahre später war die Ruhezeit abgelaufen, aber erst 1998 bekam die Gemeinde ihren Park zurück. Zu Nazi- und DDR-Zeiten war die Gemeinde verboten und enteignet.

 

Eine erneute Enteignung?

 

Besonders heikel ist deshalb das Angebot, das nun der Bezirk der Gemeinde gemacht hat. Für 460 000 Euro soll das Gelände umgestaltet werden. Inklusive einer neuen Feierhalle und dem Abriss des Spielplatzes. „Die Voraussetzung ist aber, dass es sich um eine öffentliche Grünfläche handelt“, sagt Pankows Stadtrat für Stadtentwicklung Jens-Holger Kirchner (Grüne). Der Deal wäre also: Eigentumsrechte gegen Investition in das Gartendenkmal.

Der Leise Park im Winsviertel (im Bild) wie auch der Friedhofspark in der Pappelallee wirken dank ihrer dicken Baumstämme ein wenig verwunschen. Foto: Anja Mia Neumann

 

Die Gemeinde empfindet das als erneute Enteignung. Das wolle niemand im Bezirk, sagt Kirchner und bestätigt, dass die Situation im Friedhofspark teilweise aus dem Ruder läuft: „Müll und Partys entsprechen dem Ort nicht.“ Er könne verstehen, dass der Wunsch bestehe, etwas zu ändern. „Aus meiner Sicht hat sich das Konzept Friedhofspark hier nicht bewährt.“ Der Gemeinde ein Stück des Parks abzukaufen sei aber auch keine Lösung. Dagegen spricht der Denkmalschutz.

Diese Variante jedoch wäre der Gemeinde am liebsten. „Wir können nichts für die Geschichte“, sagt Reuther und nennt den Leise Park als Beispiel, bei dem das Land Berlin ebenfalls gekauft hat. Wenn der Streifen mit dem Spielplatz in öffentlicher Hand sei, könne er vom Rest des Parks abgetrennt werden, schlägt sie vor. Durch eine Mauer zum Beispiel.

 

Kindergarten sieht seine Existenz bedroht

 

Dass noch eine Chance für den Spielplatz besteht, hofft vor allem ein benachbarter Kindergarten, der auf Elterninitiative beruht. „Für uns ist der Spielplatz lebenswichtig“, sagt Christophe Bourdoiseau von der deutsch-französischen Kita Domino in der Lychener Straße. Sie sieht sich von den Forderungen der Gemeinde in ihrer Existenz bedroht – und auch schikaniert, weil Eingänge mit Vorhängeschlössern versperrt wurden.

Aktuell ist der Spielplatz nur 50 Meter von der Kita Domino entfernt. Andere neu gebaute Spielplätze in der Gegend, auf die der Stadtrat verweist – zum Beispiel gegenüber vom Friedhofspark in der Pappelallee – seien weiter weg und gerade für die Erzieher der Ein- bis Dreijährigen schwierig zu erreichen. Die Vorwürfe der Gemeinde sieht Bourdoiseau für seine Kita-Kinder nicht zutreffend: „Für Tote sind Kinder keine Störung, solange sie sich benehmen. Und unsere Kinder benehmen sich.“

 

Horrorvorstellung Mauerpark

 

Dem widerspricht Reuther nicht. Doch zu viele andere Gruppen nutzen den Park und nach jahrelangem Kampf ist der Leidensdruck offenbar zu groß. Sie wirkt zermürbt und ärgerlich.

So wird Reuther möglicherweise stellvertretend für die Gemeinde auf das Angebot des Bezirks eingehen. So klingt es im Gespräch. „Die Grenzen wurden nicht geachtet. Nun muss Schluss sein.“ Das heißt: Der Spielplatz soll weg. Einzig hofft sie, dass die Gemeinde das gärtnerische Pflegerecht für die Anlage heraushandeln kann. Ihre Horrorvorstellung: Zustände wie im Mauerpark.

 

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1 Kommentar

Steven 15. Januar 2018 at 21:28

Nun möchte Frau Anke Reuther dieses Gebiet bebauen, sprich, Wohnungen für die Reichen hin setzen lassen. Dafür werden alle Bäume gefällt, vielen Vögeln die Heimat genommen, uns die Luft genommen da jetzt noch weniger Grünflächen im Prenzlauer Berg vorhanden sind… Warum haben selbst die älteren Mitbürger noch immer nicht verstanden, dass jeder einzelne Baum, gerade im Wandel des Klimas, wichtiger ist denn je? Es sind nicht die Kinder, die das alles verursacht haben, sondern die Älteren, die über Jahrzehnte nicht auf unser Klima geachtet haben. Soll es so weiter gehen. Alles Grüne zerstören für noch mehr Beton? Wann hört das auf?
Geht es um Geld? Was wollen sie damit? Jede weitere fehlende Grünanlage innerhalb Berlins, macht die Luft noch dreckiger und die Stadt noch ekelhafter!
Sehr sehr traurig und nicht Verständlich!!!

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