Es darf nicht sein, was nicht sein kann

von Thomas Trappe 26. November 2015

Im Bezirk kann man derzeit keine Wohnung anmelden, die Verwaltung ist überfordert. Den einzigen Ausweg aus der Misere, ein privates Online-Angebot, torpediert man nach Kräften. Geht’s noch?

„Bitte werfen Sie eine Münze ein“. Der Satz ist zu hören in Kerkelings Standardwerk „Kein Pardon“, der Film mit dem glücklichen Lusthasen. Nach dem Satz folgt ein zweiter: „Bitte werfen Sie noch eine Münze ein“, dem später ein Hinweis folgt, doch bitte noch eine Münze einzuwerfen, bevor man die persönliche Glücksmelodie mitgeteilt bekommt. Was für eine schöne Metapher für das Prenzlauer Berger Bürgeramt. Oder anders gesagt: Was hat man in der Berliner Verwaltung eigentlich gegen eine funktionierende Berliner Verwaltung?

Dass man in der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, bezieht man eine neue Wohnung und will dies amtlich melden, zwangsläufig gegen das Gesetz verstößt, daran hat man sich ja inzwischen gewohnt. Wie vorgeschrieben innerhalb von zwei Wochen einen neuen Wohnsitz zu melden, das geht hier schon lange nicht mehr, und in Prenzlauer Berg schon mal gar nicht. Man gewöhnt sich an alles. Und deshalb ist es ja auch eine nette Herausforderung, wohin einen gerade die elektronische Terminvergabe des Prenzlauer Berger Bürgeramts konditionieren will. Wenn man zum Beispiel eine neue Wohnung anmelden möchte, um mal ein Beispiel der amtlichen Dienstleistungen herauszugreifen.

 

Selbst im Märkischen Viertel melden sich zu viele Leute an

 

Termine dafür bucht man auf der Internetseite der Bezirke, man kann dabei zwischen den einzelnen Bürgerämtern wählen. Nach alter Väter Sitte entschließt man sich dabei als Prenzlauer Berger intuitiv für das Bürgeramt Prenzlauer Berg. „Bitte wählen Sie einen Termin aus“, heißt es dann, es wird ein Kalender angezeigt. Blau markiert sind die Termine, die noch übrig sind. Der November ist komplett rot. Geschenkt. Bitte wählen Sie noch einen Termin aus, im Dezember. Nichts frei, nun gut. „Versuchen Sie doch den nächsten Monat.“ Januar also: nichts frei. Vielleicht der Februar, wäre immerhin noch in der gleichen Jahreszeit? „In der angegebenen Zeit gibt es keine Termine“, heißt es dann, denn: „Termine werden nur mit einem gewissen Vorlauf angeboten.“ Man könnte es auch einfacher sagen: Sie bekommen keinen Termin, weil Sie keinen Termin bekommen.

Man kann es aber auch in den anderen Bürgerämtern versuchen, Berlin ist da ja liberal. Pankow, Karow/Buch, Weißensee: Hier leider das gleiche Spiel wie gerade erlebt. Nachbarbezirk vielleicht? Mitte, Wedding, Tiergarten: Haha. Dann eben Bürgeramt Märkisches Viertel, wer meldet schon im Märkischen Viertel eine Wohnung an? Zu viele offenbar. Letztes Mal, erinnert man sich, hatte man es ganz gut im mobilen Bürgeramt Frohnau, das gastierte in einem idyllischem Altenheim. Wurde inzwischen leider geschlossen, das mobile Amt. Hermsdorf, inzwischen ist einem alles egal: No Chance. Dann also doch ein Leben in der Illegalität, mit zwölf hatte man sich so etwas ja sowieso mal vorgenommen.

 

Es funktioniert, es ist verdächtig

 

Oder eben nicht. Es gibt ja das Online-Angebot www.buergeramt-termine.de. Ein Unternehmen vermittelt hier für eine Servicegebühr freie Termine in Berliner Bürgerämter, was ob der geschilderten Umstände zwar wie Hexenwerk wirkt, aber auf einem Algorithmus fußt, der einen dauerhaft am Computer sitzenden Bürger simuliert, der sich Termine schnappt, sobald ein anderer sie absagt. Notwehr, möchte man meinen. Und wie immer, sobald in Berlin mal etwas funktioniert: Es erregt Misstrauen.

Von „schlimmen Zuständen“ schreibt Cornelius Bechtler, Fraktionssprecher der Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung Pankow. In seiner kürzlich gestellten Kleinen Anfrage geht es ihm zwar zunächst um die Unmöglichkeit, auf den Bürgerämtern einen Termin zu ergattern, mit den „schlimmen Zuständen“ meint er allerdings buergeramt-termine.de. „Warum kann eine Internet-Plattform monatelang unbehelligt Handel mit öffentlichen Dienstleistungen betreiben und dabei Geld verdienen?“, so Bechtlers Frage, und eine Antwort wäre sicher: Weil die hiesige Kreativbranche ihr größtes Potenzial schon immer aus einer in ihrer Vielfalt beeindruckenden Strukturschwäche der Stadt gezogen hat. Die Antwort des für die Pankower Bürgerämter zuständigen Stadtrats Torsten Kühne (CDU) klingt ein wenig anders. Man könne gegen die Plattform als Bezirk nicht vorgehen, sein Amt habe die Seite deswegen der Senatsverwaltung für Inneres gemeldet. Und die sehe, leider, keine rechtliche Handhabe dagegen.

 

Eine dreiviertel Stelle pro Amt soll es richten

 

Doch immerhin, erklärt Kühne weiter, habe sich das IT-Dienstleistungszentrum Berlin (ITDZ), eine Anstalt des öffentlichen Rechts unter Aufsicht eben jener Senatsverwaltung, etwas einfallen lassen. Das ITDZ betreibt die kollabierte Online-Terminvergabe des Landes und der Bezirke, und in Angesicht des funktionierenden Konkurrenten seien „zumindest technische Maßnahmen eingeleitet“ worden, so Kühne, „welche die automatisierten Terminbuchungen erschweren“. Man muss es ja immer wieder dazu sagen: Alle Beteiligten meinen das völlig ernst.

Gerade hat sich die rot-schwarze Koalition auf Landesebene geeinigt, das Personal in den Bürgerämtern aufzustocken. Drei Stellen pro Bezirk, das wäre eine dreiviertel Person pro Pankower Bürgeramt. Ein Vorschlag, was man damit machen könnte: Noch effizienter dafür sorgen, dass Alternativen zum Terminnotstand professionell torpediert werden. Die Alternative will man sich gar nicht ausdenken: Ein Bürgeramt für Bürger.

 

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