Bezirksentscheider, adieu! Und jetzt?

von Anja Mia Neumann 15. September 2016

Warnung vor einer Politik der Gefühle und 30 000 Einwohner mehr: Das letzte Treffen im BVV-Saal wurde persönlich. Viele Entscheider räumen ihre Stühle. Was heißt das für Pankow nach der Wahl?

Fünf Jahre lang haben sie ungefähr alle sechs Wochen gemeinsam getagt, die Damen und Herren Bezirksverordnete samt Vornesitzer vom Bezirksamt – stolze 42 Mal. (Wohlgemerkt, der BVV-Posten ist ein ehrenamtliches Vergnügen für eine Aufwandsentschädigung von 540 Euro im Monat.)

Am Mittwochabend trafen sie sich zum letzten Mal in dieser siebten Pankower Wahlperiode, bevor am Sonntag eine neue Bezirksverordnetenversammlung gewählt wird. Das läuft natürlich nicht ohne ein wenig emotionale Selbstbeweihräucherung ab. Es gab Blumen für jene, die sich entschieden haben, zu gehen, und viele Worte zum Abschied, auch nachdenkliche. Nämlich diese:

 

Blick zurück

  • „Wir haben viel erreicht, aber wir müssen uns um den Zustand unsere Schulen und anderer Liegenschaften kümmern, jetzt wo wir raus sind aus dieser unsäglichen Haushaltskonsolidierungsphase.“ BVV-Vorsteher Ronald Rüdiger (SPD)

 

Blick ins Jetzt

  • „Es geht um stadtenwicklungspolitische Fragen: Wir haben über 30 000 Einwohner mehr in Pankow als zu Beginn der Wahlperiode vor fünf Jahren.“ Bürgermeister Matthias Köhne (SPD)

 

Blick nach vorn

  •  „Im Moment werden viele Gefühle geschürt. Es wird an uns allen sein, diesen Gefühlen in der Politik nicht zu viel Raum zu geben. Eine Politik der Gefühle führt uns zurück in ein voraufklärerisches Zeitalter.“  BVV-Vorsteher Ronald Rüdiger (SPD)

 

Gelächter kam auf als Rona Tietje, Fraktionsvorsitzende der SPD und Anwärterin aufs Bürgermeisteramt, den Noch-Bürgermeister Köhne verabschiedete. „Du bist ein bisschen dröge vielleicht“, sagte die 34-Jährige. Und schob schnell hinterher: „Ich komme auch aus Norddeutschland – da gilt das als Kompliment.

 

Bald Ex-Bürgermeister von Pankow: Matthias Köhne (SPD) macht jetzt erst mal ein Jahr Pause“. Foto: Anja Mia Neumann

 

Köhne geht freiwillig nach zwei Amtszeiten. Er fühle keine Wehmut, sagte Köhne den Prenzlauer Berg Nachrichten. „Ich mache jetzt erst mal ein Jahr Pause – und dann mal schauen.“ Vor seinen Kollegen meinte er: „Es gibt ein Leben nach der BVV und nach dem Bezirksamt.“ Mit diesen Worten sorgte er für großen Applaus – und wohl auch ein wenig Trauer etwa auf den Bänken der Piraten. Noch mindestens bis zum 27. Oktober bleibt der 50-Jährige Bezirksbürgermeister. Dann soll sich die neue BVV bilden.

 

Drei von fünf aus dem Bezirksamt gehen

 

Neben Köhne verlassen auch Christine Keil (Linke) und Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) das Pankower Amt, die eine ist Stadträtin für Jugend und Immobilien, die andere Stadträtin für Soziales, Gesundheit, Schule und Sport.  Beide kandidieren fürs Abgeordnetenhaus, allerdings auf nicht sehr aussichtsreichen Listenplätzen.

Nach dem Abschied von diesen Dreien von insgesamt Fünf aus dem Bezirksamt (im Grunde ist das die Bezirksregierung) bleibt wenig, wie es bisher war. Nicht nur der Posten des Bürgermeisters wird frei, sondern auch mindestens zwei neue Stadträte wird es geben (das sind so etwas wie die Minister auf Bezirksebene). Übrig bleiben Jens-Holger Kirchner (Grüne), bisher Stadtrat für Stadtentwicklung, und Torsten Kühne (CDU), bisher Stadtrat für Verbraucherschutz, Kultur, Umwelt und Bürgerservice.

 

Alles neu gemischt – Posten und Ressorts

 

Doch auch die Ämter dieser übrigen Zwei verändern sich möglicherweise: Kirchner rechnet sich Chancen aus, mit den Grünen neuer Bezirksbürgermeister zu werden – so sie denn auf mehr Stimmen als die konkurrierende SPD kommen. Kühne dagegen möchte Stadtrat bleiben (vom eher unwahrscheinlichen Falle abgesehen, dass die CDU stärkste Kraft würde). Dafür dürfte die CDU aber stimmenmäßig nicht noch weiter überholt werden – etwa von der AfD.

Davon abgesehen: Auch die Ressortverteilung im Bezirksamt könnte nach der Wahl völlig neu zugeschnitten werden. Schule und Soziales etwa – so ist es vor der Wahl von einigen Bezirksverordneten zu hören – sollten nicht zusammenbleiben, da diese Bereiche in Pankow einfach zu groß und gemeinsam kaum stemmbar geworden seien.

Nach dem Schließen der Wahllokale um 18 Uhr am Sonntag, wissen wir mehr zu den Ergebnissen. Und damit auch, welche Grundlage es gibt für die Verhandlungen der Parteien in den kommenden Wochen: Es können Zählgemeinschaften (so etwas wie Koalitionen) gebildet werden. Die fünf Posten im Bezirksamt – ein Bürgermeister, vier Stadträte – werden über Rechnungen im sogenannten D’Hondt-Verfahren verteilt.

 

Die Prenzlauer Berg Nachrichten berichten am Abend des 18. Septembers live mit einem Ticker aus dem BVV-Saal in der Fröbelstraße.

 

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Ein paar Entscheidungen und Hinweise gab es an diesem letzten Abend trotzdem noch, die wir Euch im Schnelldurchlauf – ähnlich wie sie die Verordneten absegneten – aufschreiben:

 

  • Die Turnhallen Wichertstraße und Winsstraße – bis vor einigen Tagen noch Notunterkünfte für Geflüchtete – werden nicht vor Ostern saniert sein, sagt der Bürgermeister.

  • Das Bezirksamt soll prüfen, ob es Fahrradstraßen in Prenzlauer Berg geben kann, zum Beispiel in der Stargarder Straße und in der Gleimstraße.

  • Die Ernst-Thälmann-Statue an der Greifswalder Straße bekommt eine – vielleicht kritische – Schrifttafel. Dafür gibt es erst einen Workshop und dann einen Kunstwettbewerb.

  • Der Park zwischen Greifswalder Straße und Prenzlauer Allee wird kein Gartendenkmal, obwohl das einige wollten: Laut Landesdenkmalamt fehlen dafür die Voraussetzungen.

  • Der Spielplatz in der Rhinower Straße ist zu klein, um wie gefordert neue größere Mülleimer aufzustellen, vielleicht gibt es aber neue kleine.

  • Es gibt immer noch kein abschließendes Nutzungskonzept für den süd-westlichen Mauerpark und das Gewerbe dort.

  • Der Bezirk bekommt einen sogenannten Wunschbaum: An ihm können sich Kinder armer Familien etwas zu Weihnachten wünschen, das ihnen Pankower dann erfüllen dürfen.

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Du möchtest mehr wissen zur Abgeordnetenhaus- und Bezirkswahl 2016? Hier geht es zu unserer ultimativen Infoliste zur Wahl in Prenzlauer Berg.

Die Prenzlauer Berg Nachrichten haben die Bezirksbürgermeisterkandidaten getroffen. An einem Ort ihrer Wahl, der für sie Prenzlauer Berg ausmacht: Rona Tietje (SPD, 28,1% bei der letzten Wahl), Jens-Holger Kirchner (Grüne, 20,8 %), Sören Benn (Linke, 18,5 %), Torsten Kühne (CDU, 13,9%), Jan Schrecker (Piraten, 10,2%), Sophie Regel (FDP, 1,1%) und Herbert Mohr (AfD, /).

 

Gute Wahl wünschen die Prenzlauer Berg Nachrichten!

 

 

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