Unternehmen Schule

von Thomas Trappe 6. Juni 2014

Die Elinor-Ostrom-Schule könnte heute den Deutschen Schulpreis erhalten. Hier hat sich Berufsausbildung von Betrieben emanzipiert – und Schüler unterrichten inzwischen die Lehrer.

Die zehn Millionen Euro sieht man dem Haus in der Mandelstraße an. Diese Stange Geld wurde hier in den vergangenen Jahren vom Land investiert, und entsprechend schick sieht’s aus. Es bröckelt nicht von den Wänden, die Toiletten verdienen den Namen Sanitäranlagen – nicht selbstverständlich in Berliner Schulen. Auch diese Technikaffinität muss man sich erst mal leisten können: Im Schulhof wird per Display um Ruhe wegen stattfindender Abschlussprüfungen gebeten, und jedes Klassenzimmer verfügt über einen Beamer und eine Dokumentenkamera. Vom „Open Learning Center“ und dem anderen Schnickschnack ganz zu schweigen. Das Oberstufenzentrum „Elinor Ostrom“ ist eine Vorzeigeschule, und das könnte daran liegen, dass Direktor Stefan Marien hier nicht nur Wirtschaft unterrichtet, sondern die Schule selbst ein Unternehmen ist. Schüler bilden mit einer eigenen Firma Lehrer aus, bundesweit. Nicht zuletzt deswegen könnte das Prenzlauer Berger Oberstufenzentrum heute den mit 100.000 Euro dotierten Deutschen Schulpreis verliehen bekommen.

15 Schulen aus ganz Deutschland sind nominiert, die Robert Bosch Stiftung und die Heidehof Stiftung vergeben den Preis, überreicht wird er am Vormittag in der Heilig-Kreuz-Kirche von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Sollte Stefan Marien auf die Bühne gebeten werden, wird er dort erst erfahren, was an dem Oberstufenzentrum die Jury genau überzeugt hat. Vorschläge hat er in seiner Bewerbung genug gemacht: Auf zehn Seiten legte Marien, der die Schule seit acht Jahren leitet, dar, warum diese beispielgebend ist, geht es um Leistung, Unterrichtsqualität oder die „Schule als lernende Institution“. Dass die Schule Vorbild ist, weiß Marien aber eigentlich auch jetzt schon: Immerhin richtete das Haus in den vergangenen zwei Jahren zwei Konferenzen aus, zu denen hunderte Lehrer und teilweise Universitätsdozenten kamen, um etwas über neue Bildungswege zu lernen. „Wir sind schon Vorreiter“, sagt Stefan Marien. 

 

Betriebe bilden nicht mehr aus, die Schulen füllen die Lücke

 

Oberstufenzentren (OSZ) gibt es in Berlin und Brandenburg – sie richten sich an Jugendliche jenseits der zehnten Klassen. Sie können hier entweder ihre Fachhochschulreife machen, einen Teil ihrer dualen Ausbildung oder aber eine vollschulische Berufsausbildung. In den meisten Oberstufenzentren oder vergleichbaren Schulformen anderer Bundesländer nehmen die dualen Bildungsgänge den meisten Raum ein – an der Elinor-Ostrom-Schule nicht. Hier hat die vollschulische Berufsausbildung mit 650 Schülern in 27 Klassen und vier Ausbildungsberufen die größte Bedeutung. Die Schüler lernen dabei komplett in der Schule, nur ein dreimonatiges Praktikum in einer Firma schließt sich an. Das OSZ reagiert damit auch auf die Trägheit der freien Wirtschaft. „Nur noch 13 Prozent der Berliner Betriebe bilden aus“, sagt Stefan Marien, „das müssen wir dann auffangen“. Erklärbar sei dieses Defizit durch die hohe IT-, Dienstleistungs- und Start-Up-Quote in Berlin: Dort fehle es oft an Personal, Fachwissen oder Geld, um eine betriebliche Ausbildung anzubieten. „Die Ausbildungsinhalte sind meist zu komplex, als dass man sie einfach beim Zuschauen versteht, wie es früher noch oft der Fall war.“

Entsprechend musste die Elinor-Ostrom-Schule in den vergangenen Jahren aufrüsten, und man zeigte sich bei den Mitteln recht kreativ. Besonders stolz ist Stefan Marien auf seine „Lernbüros“. Hier verbringen die angehenden Kaufmänner und -frauen einen Großteil ihrer Schulzeit und simulieren Büro. Die herkömmliche Fächertrennung ist aufgehoben: So werden am zum Beispiel bei der Übungseinheit Personalmanagement Elemente aus Wirtschaftslehre, Sozialkunde und Rechnungswesen verbunden und dann projektbezogen durchexerziert. Verwendet wird dabei die Bürosoftware SAP. Die ist zwar für Schulen kostenlos, muss aber über Server von Universitäten bereitgestellt werden, was dann doch wieder Geld kostet und die Anschaffung für Schulen schwer macht. Und dieses Dilemma hat das Oberstufenzentrum mit einer Firmengründung gelöst.

 

Unterricht mit SAP ermöglicht Unterricht mit SAP

 

Auf SAP-Grundlage wurde vor sieben Jahren an der Schule die Lernplattform erp4school entwickelt, mit der betriebliche Prozesse simuliert werden und zwar so, wie es die Lehrer wollen, und nicht, wie es der Betrieb zufällig gerade ermöglicht oder erzwingt. 2008 setzten auch andere Schulen das Programm ein, heute sind es deutschlandweit mittlerweile um die 80. 2011 kam auch eine Schule in Kapstadt hinzu. Der Ostrom-Schule kommt dabei eine zentrale Rolle zu: Am Programm fertig ausgebildete Schüler weisen Lehrer anderer Schulen ein – die Schule bekommt dafür Geld. Dieses Geld wiederum geht an die Universität Magdeburg, die den Server für das Programm bereitstellt und den technischen Support. „Die Schüler sind natürlich sehr stolz, wenn sie anderen Lehrern etwas beibringen können“, sagt Marien. Indem sie SAP unterrichten, ermöglichen sie erst, dass sie mit SAP unterrichtet werden.

„Es ist wichtig für eine moderne Schule, dass sie externe Partner hat“, davon ist Stefan Marien überzeugt. Er selbst machte 1988 bei IBM eine duale Ausbildung. Das ist gar nicht so lange her, und trotzdem gab es damals in dem IT-Unternehmen keine PCs für die Lehrlinge, erinnert er sich. Soll heißen, die Zeiten ändern sich in der Berufsausbildung massiv, da gilt es mitzuhalten. Praxis gewinne im Schulalltag an Bedeutung, die Schule werde zunehmend selbst zum Ausbildungsbetrieb. „Man kann das traurig finden, muss es aber akzeptieren. Zurückdrehen lässt sich das Rad nicht.“

 

Preisgeld wird mit Schülern verteilt

 

Marien geht es besser als Schulleitern anderer Schulen. „Ich habe mehr Freiheiten“, sagt er, geht es zum Beispiel um Personal- oder Budgetentscheidungen. Er ist es, der in den vergangenen Jahren fleißig Anträge für EU-Förderungen ausfüllte; er musste nicht wie die meisten anderen Schulleiter darauf warten, dass das die Kommune oder das Land das für ihn tun. Freilich ist er auch auf die Zuwendungen des Schulträgers, das Land Berlin, angewiesen – kann aber darüber hinaus Mittel akquirieren. Auch die 100.000 Euro, die seine Schule unter Umständen in wenigen Stunden erhält, kann er direkt in seine Schule stecken. Geplant ist noch nichts, sagt er. „Wenn es soweit ist, will ich das mit dem Schülern besprechen. Das haben wir so verabredet.“

 

Nachtrag, 6. Juni, 12 Uhr:

Die Elionor-Ostrom-Schule ist dann doch leer ausgegangen. Der Deutsche Schulpreis ging an die Städtische Anne-Frank-Realschule in München. Herzlichen Glückwunsch.

 

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