„2005 ist die Sanierung aus dem Ruder gelaufen“

von Redaktion der Prenzlauer Berg Nachrichten 25. März 2013

Hartmut Seefeld berichtete für das Magazin „Vor Ort“ 20 Jahre lang über Sanierung in Prenzlauer Berg. Das Magazin gibt es nun nicht mehr. Ein Blick zurück.

1992 wurde das Magazin Vor Ort“ ins Leben gerufen. Kommunal gefördert aus Sanierungsmitteln sollte es den Wandel in Prenzlauer Berg begleiten. Von Anfang an dabei war Hartmut Seefeld. Vor kurzem wurde das Magazin eingestellt, da die Förderung ausläuft. Im Gespräch blickt Seefeld zurück. Und erklärt, warum Gentrifizierung für ihn nicht das Problem ist – sondern Homogenisierung.

 

Herr Seefeld, seit 20 Jahren schreiben Sie Artikel über Sanierung. Blicken wir mal zurück in das Jahr 1992. Löste das Wort Sanierung schon damals bei einem Großteil der Prenzlauer Berger ein ungutes Gefühl aus?

Oh ja. Ich habe vor kurzem mit Kollegen die ganzen alten Ausgaben mal angeschaut und es ist schon auffällig, wie wenig anders es damals war. Die gleichen Schlagzeilen: Verdrängung, Mietexplosion, „Wir bleiben Alle“. Genau wie heute. Nur das Wort Gentrifizierung fiel damals noch nicht.

 

Aber die Situation war doch eine grundsätzlich andere: Die Bausubstanz bröselte, an Sanierung ging kein Weg vorbei. Schwer vorstellbar, dass die Leute heiß darauf waren, in Wohnungen zu leben, deren Balkone sie nicht betreten durften, weil sie sonst abfielen.

Es stimmt, dass die Struktur hier desolat war. Unzumutbar eigentlich. Und das Problem war damals wie heute ja nicht, dass die Wohnungen saniert werden. Sondern, dass sie für den durchschnittlichen Prenzlauer Berger nach der Sanierung nicht mehr bezahlbar waren. Denn egal ob Künstler oder Arbeiter – arm waren alle gleichermaßen. Deshalb gab es 1992 Wir-bleiben-Alle-Demos, und deshalb gibt es heute die Gleimstraße 52. Was nichts daran ändert, dass die Gleimstraße 52 ein hochgradig marodes Haus ist, in dem dringender Handlungsbedarf besteht.

 

Womit wir bei dem altbekannten und frustrierendem Alles-oder-Nichts-Dilemma sind.

Würde ich nicht sagen, denn man hatte ja Anfang der 90er durchaus wirksame Gegenmaßnahmen. Es wurde damals von staatlicher Seite sehr viel Geld für Sozialplanverfahren ausgegeben. Es gab Ausweichwohnungen, Modernisierungsvereinbarungen et cetera. Man hat damit soziale Verwerfungen gedeckelt. Aus gutem Grund: In Kreuzberg war in den 80ern erlebbar, was passiert, wenn man das nicht macht. Das war schon zunächst ein guter Weg in Prenzlauer Berg.

 

Dass die Sanierung in Prenzlauer Berg auch für die Mieter gut lief, das hört man aber auch eher selten.

Wir reden von den 90ern. Und von Modellen wie der Selbstbau eG – da gibt es heute noch Nettokaltmieten um die zwei, drei Euro. 2001 gab es einen politischen Schwenk und das neue Motto hieß: Privates Geld für privates Eigentum, öffentliches Geld für öffentliches Eigentum. Damit war die Förderung der Wohnungssanierung in Prenzlauer Berg und ganz Berlin faktisch beendet. Aber wer auf das Engagement privaten Kapitals setzt, der holt sich auch das Prinzip des privaten Kapitals ins Haus: Gewinnorientierung.

 

Was hätte man anders machen können?

Mehr öffentliches Geld in die Hand nehmen. Aber das war in der hochverschuldeten Stadt Berlin natürlich nicht so ohne weiteres möglich. Aber es gab auch noch andere Wege. Zum Beispiel Mietobergrenzen. Die Entscheidungen dazu zählen wahrscheinlich zu den nachhaltigsten Beschlüssen, die hier im Bezirk jemals getroffen und umgesetzt wurden.

Diese Mietobergrenzen legten die Einstiegsmieten fest, die nach einer Sanierung gelten durften. Vier Euro waren damals eine gängige Größe, ermittelt auf Basis von Gutachten. Dem Eigentümer wurden dabei keine künstlichen Beschränkungen bei der Sanierung auferlegt, wie jetzt bei dem sogenannten Luxusverbot, das sowieso keine relevante Wirkung bei der Eindämmung des Mietenanstiegs erzielen wird.

Die Mietobergrenzenregelung hatte bis 2005 Bestand, dann hat sie das Oberverwaltungsgericht kassiert. Übrigens wegen eines Hauses in der Rigaer Straße in Friedrichshain. Das war auch ein Fehler des dortigen Bezirksamts. Wäre dieser Streit nicht vor Gericht gelandet, hätte man heute vielleicht noch immer Mietobergrenzen. Stattdessen ist die Sanierung danach aus dem Ruder gelaufen, auch und vor allem in Prenzlauer Berg.

 

Wenn es Mietobergrenzen gibt, wer soll da noch investieren? Ohne privates Geld funktioniertes ja auch nicht.

Sehe ich anders. Die Mietobergrenze muss natürlich auf einem Niveau liegen, welches trotzdem eine Rendite ermöglicht. Dann finden sich auch Investoren. Und jene, denen es nur um den schnellen Profit geht, bleiben weg. Das schadet ja nicht.

 

Nun ist es anders gekommen. Was sind die Folgen für Prenzlauer Berg?

Eine unglaubliche Homogenität. Eltern zwischen 25 und 40 Jahren und ihre Kinder. Heute haben wir überfüllte Schulen, bald haben wir leere Schulen. Diese Homogenität ist in meinen Augen das weitaus größere Problem als die Gentrifizierung.

 

Heute überfüllte Schulen, morgen überfüllte Altersheime – das ist ja ein recht eingängiges Bild. Aber es ist eben auch nur eine These. Wer sagt denn eigentlich, dass hier künftig keine neuen jungen Familien hinziehen?

Dazu braucht es Wohnungen. Und warum sollten denn die, die jetzt hier wohnen, diese freimachen, es ist doch so schön hier.

 

Vielleicht wollen sie ja ins Grüne ziehen, hoch nach Buch oder gleich Brandenburg.

Der eine oder andere vielleicht. Aber einen großen Austausch wird es nicht mehr geben, davon bin ich überzeugt.

 

20 Jahre Sanierung. Wir haben keine Wahl: Wir müssen über Schwaben reden. Wie finden Sie die Diskussion?

Recht müßig. Früher waren es die Sachsen, die in Berlin einen schlechten Leumund hatten, heute sind es die Schwaben. Das sind natürlich Stellvertreterdiskussionen. Ich bin mir übrigens sicher, dass das wenig mit dem oft kolportierten Ost-West-Konflikt zu tun hat.

 

Sondern?

Das ist ein innerschwäbischer Konflikt, wenn wir es mal so nennen wollen. Anfang der 90er kam die erste Generation Zuzügler aus dem Süden und Westen. Sie mochten den morbiden Charme der Stadt. Inzwischen ist es die dritte Generation, und die macht der ersten Angst, weil sie das verkörpert, wovor sie geflüchtet sind. Das Schwaben-Bashing ist so entstanden, befeuert wird es aus Sozialneid.

 

Zum Schluss wollen wir noch mal einen Blick auf die erste Ausgabe „Vor Ort“ werfen. Was haben wir hier – ah ja, eine Kolumne. „Es sage mal einer, es tut sich nichts im Mauerpark. Die Entscheidung ist gefallen, der ehemalige Mauerstreifen wird zu einem Volkspark.“

Ich habe ja gesagt: Die gleichen Themen wie heute. Auf der letzten Seite ging es übrigens um das alte Stadtbad in der Oderberger Straße.

 

Herr Seefeld, vielen Dank für das Gespräch!

 

Das Interview führten Juliane Wiedemeier und Thomas Trappe.

 

 

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