Zum Diskutieren in den Salon

von Thomas Trappe 30. August 2013

Lutz Frühbrodt mag lebendige Debatten, findet sie aber kaum noch. Deshalb hat er einen Debattier-Club gegründet, man trifft sich in der Rykestraße. Das Ziel: Die „Zweite Aufklärung“. 

Als Lutz Frühbrodt neulich „heute“ sah, die Nachrichtensendung des ZDF, war es wieder soweit. „heute“, das ist die Sendung, in der das Weltgeschehen gerne einmal kindgerecht zubereitet wird, vorverdaut sozusagen. „Schlimm war das, völlig unmotiviert“, sagt Frühbrodt, der lange als Journalist arbeitete. Frühbrodt sieht jetzt nicht direkt bemitleidenswert aus, wie er sein Getränk im Café in der Sredzkystraße zu sich nimmt, dazu ein Cookie, aber der Mann leidet schon etwas. An bunten Nachrichtenshows, den Jauch-Events und nahezu allem anderen, was im Fernsehen so läuft und die Diskussionskultur in diesem Land laut Frühbrodt bestimmt. Nun könnte er den Fernseher einfach wegschmeißen, will man meinen, aber Frühbrodt entschied sich für eine produktivere Frustkanalisierung: Er gründete, zusammen mit seiner Frau, einen Salon. Seit 2011 gibt es den in der Rykestraße, und er trägt einen etwas zu großen Namen: „Die Zweite Aufklärung“.

Die erste Aufklärung war ja eine ziemlich große Nummer, und deshalb stellt sich die Frage, ob sich Frühbrodt, der mit seiner Frau und seinem eigenen Verein den Salon für derzeit rund 50 Sympathisanten betreibt, sich nicht etwas verhoben, wenn er sich auf Rousseau et al. beruft. „Es geht nicht darum, den Aufklärungsgedanken einfach ins 21. Jahrhundert zu katapultieren“, sagt Frühbrodt, „und wir planen auch nicht den ganz großen Wurf wie Rousseau“. Darum gehe es: „Einer systematischen Entpolitisierung in der Gesellschaft entgegen zu wirken.“ 

 

Abwendung vom Jauch-Prinzip

 

Etwas konkreter jetzt mal. Seit Frühjahr 2011 treffen sich im unregelmäßigem Ein- bis Zweimonatsabstand Frühbrodt und an die 20 bis 30 Gäste im Salon, der gleichzeitig das Wohnzimmer des Gastgebers ist. Vorbild, so Frühbrodt, seien die Salons des 18. Jahrhunderts, in denen „Menschen zusammenkommen, um politische, philosophische oder auch literarische Gespräche zu führen, kurz: um Geist und Geselligkeit zu vereinen“. Ein Schriftsteller und ein Philosoph sprechen zum Thema Tugend, eine Entwicklungshelferin über ihre Arbeit in Mali und die Grenzen der Entwicklungshilfe. Und so weiter, bisher gab es 17. Salonabende.

Im vergangenen Jahr war unter anderem den Berliner Büroleiter von Lobby Control, Timo Lange, zu Gast, ein anderes Mal wurde die Frage in den Raum gestellt, ob es so etwas wie eine europäische Identität gebe. Nach einem Eingangsreferat sind die Gäste aufgerufen, das Thema zu drehen und zu wenden. Von Zuhörern spricht Frühbrodt bewusst nicht. „Jeder, der kommt, bringt sich ein.“ Es soll ja gerade ein Gegenentwurf sein zum Jauch-Prinzip, in dem Streit-Darsteller überraschungslose Choreografien vor duldsamen Publikum präsentieren.

 

Mental Wellness vom Schreiner bis zum Wissenschaftler

 

Frühbrodt wurde vor 51 Jahren in West-Berlin geboren, ist seit Langem aber in Prenzlauer Berg heimisch. An der FU und in den USA studierte er Nordamerika-Wissenschaften, promovierte später in Volkswirtschaft. Von 2000 bis 2008 arbeitete er bei der „Welt“ als Wirtschaftsredakteur, was ungewöhnlich ist, da Frühbrodt sich und seinen Salon als linksemanzipatorisch bezeichnet. „Es war eine schöne Zeit“, sagt er. Seinen Job gab er auf für eine Professur, die er seitdem an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt innehat, Frühbrodt leitet den Studiengang „Technik, Wirtschaft, Kommunikation“. 

Die Idee zum Salon entstand aus oben angedeuteter Frustration. Frühbrodt wollte einen Ort schaffen, „an dem aus Spaß an der Diskussion und Lust auf Erkenntnisgewinn debattiert wird, nicht langweilig und nicht akademisch, aber auch nicht oberflächlich“. Interessenten hätten sich schnell gefunden, er erreichte sie über diverse Mailverteiler und durch persönliche Kontakte. Eine klare Zielgruppe für den Salongedanken scheint es dabei nicht zu geben: Ein Unternehmensberater, ein Hartz-IV-Empfänger, ein Schreiner, ein Wissenschaftler – die Vereinsstruktur ist recht divers, erklärt Frühbrodt. „Alle eint, dass sie die lebhafte Diskussion als eine Art Mental Wellness betrachten. Für viele ist es auch ein Ausgleich, weil sie im Berufsleben diese Art des Austausches vermissen.“

 

Diskussion über Meinungsfreiheit in Ungarn

 

Seit vergangenem Jahr vergibt Frühbrodts Verein einen Medienpreis, „immerhin ist die Grundidee des Salons ja auch aus einer Art Medienkritik entstanden“, so Frühbrodt. Der „Sonderpreis Medienkritik“ wurde vom Verein gestiftet und wird im Rahmen des Alternativen Medienpreises der Nürnberger Medienakademie vergeben. Die erste Trägerin des Sonderpreises war 2012 Sugarka Sielaff. Die Fernsehjournalistin wird am heutigen Freitagabend beim 18. Salonabend um 19.30 Uhr im Salon zu Gast sein; sie zeigt ihren für Arte produzierten Dokumentarfilm zur Meinungsfreiheit in Ungarn, die dann auch Thema der folgenden Diskussion sein soll. Anmeldungen für den Abend sind noch möglich, per Mail an Lutz Frühbrodt.

 

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