Der Glamour des Frotteehandtuchs

von Brigitte Preissler 2. März 2011

Eine Fotografie-Ausstellung zeigt den Alltag hinter den Kulissen des Berliner Staatsballetts

Den kenn‘ ich doch irgendwoher, denkt man beim Vorbeigehen. Und ja, es ist Vladimir Malakhov, der Tänzer (manche sagen sogar: Jahrhunderttänzer) und Intendant des Berliner Staatsballetts. Im Schaufenster der Galerie „exposure twelve“ hängt ein Bild von ihm. Darauf tanzt er allerdings nicht, er guckt nur. Schaut direkt in die Kamera, wirkt sehr würdevoll, ernst und androgyn. Kerstin Zillmer hat ihn so fotografiert. Sie begleitete das Leben und Arbeiten seiner Compagnie von 2007 bis 2010 in den Räumen der Staatsoper unter den Linden. Nicht auf der Bühne wohlgemerkt, sondern hinter den Kulissen: In den Garderoben, auf den Gängen, in den Duschen. Und die Bilder, die dabei entstanden, werden derzeit in besagter Galerie in der Senefelder Straße gezeigt.

 

„Sie sind wunderschön, man möchte gar nicht gehen,“ sagt eine der ersten Besucherinnen. Dann geht sie zwar doch, verspricht aber, bald wiederzukommen. Ja, sie sind tatsächlich sehr dekorativ, diese Fotografien. Obwohl darauf viel Altes und Kaputtes zu sehen ist: Altmodische Duschen, abgeschrabbelte Türrahmen, rissige Wände und uralte, abgewetzte Sessel, aus deren Polsterung die Füllung hervorquillt. „Vintage“ – so würde das mancher clevere Verkäufer vom Mauerpark-Flohmarkt wohl nennen. Vielleicht auch: „Dekorative Gebrauchsspuren.“ In die kleine Zweiraum-Galerie mit ihren knarzenden Dielen, der antiken Heizung und den braun-beigen Retro-Sesselchen passt dieser marode Schick jedenfalls bestens. 

 

Das große Thema dieser Arbeiten ist Vergänglichkeit – und zwar nicht nur, weil darauf manches Schadhafte zu sehen ist. Sondern weil diese noch nicht sehr alten Bilder bereits jetzt Historisches zeigen. Denn die von Richard Paulinck 1955 wieder aufgebaute klassizistische Staatsoper Unter den Linden wird ja derzeit saniert. Und zwar mitsamt ihrem Intendanzgebäude, das sich gewissermaßen „hinter den Linden“ befindet – es ist durch einen unterirdischen Gang mit der Staatsoper verbunden. Zillmers Ausstellung heißt „Hinter den Linden,“ weil sie viele ihrer Bilder in den dortigen Probesälen und Garderoben aufnahm. Derzeit aber zieht Malakhovs Staatsballett Berlin in die Deutsche Oper um. Insofern sind die Fotografien keineswegs „nur“ dekorativ; sie haben auch einen dokumentarischen Wert.

 

Goldene Herrenschuhe, daneben Dampfbügeleisen

 

Man kann auf ihnen regelrecht der Zeit beim Verstreichen zusehen. Denn Kerstin Zillmer hat einen scharfen Blick für die zeitlose Würde und Autonomie der Dinge jenseits aller Epochenzuschreibungen. Sie liebt es, Gegenstände aus unterschiedlichsten Zeiten und Lebenszusammenhängen nebeneinander zu stellen; Spitzenschuhe und knallbunte Frotteehandtücher zum Beispiel, Tutus und Plastik-Badelatschen. Eine an sich recht elegante Tür ist über und über mit quietschbunten Stickern beklebt – in manchen Ecken der Staatsoper sah es offenbar aus wie in der Villa Kunterbunt. Durchgetanzte Herrenschuhe in der Farbe Gold gesellen sich zu einer ganzen Armada moderner Dampfbügeleisen. Ein klassizistischer Fenstersims wird von DDR-Gardinen umweht. 

 

Zillmers Lieblings-Bildausschnitt ist meistens der, auf dem die überraschendsten Stilbrüche stattfinden. Und wenn man sie fragt, wie sie arbeitet und welche Motive sie spannend findet, erklärt sie: „Die Dinge entwickeln im zufälligen Zusammenspiel eine eigene Sprache und werden lebendig.“ Ihr Thema seien vor allem Räume, sagt sie auch; doch Kerstin Zillmers Porträts können sich ebenfalls sehen lassen. Wenn sie Tänzer und Tänzerinnen fotografiert, dann nicht als umjubelte Bühnensolisten, sondern in Chill-Out-Montur mit Jogginghose, Puma-Mütze und Goldkettchen. Oder einfach als Menschen, die halt auch mal duschen müssen. Ballettgeschichte trägt bei Kerstin Zillmer eben keine Maske und auch kein Kostüm. Sie zeigt den Alltag hinter all dem Bühnenglanz; seinen beschädigten, aber würdigen Glamour.

 

Kerstin Zillmer, geboren 1962, studierte Fotografie bei Vicente del Amo in Granada (Spanien) und war Meisterschülerin von Arno Fischer in Berlin. Seit 1993 lebt und arbeitet sie in Berlin.  


Die Ausstellung in der Galerie „exp12“, Senefelder Straße 35, läuft noch bis 1. Mai und ist zu folgenden Zeiten geöffnet: Donnerstags und freitags von 16 bis 20 Uhr, am Wochenende von 14 bis 20 Uhr. Weitere Informationen unter www.exp12.com

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