Warum tanzen Sie nackt, Beatrice Cordua?

von Brigitte Preissler 10. März 2011

Provozieren wollen Thomas Langkau und Beatrice Cordua mit ihrem ungewöhnlichen Tanzstück “Das 20. Jahrhundert“ angeblich nicht. Aber was dann? Wir haben sie vor der heutigen Premiere im “Dock 11″ dazu befragt.

Frau Cordua, Sie waren lange Solotänzerin bei John Neumeier in Hamburg und Frankfurt. Er gilt unter den modernen Choreographen als der klassischste und konsumierbarste. Was Sie jetzt machen, ist das absolute Gegenprogramm dazu. Warum?

Cordua: Ich fand Ballett nie „konsumierbar“. Die Ästhetik des klassischen Tanzes, von „Schwanensee“ oder „Giselle“, ist radikal, und ich habe von Anfang an gerne radikale, eindeutige Sachen gesehen. Es gab keine Abkehr, sondern eine langsame Entwicklung. 

 

Kann man es so brutal sagen: Ballett – im klassischen Sinne – geht bis zu einem gewissen Alter, Tanztheater dagegen kann man auch als älterer Mensch noch machen?

Langkau: Irgendwann hört man auf mit den klassischen Formen. Weil man es einfach körperlich nicht mehr kann. Wir tanzen zwar teilweise noch klassisch, aber auf sehr eine reduzierte Weise. Weil es einfach unser Vokabular ist. Aber es gibt eben gerade im Alter auch andere Ausdrucksformen.  

 

Welche genau sind das in „Das 20. Jahrhundert“, worum geht es da?

Langkau: Es geht darum, dass wir als nicht mehr ganz junge Menschen solche Stücke machen können. Weil wir dieses Jahrhundert erlebt haben. Es war für uns einmal Zukunft oder Gegenwart, und wurde Vergangenheit. Tiefste Vergangenheit. Trotzdem gibt es Formen dieses Jahrhunderts, an denen wir festhalten. Manche werden sagen, wir seien irgendwo steckengeblieben, zum Beispiel in dieser Schrottästhetik, die wir hier haben. Oder dass man sich auszieht auf der Bühne. Im 20. Jahrhundert war das unheimlich innovativ. Jetzt denkt man eher: Schon wieder (lacht).

 

Sind Sie, Thomas Langkau, in dem Stück denn auch nackt? 

Langkau: Nein.

Cordua: Aber ich ziehe mich aus. 

 

Sie sind ja bekannt dafür, dass Sie das gern machen. Warum eigentlich?

Cordua: Es fing mit Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ an, für John Neumeier in Frankfurt. 1969 war das, glaube ich. Das letzte Solo tanzte ich damals nackt. Es war ziemlich schrecklich anzusehen. Bei der Generalprobe ist eine Frau in Ohnmacht gefallen. Das war ein ziemlicher Skandal. Aber ich habe damit weitergemacht, mich mit dem Solo auch von der Bühne verabschiedet. 

 

Was reizt Sie heute noch daran? Kommenden Samstag werden Sie immerhin 70.

Cordua: Die Nacktheit ist auch ein Kostüm. Ich finde, es ist genau so legitim. Wir werden alle immer älter, warum soll man das verstecken. Und dieser Zustand, in dem ich mich befinde, wenn ich nackt bin, ist ein Zustand, den ich anders nicht herstellen könnte. Dieses Rohe, dieses rohe Dastehen. Es ist eine gewisse Blöße, die ich auch gerne zeige. Irgendwie muss es eben sein.

Langkau: In dem neuen Stück macht sie das gleich von Anfang an. Dann haben wir und das Publikum es hinter uns. Dann kann sie sich auch wieder anziehen. 

 

Geht es Ihnen um die Provokation, um den Schock?

Langkau: Nein. Es geht um eine Verletzlichkeit. Wir sind nackt, wenn wir geboren sind, wir sind nackt, wenn wir sterben. Zwischendurch hat Nacktheit etwas mit Erotik zu tun. Aber je älter wir werden, je älter Trixie (d. i. Beatrice Cordua, Anm. d. Red.) wird, desto weniger hat es mit Sex zu tun. Und das ist das Schöne daran. Sie ist kein Objekt der Begierde mehr. Dieses Stück hat so wenig mit Sex zu tun wie nur irgendwas …

Cordua: Wer weiß! (lacht).

Langkau: … und deshalb können wir völlig unschuldig mit diesem Thema umgehen.

Cordua: Mir kam nach einer Premiere einmal eine Frau mit dem Regenschirm hinterher. Ich war entsetzt, ich habe so geweint. Es war ein so feines, ordentliches Stück. Und die Leute waren so schockiert. Aber vielleicht gehen viele ja ins Theater, um das zu sehen, was sie schon kennen. 

 

Im Publikum gibt es oft einen gewissen Überdruss an der scheinbar allgegenwärtigen Nacktheit auf der Bühne. Haben Sie dafür Verständnis?

Langkau: Mir ist dieser Überdruss völlig wurscht. Wir haben uns nie Gedanken darüber gemacht, ob jemand sehen möchte, was wir machen. Es gab schon ganz andere Stücke von uns, in denen Trixie auf der Bühne masturbiert hat. Kein einziger Mensch hat applaudiert.

Cordua: Einige haben geweint.

 

Stimmt es, dass Sie auf der Bühne auch urinieren? 

Cordua: Ja, im letzten Stück „Trixie schreit.“ Es gehörte zu einem vollkommen verzweifelten Moment, in dem man vor lauter Elend nichts mehr halten kann. 

 

Mussten Sie dafür eine innere Schamgrenze überwinden?

Cordua: Scham habe ich nur vor mir selber. Mich interessiert, was der Mensch ist. Was einem passiert. Und das möchte ich auch zeigen. 

Langkau: Man fühlt keine Scham, wenn man ein Kind gebiert. Auch nicht, wenn man stirbt. Bei den existenziellen Sachen, mit denen wir uns beschäftigen, ist Scham einfach kein Kriterium. Diese Zustände sind da, und wir transportieren sie nach außen. Wir verdecken nichts. Wir spielen nicht. Wir sind so, wie wir sind. 

 

Das 20. Jahrhundert, Vorstellungen 10. bis 13. März im Dock 11, Kastanienallee 79, jeweils um 20.30 Uhr. Karten unter 448 12 22 oder unter ticket@dock11-berlin.de 


Thomas Langkau, Tänzer und Choreograph, leitete bis 1996 das Tanztheater am Stadttheater Gießen. Seitdem tanzt und choreographiert er an Theatern in Berlin, Frankfurt, Darmstadt, Kassel, Osnabrück u. a. 

Beatrice Cordua war lange Erste Solotänzerin beim Hamburg Ballett von John Neumeier. In Berlin wirkte sie als Trainingsleiterin und Tänzerin unter Johann Kresnik in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Seit 2004 ist sie freie Tänzerin und Choreographin in Berlin. 

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