Tanz ist wie Beuys

von Brigitte Preissler 2. Juni 2011

Und braucht auch mehr Öffentlichkeit, sagt Walter Bickmann. Deshalb filmen er und Doris Kolde wichtige Berliner Produktionen und stellen die Ergebnisse ins Netz. Mit steigenden Klickzahlen.

Wenn Walter Bickmann sich zehn, fünfzehn Löffel und Gabeln nacheinander in den Mund stopft, sieht das sehr eindrucksvoll aus. Oder wenn er aufgeblasene Gummihandschuhe liebkost. Walter Bickmann ist Tänzer und Choreograph, und in seiner Produktion „Simplicity“ (2007) tut er diese und andere ungewöhnliche Dinge. Bickmann ist aber auch Videokünstler und Tanzdokumentarist, von seiner Wohnung in der Hagenauer Straße aus betreiben er und seine Frau Doris Kolde die Seite www.tanzforumberlin.de. Sie haben dafür gesorgt, dass alle Menschen mit Internetanschluss Bickmann beim Handschuh-Gekuschel und Besteck-in-den-Mund-stopfen zusehen können: Der Trailer zum Stück ist hier zu finden. 

Doch es geht den beiden nicht nur um die Präsentation eigener Stücke. Sondern um Tanz im allgemeinen. Ihre Seite richtet sich an jeden, der wissen möchte, was tanzmäßig los ist in Berlin. Und vielleicht auch gern besser verstünde, was Tänzer und Choreographen so umtreibt mit ihren Stücken, die ja auf Laien mitunter hermetisch und unverständlich wirken können. „Mit Tanz ist es wie mit der bildenden Kunst,“ findet Bickmann. „Du gehst ins Museum, schaust Dir ‘nen Beuys an und wunderst Dich. Man muss die Sachen kontextualisieren, man muss Hintergrundwissen haben, um einen Zugang zu bekommen. Das versuchen wir mit unserer Seite.“

 

„Tanz funktioniert nonverbal“

 

Es mag vergleichbare Angebote geben; auf tanzraumberlin.de zum Beispiel gibt es ebenfalls viele Informationen zum Thema Tanz. Bickmann und Kolde aber haben eine der Tanzkunst besonders angemessene, anschauliche Form gefunden: Das Besondere an ihrer Seite ist die Einbindung bewegter Bilder. Sie filmen die kompletten Vorstellungen wichtiger Berliner Choreographen und Nachwuchskünstler. Zwar können sie die Videos aus urheberrechtlichen Gründen nicht in voller Länge online stellen. Doch sie veröffentlichen drei- bis fünfminütige Trailer, die ein komprimiertes Abbild des jeweiligen Stückes geben. So braucht jemand, der sich über Tanz informieren will, nicht zwangsläufig lange Erklärungen zu lesen, sondern kann einfach erstmal nur gucken. „Tanz funktioniert nonverbal,“ so Bickmann. Zusätzlich gibt es Interviews zu aktuellen Produktionen und einen Tanzkalender, außerdem sind die Seiten der Künstler und Spielstätten verlinkt. 

Bickmann selbst blickt auf eine imposante Tänzerkarriere zurück, unter anderem hat er an der Staatsoper Wien und in Johann Kresniks Choreographischem Theater an der Berliner Volksbühne gearbeitet. Videokunst und Projektionen band er dabei schon immer gern ein. Später absolvierte er eine Ausbildung zum Videodesigner. Doris Kolde, ursprünglich Bühnenbildnerin, kümmert sich um Dramaturgie, um Produktionsleitung und PR.

 

Ehrenamt aus Überzeugung

 

Wenn man die beiden fragt, warum sie ihre Seite drei Jahre lang ehrenamtlich betrieben, antwortet Bickmann: „Aus Überzeugung. Weil ich das politisch wichtig fand. In den Nuller Jahren wurde bei vielen Medien die Kulturberichterstattung eingeschränkt, Redaktionen wurden zusammengelegt, es gab Synergieeffekte. Mit dem Ergebnis, dass weniger Kritiker unterwegs waren und in den Zeitungen weniger Platz war. Abgesehen von den großen Produktionen, wie Sasha Waltz oder Constanza Macras, fand Tanz in der Öffentlichkeit kaum noch statt. Also haben wir uns überlegt, wie wir das wieder wahrnehmbarer machen können.“ Der Plan scheint aufzugehen: „Wir hatten diesen Monat rund 23 000 Besucher auf der Seite. Keine Klicks wohlgemerkt, sondern Besuche. Vor einem Jahr waren es noch 10 000.“

Ganz umsonst arbeiten Kolde und Bickmann inzwischen nicht mehr. Seit Januar 2011 haben sie vom Berliner Senat den Auftrag, geförderte Tanzproduktionen für die Archive zu dokumentieren. Ein Teil der Videos landet seither in „Full Length Version“ in der Bibliothek der Universität der Künste, im Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz und im Mime Centrum und ist dort für Forschung und Lehre zugänglich. Was die beiden aber nicht davon abhält, darüber hinaus auch weiterhin ungeförderte Produktionen zu dokumentieren.

Über aktuelle Tanzproduktionen in Prenzlauer Berg kann man sich auf tanzforumberlin.de natürlich ebenfalls informieren. „Die beiden wichtigsten Institutionen hier im Kiez sind die Halle Tanzbühne und das Dock 11. Aber auch die Brotfabrik macht ab und zu was, das K77 oder die Galerie unter Berlin,“ so Bickmann. Auch er selbst wird übrigens 2011 noch zwei Mal in Prenzlauer Berg tänzerisch in Aktion treten, einmal davon mit den Gummihandschuhen. Wo und wann? Nun: Das dürfte ja jetzt für jedermann leicht herauszufinden sein. 

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