Porträt des Herings

von Brigitte Preissler 2. September 2014

Der Verlag „Matthes und Seitz Berlin“ in der Göhrener Straße wird 10. Warum sogar ein Monsterbuch und eine „Insektopädie“ in den eher philosophisch ausgerichteten Verlag passen, erklärt Gründer Andreas Rötzer im Interview.

Die späten Nuller-Jahre waren für unabhängige Kleinverlage eine rosige Zeit: In München, Hamburg oder Berlin schossen sie geradezu aus dem Boden, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels verzeichnete einen Neueintritt nach dem anderen. Doch die euphorischen Gründerjahre sind vorbei, nicht jeder damalige Jungverleger konnte sich nachhaltig durchsetzen. Zu den wenigen, die bis heute erfolgreich sind, gehört auch der Prenzlauer Berger Verlag Matthes & Seitz Berlin. 2004 zog Andreas Rötzer mit seiner Neugründung des berühmten, bereits 1977 in München durch Axel Matthes und Claus Seitz gegründeten Verlags in die Göhrener Straße 7 ein. Verglichen mit dem Vorgängerverlag, den insbesondere seine französische Autoren berühmt machten – Georges Bataille, Jean Baudrillard, Marquis de Sade, Apollinaire, Rimbaud – hat sich das Themenspektrum bis heute beträchtlich erweitert. Der kleine Verlag ist enorm produktiv, allein diesen Herbst erscheinen rund 30 anspruchsvolle Bücher aus Literatur, Wissenschaft, Naturkunde oder Philosophie. Auch räumlich expandierte der Verlag, für das wachsende Programm und die fünf Mitarbeiter mietete Rötzer inzwischen weitere Räume auf der gegenüberliegenden Straßenseite an.
In diesem Sommer feiert Matthes & Seitz Berlin nun seinen 10. Geburtstag. Wie hat Rötzer es geschafft, dass sich ein so kleiner Verlag dermaßen produktiv und erfolgreich entwickelte?

Herr Rötzer, warum kam es eigentlich vor 10 Jahren zur Neugründung des 1977 in München gegründeten Matthes & Seitz Verlags?
Die Neugründung war eng mit dem Umzug nach Berlin verknüpft und sollte den Neuanfang eines ja schon seit den 80er Jahren für seine französische Literatur bekannten Verlags markieren. Es ging darum, sich neu zu erfinden, allerdings auf Basis des Bestehenden, das eine große Vorlage war.  

Warum gerade Prenzlauer Berg, warum die Göhrener Straße?
Ich kannte bis zu meinem Umzug nach Berlin nun den Berliner Westen, als ich dann aus privaten Gründen Läden am Prenzlauer Berg besichtigte, war ich sofort sehr angetan von dem Viertel und entschied mich zu bleiben. Der Laden in der Göhrener war dann ein glücklicher Zufallsfund.

Ist Prenzlauer Berg ein gutes Pflaster aus verlegerischer Sicht, sind Prenzlauer Berger gute Matthes & Seitz-Leser?
Sicher ist, dass die Berliner unsere treuesten und intensivsten Leser sind, und ich gehe stark davon aus, dass viele davon am Prenzlauer Berg wohnen, nicht wenige unserer Autoren und Übersetzer wohnen schließlich auch hier.

Inwiefern wird die Tradition des älteren Matthes & Seitz Verlags heute fortgeführt – und inwiefern nicht?
Fortgeführt wird die Pflege der klassischen französischen Autoren von Antonin Artaud über Michel Leiris bis Georges Bataille. Neue Ausgaben und neue Übersetzungen halten diese Autoren lebendig, mit denen der Verlag in München identifiziert wurde. Hinzugekommen sind neue Autoren in ihrem Geiste, wie Edouard Levé oder Valère Novarina.  

Welches sind Ihre wichtigsten Autoren?
Unter unseren Klassikern sind besonders die mit Preisen ausgezeichneten Neuübersetzungen von Jean-Jacques Rousseaus „Träumereien eines einsam schweifenden“ und Denis Diderots „Jacques, der Fatalist und sein Herr“. Unter den zeitgenössischen Autoren gibt es eine Vielzahl, die ich hervorheben könnte, ich möchte mich daher auf die Neuerscheinungen in diesem Herbst beschränken, darunter Esther Kinskys für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman „Am Fluß“ und der fulminante Western „Mit heiler Haut“, von Céline Minard, einer in Frankreich zu Recht gefeierten Autoren, die wir zum ersten Mal dem deutschen Publikum vorstellen.

Es gibt seit 2013 die aufwändig gestaltete Reihe „Naturkunden“ in Ihrem Programm. Warum nun innerhalb Ihres eher philosophisch ausgerichteten Programms gerade einen naturkundlichen Schwerpunkt?
Die Auseinandersetzung mit Natur ist genuin philosophisch, insofern ist es nur konsequent, dass wir daraus einen Schwerpunkt gemacht haben. Judith Schalansky, die Herausgeberin und Gestalterin der „Naturkunden“, hat dieser Reihe in kürzester Zeit ein unverwechselbares Gepräge gegeben, das international bereits Nachahmer gefunden hat, und derzeit als schönste Buchreihe in deutschen Verlagen gilt. In dieser Reihe stellen wir neben originellen Sachbüchern zum Thema Natur, wie zum Beispiel eine „Insektopädie“ oder ein Buch über Monster, auch die Klassiker des Nature writing, also der literarischen Naturbetrachtung, vor. Daneben gibt es die „Tierportraits“, zum Beispiel zum Esel, dem Hering oder der Krähe. Besonders freue ich mich in diesem Herbst auf das Portrait der Eule. Diese Bücher sind aber nicht nur schön, sondern haben es in sich.

Neuerdings gibt es auch eine E-Book-Reihe. Passt das denn überhaupt zu Matthes & Seitz? Wer möchte Baudrillard am Bildschirm lesen?
Das eBook ist ein wichtiges Medium, das wir gerne und mit Passion nutzen und prägen wollen. Große Autoren mit kurzen aber wichtigen und prägnanten Texten zu Fragen der Gegenwart erscheinen in der Reihe MSeB, in der diese Texte ausschließlich als eBooks erscheinen. Das ist eine Art interventionistisches Verlegen – schnell und pointiert -, das mir viel Spaß macht.

 

 

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