Freundliche Rivalen

von Brigitte Preissler 19. Mai 2011

Seit vor ein paar Tagen „Shakespeare & Sons“ eröffnete, kämpfen zwei englischsprachige Buchhandlungen um das internationale Publikum in Prenzlauer Berg. Die beiden Inhaber reden nett übereinander. Jedenfalls bis jetzt. 

Paul Gurner trägt‘s mit Fassung. Paul Gurner ist der Inhaber von „Saint George‘s“ in der Wörther Straße, bis vor einer Woche war das die einzige rein englischsprachige Buchhandlung in Prenzlauer Berg. Seit er den Laden 2003 eröffnete, war er gewissermaßen Monopolist hier im Kiez, niemand außer ihm hatte sich auf gebrauchte und neue englischsprachige Bücher spezialisiert. Nach eigener Einschätzung hatte er bislang sogar von allen vergleichbaren Läden in ganz Berlin die größte Auswahl. Stolz wirbt er auf seiner Homepage mit einer „truly unrivalled selection that is housed in the heart of prenzlauer berg.“ 

 

Doch zumindest mit dem „unrivalled“ ist es jetzt vorbei. Denn vergangenen Samstag eröffnete in der Raumerstraße – geschätzte 800 Meter Luftlinie vom „Saint George‘s“ entfernt – ein weiterer Bookstore. Er heißt „Shakespeare & Sons“ und ist ein Ableger der gleichnamigen Prager Buchhandlung. Genau wie bei „Saint George‘s“ gibt es auch dort neue und gebrauchte englische Bücher. Zusätzlich sollen ab Juni französischsprachige Titel erhältlich sein, erklärt Roman Kratochvila, der Geschäftsführer. Damit gibt es jetzt insgesamt drei fremdsprachige Buchläden in Prenzlauer Berg. Der dritte ist der Kinderbuchladen „mundo azul“ in der Choriner Straße, der aber mit seiner Auswahl von englischen, spanischen, französischen und italienischen Kinder- und Jugendbüchern weniger direkt mit den beiden englischsprachigen Geschäften konkurriert. 

 

Im Wedding keine Leser

 

Drei fremdsprachige Buchläden: Das klingt zwar überschaubar, ist aber nach Angaben des Börsenvereins für den Deutschen Buchhandel im berlinweiten Vergleich immerhin „überdurchschnittlich.“ Detlef Bluhm, Geschäftsführer des Landesverbands Berlin-Brandenburg, meint, das liege an der „ebenfalls überdurchschnittlichen Internationalität des Bezirks im Bereich der Kunst.“ Und tatsächlich erklären sowohl Gurner als auch Kratochvila, ihre Läden nicht zuletzt wegen dieses internationalen, gebildeten und vergleichsweise wohlsituierten Publikums in Prenzlauer Berg eröffnet zu haben. „Im Wedding gäbe es für unsere Bücher nun mal keine Leser,“ so Kratochvila, der sein Handwerk übrigens in der legendären Buchhandlung „Shakespeare & Company“ in Paris erlernt hat. Bleibt nur die Frage, ob es in Prenzlauer Berg tatsächlich genug Kunden für zwei Bookstores gibt. Wird Kratochvila Gurner nun etwa die Kundschaft abgraben? 

 

„Nö,“ meint Gurner, er klingt tatsächlich gelassen. Die Nachfrage sei wirklich groß, das reiche locker für zwei Läden. „Ich bin kein sehr nervöser Mensch“, fügt er dann noch hinzu. „Ich habe Vertrauen zu meinen Büchern und zu meinen Kunden.“ Auch Kratochvila lässt sich nicht zu Schmähungen seines alteingesessenen Rivalen hinreißen, sondern äußert sich im Gegenteil betont freundlich. Vor ein paar Monaten habe er sogar schon mal was bei Gurner gekauft, erklärt er. 

 

Der Feind sitzt anderswo

 

Kein Krieg also zwischen Raumer- und Wörther Straße – zumindest wenn man diesen höflichen Äußerungen Glauben schenken darf. Der wahre Feind sitzt anderswo. Denn bekanntlich können sich Menschen, die sich den Weg in die Buchhandlung gleich ganz sparen wollen, über Onlineversandhäuser jedes beliebige Buch bequem nach Hause schicken lassen – nicht nur aus englischsprachigen Ländern. Mit dieser viel ernsteren Bedrohung gehen Kratochvila und Gurner unterschiedlich um. 

 

Kratochvila will zum neuen Geschäft in der Raumerstraße zwar bald einen dazugehörigen Internet-Shop eröffnen, doch über dessen Erfolg macht er sich keine Illusionen: „Keiner wird was kaufen.“ Er spricht aus Erfahrung: Die Online-Verkäufe der seit zehn Jahren existierenden Prager „Shakespeare & Sons“-Filiale machen nur rund 25 Prozent des Umsatzes aus. Er setzt deshalb lieber auf eine Form der Buchkultur, die es im Netz nicht gibt: Für ihn besteht ein Buch nicht nur aus Text, sondern ist auch ein sinnliches, schönes Ding zum Anfassen. „Es geht nicht bloß um das, was drinsteht. Sondern um das ganze Paket: Das Cover, das Papier.“ Gleich im Eingangsbereich stehen etliche bibliophile Klassiker-Ausgaben, ein Regal ist allein für Graphic Novels reserviert. Die gemütlichen Vintage-Sesselchen und der breite, dunkle Holztresen in seinem Laden wirken fast wenig altmodisch, aber das ist Absicht: „Das Lesen von Büchern ist eine vergleichsweise konservative Angelegenheit. Dazu passt kein cleanes, weißes Plastik,“ so Kratochvila.

 

Keine Diddlmäuse, kein Gartenwerkzeug

 

Paul Gurner setzt besonders auf gebrauchte Bücher, ganze 70 bis 80 Prozent seines Sortiments sind Second-Hand-Ware. Die gibt es zwar bei Amazon auch. Aber wer sie bei ihm kauft, spart das Porto; es ist ihm wichtig, die Bücher wirklich billig anbieten zu können. „Ich mache das aber auch wegen der Umwelt. Es beschämt mich, wenn ich an diese riesigen Lager denke, in denen die unverkauften Restbestände der Verlage oft enden. Warum sollte man ein Buch nicht mehrmals lesen?“ 

 

Erfreulicherweise gibt es übrigens weder bei „Shakespeare & Sons“ noch bei „St. George‘s“  Diddlmäuse, Brotboxen, Gartenwerkzeuge oder Harry-Potter-Umhängetaschen zu kaufen – im Gegensatz zu vielen großen Buchhandelsketten, die ihr Sortiment in den letzten Jahren zunehmend auf diesen umsatzfördernden, sogenannten „Nonbooks“-Bereich ausweiteten. Nein, Gurner und Kratochvila setzen auf Bücher. Und nichts sonst. Dieses konsequente Festhalten an einem bewährten Medium mag auf manche mittlerweile fast wie ein Retro-Phänomen wirken. Aber mit den Vinyl-Plattenläden ist ja schließlich vor einiger Zeit auch ein anderes, vermeintlich veraltetes Kulturgut wieder überraschend hip geworden – warum sollte das nicht auch mit Büchern klappen.

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