Küssen im Schaufenster

von Brigitte Preissler 4. Dezember 2013

Sie wissen nicht, was Mauerpark-Kultur ist? Besuchen Sie den „Supalife Kiosk“! Dort wird diese Kultur nämlich gerade in der Ausstellung „Extra! Extra!“ gefeiert.

Manchmal entsteht ein Ladenschild einfach so: Jemand nimmt ein dickes Stück Pappkarton, pinselt mit schwarzer Farbe ein Logo drauf und wickelt eine Lichterkette drum. Wenn sich damit jetzt noch einer auf den Mauerpark-Flohmarkt stellt, ist er auch schon fertig, der „Supalife Kiosk“!

Dies ist, kurz zusammengefasst, die Entstehungsgeschichte der kleinen Ladengalerie dieses Namens, wie sie von den „Supalife“-Inhabern Gabriele Zygor und Denis Engel überliefert wird. Die vielen unter besagtem Ladenschild feilgebotenen Künstlerbücher, Fanzines, Flyer und Comics, Plakate, Aufkleber und Kalender von befreundeten Berliner Künstlern und Hobby-Siebdruckern passten irgendwann allerdings nicht mehr auf den Flohmarkt-Stand. Also zog der Kiosk in die Raumerstraße 40 um. Hier gibt es seit 2004 Siebdrucke aller Art zu sehen und zu kaufen: Papierarbeiten an der Schnittstelle zwischen sinnfreiem Designschrott und anspruchsvoller Gebrauchsgrafik, zwischen Handwerk und Kunst, zwischen Malerei, Illustration, Comic und Streetart. Das Pappschild mit dem draufgepinselten Logo hängt bis heute im Durchgang, nur die Lichterkette kam irgendwann abhanden. Es ist ein kunterbunter Indoor-Marktplatz, der Platz bietet für Arbeiten von Künstlern wie Atak oder Tim Dinter, für Banksy-Bücher oder für Comics von Ulli Lust. Aber auch von völlig unbekannten Menschen, die sich irgendwann mal für ein paar Tage in die nächstbeste Siebdruckwerkstatt einmieteten und mit eigenen Ideen loslegten.

 

Inhalt egal – Hauptsache antidigital

 

Beat Gipp heißt einer dieser nicht ganz so bekannten Menschen, ein Schweizer, der unter dem Label „Czentrifuga Press“ siebdruckt. Seine und weitere Arbeiten stellt der Kiosk momentan in der Ausstellung „Extra! Extra!“  vor. Das weist vage in Richtung Zeitung oder Extrablatt, und tatsächlich zeigt gerade Gipp etliche Magazine und Bildreportagen. Berichterstattend oder nachrichtlich sind sie indes nicht. Es sind Collagen, Selbstporträts, Schwarz-Weiß-Fotos von feiernden Freunden im Mauerpark oder von verfallenden Gemäuern. Manches hat einen gewissen dokumentarischen Wert, eine von Gipps Arbeiten zeigt etwa das alte, kaputte Tacheles, so wie es heute längst nicht mehr aussieht. Andere Exponate sind einfach nur hübsch, etwa die der Künstlergruppe „Harlequin Creature“. Das sind Gedichte und Zeitschriftenseiten, die mühsam mit einer alten Schreibmaschine abgetippt wurden. Der Inhalt ist, wie‘s scheint, ziemlich egal – Hauptsache, die Form ist antidigital. Der visuelle und haptische Charme eines Schriftstellernachlasses ist für „Harlequin Creature“ offenbar ein Wert an sich.

 

Von der Hauswand in den Verkaufsraum

 

Nun sehen solche Schaustücke an einer verranzten Außenwand eindeutig besser aus als an einer ordentlich geweißelten Wohnzimmertapete. Gerade Beat Gipp hat seine Arbeiten deshalb schon oft an irgendwelche Hauswände geklebt. Wie er kommen viele Supalife-Siebdrucker von der Streetart her. Und solche Künstler, von manchen auch Vandalen  genannt, suchen die Öffentlichkeit der Straße ja nicht von ungefähr. Manche finden schlicht keinen Galeristen, andere lehnen den Kunstbetrieb insgesamt ab. Ihre ursprünglich für ein kommerzfernes Draußen gemachten Arbeiten in einen auch zu Verkaufszwecken genutzten Innenraum zu holen, ist immer eine verzwickte Sache. Und dieses Problem lässt sich leider nicht wirklich lösen, indem man die Kiosk-Wände einfach mit grauer Mauerstein-Tapete verziert.  

 

Küssen – aber ohne Knutschende

 

Macht aber nichts. Gerade weil sie nicht perfekt, sondern improvisiert und unfertig wirkt, hebt sich diese kleine Schau wohltuend von manchem ab, was derzeit sonst im Prenzlauer Berger Kunstbetrieb reüssiert. Übrigens kann man beim Kiosk-Besuch mit etwas Glück den ein oder anderen beteiligten Künstler treffen, wenn er denn gerade zufällig an der Kasse aushilft. Danny Gretscher macht das zum Beispiel zweimal die Woche. Von ihm stammt das Titelblatt eines Kalenders, auf dem allerlei niedliche Äffchen, Skelette und Frauen mit Blumenfrisur zu sehen sind. Benannt ist das dekorative Stück – es hängt derzeit im Schaufenster – nach der Siebdruckwerkstatt, in der es entstand. Obwohl darin fast nie jemand knutscht, heißt der Kalender also: Küssen. Wenn das mal kein guter Vorsatz für 2014 ist. 

„Extra! Extra!“, noch bis einschließlich Januar im Supalife Kiosk, Raumerstraße 40, geöffnet montags bis samstags von 12 bis 19 Uhr, Eintritt frei.

 

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