Kunst, die in den Ohren klingt

von Ute Zauft 10. Mai 2012

Die Hörgalerie „singuhr“ entführt in diesem Sommer akustisch in ferne Welten und öffnet außerdem wieder die Türen zu den Unterwelten des Prenzlauer Berg. 

Kunst wirkt im Auge des Betrachters – so zumindest der erste Gedanke, wenn man an Kunst in Form von Gemälden, Skulpturen und Zeichnungen denkt. Doch Kunst kann auch in den Ohren des Kunst-Konsumenten klingen: Ende April hat in Prenzlauer Berg wieder die Klangkunst-Saison eröffnet. Genossen werden kann sie – auch mit geschlossenen Augen – in der größten Hörgalerie der Stadt, und zwar an gleich drei Orten im Kiez, darunter der kleine und der große Wasserspeicher am Wasserturm.

Eröffnet wird die Saison der Hörgalerie „singuhr“ mit einer Ausstellung im Kunsthaus Meinblau. Dort bietet die Klanginstallation der norwegischen Künstlerin Maia Urstad nicht nur ein Hörerlebnis, sondern auch Genuss für Nostalgiker aus der ‚Generation Walk-Man‘. Von der hohen Decke hängt an dünnen Fäden eine buntes Sammelsurium aus Radios und Kassetten-Abspielgeräten: Vom guten alten Minerva-Radio über den Rekorder aus dem Kombinat Sternradio bis hin zum futuristisch anmutenden Ghettoblaster. Bis vor wenigen Jahren fand sich wohl in fast jeder Küche irgendeine Spielart des Kofferradios, doch bei dem Blick auf diese traute Schar wird einem schlagartig bewusst: Hier hängt ein Stück Geschichte, genauer gesagt: Mediengeschichte aus dem prädigitalen Zeitalter. Die Klangkünstlerin Maia Urstad benutzt ihre Sammlung aus Kofferradios und Kassettenrekorder immer wieder als Bausteine ihrer Kunst: „Das Faszinierende daran ist nicht nur, dass es sich um eine langsam verschwindende Technologie handelt, sondern dass man auch konstruktiv mit ihnen umgehen kann.“

 

Eine Wiese aus Radioklängen

 

„Meanwhile, in Shanghai… (berlin)“ heißt Urstads Installation. Betritt man das hängende Labyrinth ist Einiges zu hören, aber Weniges eindeutig zu identifizieren. Bei geschlossenen Augen wähnt man sich auf einer im Wind wogenden Wiese aus Radioklängen. Zwischendrin ein Zwitschern, ein Frequenzrauschen auf Sendersuche oder – aufgeschreckt – eine Zeitansage! Maia Urstad bespielt die auf Knöchelhöhe hängende Radioschar über drei Sender mit zuvor zusammengestellten Klängen. So hat sie in den vergangenen Jahren auf der ganzen Welt Zeitansagen aufgenommen: „23 Uhr in Deutschland, Cinco de la Manana en Madrid, 7:00 in Nova Scotia.“ Nah und dann wieder ganz fern scheinen die Klänge, wenn man sich im Radio-Labyrinth bewegt. Durchaus zu verstehen als Anspielung auf die heute ach so globale Welt, in der die neueste Ausstellung in New York bisweilen näher scheint als die Nachbarn nebenan.

Sich mit geschlossenen Augen der Welt entziehen und Klangkunst wirken lassen, das versprechen auch die beiden noch kommenden Ausstellungen der Saison und zwar an Orten, die sich meist der Öffentlichkeit entziehen: Ab Anfang Juli wird der kanadische Künstler Gordon Monahan den kleinen Wasserspeicher nahe dem Wasserturm bespielen. Es ist ein Ort, an den man gern vor der Hitze des Sommers flüchten wird: Kühle Luft und der Geruch feuchter Backsteine weht den Besuchern entgegen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Bewohner der Stadt von hier aus mit Wasser versorgt, bis die sorgsam konstruierten runden Speicher schon gut fünfzig Jahre später von neueren Techniken der Wasserversorgung überholt wurden. „Resonant Platinum Records“ heißt die Installation, mit der Gordon Monahan die unterirdische Halle erklingen lassen wird: Schallplatten aus Stahl werden von der hohen Decke hängen, scheinbar unbewegt und dennoch klingend.

 

Gemäuer, in denen sich die Klänge vervielfachen

 

Während der kleine Wasserspeicher mit vielen Durchsichten einen relativ freien Blick über die Halle zulässt, ist der große Wasserspeicher nichts für Klaustrophobiker. Konzentrisch gekreiste Mauern haben früher sichergestellt, dass der Speicher das Gewicht der Wassermassen hält. Diese Gänge gilt es nun zu durchwandern, will man sich im Speicher bewegen. Selbstgespräche können dabei zu echten Dialogen werden, denn der Nachhall währt bis zu 80 Sekunden. Genau dies wird sich der Berliner Künstler Robert Henke in seiner Installation „Ewige Dunkelheit“ zu Nutze machen: Er wird in Abständen von wenigen Metern kleine Lautsprecher am Gemäuer installieren. Computerstimmen zitieren sodann Texte, die sich im Zusammenspiel von Nachhall und benachbarten Boxen zu einer Art Choral erheben: unverständlich im Ganzen, verstehbar nur, wenn man nah an eine der Boxen herantritt.

Klangkunst lebt vor allem von dem Raum, in dem sie erklingt und so bespielt die Hörgalerie „singuhr“ bereits seit 2006 die beiden Wasserspeicher jeden Sommer mit mehreren Ausstellungen. „Klangkünstler arbeiten mit Klängen wie Bildende Künstler mit Farbe oder Material“, so der Galeriebetreiber Carsten Seiffarth. Seit 1996 hat er auch an anderen Orten insgesamt rund 80 Ausstellungen realisiert, doch wenige Orte sind wohl so ideal wie die Wasserspeicher: „Die Größe der Räume erdrückt das meiste, doch Klang lässt sich nicht erdrücken.“

 

Maia Urstad: „Meanwhile, in Shanghai… (berlin)“, Kunsthaus Meinblau – Christinenstr. 18/19, noch bis 27. Mai 2012, Mittwoch – Sonntag, 14:00 – 20:00 Uhr.

Robert Henke: „Ewige Dunkelheit“, Großer Wasserspeicher – Eingang Belforter Straße, 05. Juli – 02. September 2012, Mittwoch – Sonntag, 14:00 – 20:00 Uhr.

Gordon Monahan: „Resonant Platinum Records“, Kleiner Wasserspeicher – Eingang Diedenhofer Straße, 05. Juli – 02. September 2012, Mittwoch – Sonntag, 14:00 – 20:00 Uhr.



 

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