Endlich wieder Klischees

von Brigitte Preissler 24. November 2011

Mit einem Buch der taz-Journalistin Anja Maier über Familien in Prenzlauer Berg hat das stereotype Kiez-Bashing einen neuen Höhepunkt erreicht 

Wenn das mal keine brandheißen Neuigkeiten sind: In Prenzlauer Berg trinken alle Latte Macchiato! Es wimmelt nur so von späten Einzelkindern, die allesamt teure Privatschulen besuchen! Die von ihren Gatten bzw. ihren Eltern komplett durchfinanzierten Edel-Mütter vertreiben ihre Langeweile am liebsten mit Yoga- und Bauchtanzkursen! Manche gehen sogar sonntags in die Kirche! Die Luxuskinderwagen, in denen die Haupt-Bevölkerungsgruppe hier standardmäßig herumgefahren wird, kosten ein Vermögen! Und – Achtung, jetzt kommt‘s – : Jeder, aber wirklich jeder kauft hier im Bioladen ein!

Wem das jetzt irgendwie bekannt vorkommt, der hat bestimmt nur schlecht geträumt. Nein, es handelt sich hier keineswegs um ein bloßes Wiederkäuen dessen, was so ziemlich jeder über Prenzlauer Berg zu wissen glaubt, selbst wenn er noch nie in seinem Leben einen Fuß in diesen Stadtteil gesetzt hat. Vielmehr entstammen diese neuartigen Erkenntnisse dem Buch einer taz-Journalistin, die dafür ganze drei Monate lang direkt vor Ort recherchiert haben will. 

 

„Das hier war mal unser Viertel“

 

Anja Maier, Jahrgang 1965, wuchs in Ost-Berlin auf und ist vor zehn Jahren aus Prenzlauer Berg an den Stadtrand gezogen. Jetzt kehrte sie zurück, um in einer Art „Feldstudie“ die während ihrer Abwesenheit errichtete „Familiendiktatur“ in ihrem Ex-Heimatkiez unter die Lupe zu nehmen. „Denn das hier war mal unser Viertel.“

Wen sie mit diesem nebulösen „unser“ nun eigentlich meint, wird allerdings nicht ganz klar: Die hier geborenen Ostdeutschen? Die zu DDR-Zeiten Zugezogenen? Oder einfach nur sich selbst und ihre ständig zitierte Prenzlauer Berger Freundin Sybille, mit der sie sich so gern in boshafte Tiraden über „die Mütter“ im Kiez hineinsteigert? Zum Dissen findet sich jedenfalls alle naselang ein neuer Grund: Geburtshäuser, Wochenmärkte, Transporträder, oder gar Mütter, die – oh Gott! – selbst nach dem dritten Kind noch sexy aussehen. Gerade die Prenzlauer Berger Frauen stellen für Maier offenbar den meist gehassten Teil der so genannten „Edel-Eltern“ dar: Dass sie ihr eigenes Leben dem Wohl ihrer Kinder opfern und ohne Not auf eine verantwortungsvolle Teilnahme am Arbeitsleben verzichten, wirft sie ihnen hauptsächlich vor.

Unbekannt ist ihr wohl, dass bezuschusste Kindergartenplätze in Prenzlauer Berg – wie überall in Berlin – heutzutage nach festgelegten Kriterien vergeben werden, zu denen beispielsweise die Berufstätigkeit der Mutter gehört. Und eine Erhebung, wie viele Eltern in Prenzlauer Berg ihren Kindergartenplatz tatsächlich komplett selbst bezahlen, weil die Frauen zu Hause bleiben, bleibt Anja Maier ihren Lesern natürlich schuldig. 

 

„Rinder“ mit „Eutern“ – gemeint sind stillende Mütter

 

Ja, was hat sie während ihrer dreimonatigen Recherche denn nun eigentlich gemacht – außer mit kiezansässigen Kaffeehausbesitzerinnen über „Rinder“ und ihre „Euter“ (gemeint sind stillende Mütter) abzulästern? Wie angesichts der vielen verwöhnten Einzelkinder, die in Prenzlauer Berg angeblich herumtollen, eigentlich die hohen Geburtenraten zustande kommen, fand sie jedenfalls nicht heraus. Und mit den Alleinerziehenden, den Vier-Kind-Müttern, den Vollzeit arbeitenden Niedriglöhnerinnen oder den seit Ostzeiten hier lebenden Familien, die es in Prenzlauer Berg ja durchaus auch noch gibt, hat sie genau so wenig gesprochen. 

Zugegeben: Es macht großen Spaß, Klischees bis zur Schmerzgrenze breit zu treten. Aber hätten es nicht wenigstens mal neue Klischees sein können – anstelle der ewig gleichen Yoga-Macchiato-Leier, wie sie ja beispielsweise auch Ralph Martin in seinem „Papanoia“-Oeuvre (Piper 2011, 240 Seiten, 8,99 Euro) anstimmt? Und ließe sich über die mangelnde soziale Durchmischung in Prenzlauer Berg nicht womöglich sogar mal ein fundiertes, oder wenigstens wirklich lustiges Buch schreiben, anstatt eines gehässigen? Vermutlich schon. Aber Anja Maier wird es mit Sicherheit nicht schreiben. 

Anja Maier: Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter. Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern. Bastei Lübbe 2011, 256 Seiten, 8,99 Euro. 

Lesung der Autorin am Di., 6.12.2011 um 18.30 Uhr in der GLS Sprachschule (Restaurant „Die Schule“). Um Anmeldung wird gebeten bis zum 2.12.2011 bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Regionalbüro Berlin-Brandenburg,  Anne Wellingerhof, Reinhardtstr. 12, 10117 Berlin, E-Mail: anmeldung.berlin@freiheit.org, Tel.: 030 28 87 78 42 Fax: 030 28 87 78 49.

 

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