Ein Jahr: Spiel und Tanz – und ein bisschen Gejammer

von Brigitte Preissler 30. Dezember 2011

Ständig heißt es überall, in Prenzlauer Berg sei nichts mehr los. Wir meinen: Ein Jahr Kulturberichterstattung der Prenzlauer Berg Nachrichten beweist das glatte Gegenteil. 

Jeder kennt die Leier: Wie schlimm es doch um die Prenzlauer Berger Kulturszene bestellt sei! Die Künstler, die hier einst lebten – allesamt von steigenden Mieten verdrängt und weggezogen! Nix sei mehr los im Kiez, schließlich interessiere sich das neu zugezogene Publikum allenfalls für Kasperletheater und Kreativen Kindertanz. Überall heißt es, von dem ehemals lebendigen, legendären Künstlerviertel der 80er Jahre sei doch längst nur noch homogenes, fades Lifestyle-Einerlei übrig.

In den trostlosen Zeiten, bevor es die Prenzlauer Berg Nachrichten gab, konnte man ja möglicherweise noch auf solche merkwürdigen Ideen kommen. Doch nach gut einem Jahr Kulturberichterstattung kann nun wirklich keiner mehr behaupten, dass an dem larmoyanten Gewäsch irgendwas dran ist. Mit unserem (bislang zugegebenermaßen ziemlich kleinen) Kulturteil schaffen wir es kaum, den unzähligen Veranstaltungen, Locations und Künstlern, über es allwöchentlich Aktuelles zu berichten gäbe, auch nur annähernd gerecht zu werden.

 

Am meisten ist im Theater los – und in der Literatur und im Comic

 

Jeder einzelne Kulturtipp, jede Rezension, jedes Interview, alle unsere Konzertberichte und Porträts aus den letzten Monaten beweisen aber, wie ungeheuer lebendig die lokale Kulturszene nach wie vor ist – am meisten sicherlich in den Bereichen Theater, Literatur und auch Comic. Nicht jedes Berliner Bezirksamt leistet sich beispielsweise eine so erstklassige kommunale Spielstätte, wie sie das Theater unterm Dach zweifellos ist. Oder wo in, sagen wir, Kreuzkölln oder Friedrichshain hätte man im vergangenen Jahr auch nur annähernd so viel spannende und berlinweit diskussionswürdige Aufführungen sehen können wie zum Beispiel hierhier oder hier?

Vom bat wollen wir gar nicht erst reden – dass es an der Studiobühne der Ernst Busch Hochschule für Schauspielkunst regelmäßig prima besetzte und inszenierte, lebhafte Aufführungen gibt, versteht sich von selbst (nachzulesen beispielsweise hier oder hier.)

Hinzu kommen das Ballhaus Ost (siehe hier und hier) oder die Schaubude. Und der erste und einzige Berliner Theaterskandal seit gefühlten Jahrzehnten fand selbstverständlich auch nirgendwo anders als in Prenzlauer Berg statt.

 

In welchem Stadtteil ist die Verlagsdichte so hoch wie in Prenzlauer Berg?

 

In der Literatur sieht es ähnlich rosig aus: In kaum einem anderen Stadtteil ist die Verlagsdichte so hoch wie im Heimatkiez des Suhrkamp- und des Berlin Verlags, von Matthes & Seitz, Dittrich oder Christoph Links (um nur ein paar wenige zu nennen). Nicht zu vergessen die Literaturwerkstatt mit ihren auch überregional und international bedeutsamen Wettbewerben und Festivals; seit nunmehr zwanzig Jahren ist ihre Geschichte aufs engste mit Prenzlauer Berg verbunden.

Müssen wir noch an den Georg-Büchner-Buchladen erinnern, mit den vielen Lesungen wichtiger Autoren? Oder daran, dass der Schriftsteller Eugen Ruge 2011 den Deutschen Buchpreis in den Kiez holte? Auf dessen Longlist es übrigens auch die Prenzlauer Bergerin Astrid Rosenfeld mit „Adams Erbe“ schaffte.

 

Ein El Dorado für Comiczeichner

 

Dass der Kiez gerade auch für Comiczeichner ein echtes El Dorado ist, weiß jeder, der unsere Berichte über Tim DinterAtak, Ulli Lust, Reinhard Kleist oder den Avant Verlag gelesen hat. Unter anderem leben bzw. arbeiten übrigens auch noch Jens Harder, Mawil und Phil hier im Kiez. Die können wir uns dann ja 2012 mal vorknöpfen.

Dass nicht getanzt würde in Prenzlauer Berg, kann ebenfalls niemand behaupten. Unsere Leser jedenfalls wissen ja längst alles über die Staatliche Ballettschule. Sie sind darüber informiert, wie viel Spannendes in der Halle Tanzbühne oder im Dock 11 läuft. Und wie hervorragend man sich beispielsweise auf auf den Internetseiten des „Tanzforum Berlin“ darüber informieren kann. 

Mit  Eberhard Klöppel, Bernd Heyden und Gerd Danigel sowie Jürgen Hohmuth haben wir unseren Lesern auch schon etliche wichtige Fotografen aus Prenzlauer Berg vorgestellt.

 

Nur wer Krach macht, hat’s schwer

 

Sicher: Wirklich schlecht steht es in Prenzlauer Berg um alles, was Krach macht. Also vor allem um die Nachtclubs. Wenn im Januar der Icon-Club und der Klub der Republik dicht machen, wird es nachts endgültig still werden zwischen Helmi und am Kollwitzplatz, im Bötzow- und im Skandinavischen Viertel. Auch die Bildende Kunst – andernorts derzeit bekanntlich nicht gerade die unhippste Kultursparte – hat einen schweren Stand im Kiez. Abgesehen von den paar Galerien auf dem Pfefferberg-Gelände, der Neonchocolate Gallery, der städtischen Galerie Parterre und einigen kleineren Projekträumen wie „Lage egal“ hat man als Prenzlauer Berger Maler kaum Ausstellungsmöglichkeiten. Kein Wunder, dass kaum noch welche hier leben.

Noch quirliger, noch bunter, noch kulturfreundlicher kann es also immer werden. Es gibt auch eindeutig zu wenige Künstler mit nichteuropäischen Wurzeln in Prenzlauer Berg. Und von einer alternativen oder gar oppositionellen Szene wird heute natürlich auch kein Mensch mehr ernsthaft reden wollen. Grund für Gejammer besteht trotzdem nicht. 2012 zieht mit dem Guggenheim Lab ein finanziell und ästhetisch wohlausgestattetes Kunstprojekt in den Pfefferberg, in unmittelbarer Nachbarschaft entsteht ein neues Architekturmuseum. Und in welche Richtung sich die Kultur im Viertel 2012 sonst verändern wird – das hat schließlich jeder von uns ein Stückweit auch selbst mit in der Hand.

 

 

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Jahresrückblick Folge 1: Essen jenseits von Milchschaum und Bio

Jahresrückblick Folge 2: Wir wir vorankommen wollen

 

 

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