Der Stadt-Zeichner

von Brigitte Preissler 20. Oktober 2011

Tim Dinters Zeichnungen sind mindestens berlinweit bekannt und in Prenzlauer Berg fast allgegenwärtig. Demnächst druckt er seine Arbeiten live und öffentlich in Kathrin Bräuers Siebdruckatelier. 

Doch, wirklich: Es gibt auch New-York-Zeichnungen von Tim Dinter. In seinem Atelier in der Schönhauser Allee hängen sie gerahmt an der Wand – und dabei heißt es doch immer, Berlin sei sein großes Thema. 

Was ja auch nicht falsch ist. Tim Dinter zeichnet die Stadt, in der er lebt. Den Rosa-Luxemburg-Platz, die Oberbaumbrücke, die Hackeschen Höfe. Und, wie unsere kleine Bilderstrecke oben zeigt, auch Prenzlauer Berg, den Kiez, in dem er seit vielen Jahren arbeitet: Die Marienburger Straße, die Schönhauser Allee. Geschult an der französischen „ligne claire“, hält er mit fotografisch anmutendem, klarem Strich typische Berliner Alltagssituationen fest: Spaziergänger, Flaneure, Kaffeehausgäste, Hausfassaden oder spiegelnde Schaufenster. Schrille Werbung und graue Brandmauern zeigt er als monochrome Flächen ganz ohne Schraffuren, seine sparsam kolorierten Momentaufnahmen zeigen eine Stadt zwischen Aufbruch und Abriss. Zeitungsleser kennen auch seine kurzen Strips „Lästermaul und Wohlstandskind“, die er im Wechsel mit einigen anderen Comiczeichnern regelmäßig im Tagesspiegel veröffentlicht. Wenn sie Ende November gesammelt im Prenzlauer Berger Avant Verlag erscheinen, wird das Buch nicht umsonst den Untertitel „Neue Berliner Geschichten“ tragen. 

 

Berlin: Eine Art Muse 

 

Trotzdem: „Mein eigentliches Thema ist eher Urbanität,“ sagt Dinter. Doch da er nun mal seit fast zwei Jahrzehnten hier lebt, liefert eben Berlin dem 1971 geborenen Hamburger die meisten Anregungen und konkreten Zeichengegenstände. Die Stadt ist, altmodisch formuliert, eine Art Muse seiner Zeichnerkarriere – und ihr konkreter lokaler Ausgangspunkt: 1994 kam er nach Berlin, um an der Kunsthochschule Weißensee Kommunikationsdesign zu studieren. Dort freundete er sich mit seinen Kommilitonen Jens Harder, Ulli Lust, Kathi Käppel, Mawil und Kai Pfeiffer an. 1999 gründeten sie die Gruppe „Monogatari“ (d.i. Japanisch für „Geschichten erzählen“), die zu Beginn der Nuller Jahre unter anderem mit ihrem viel beachteten Band „Alltagsspionage. Comicreportagen aus Berlin“ (2001) das Genre der Comicreportage in Deutschland salonfähig machte. 

Ihr Gemeinschaftsatelier verlagerten die sechs Zeichner damals nach Prenzlauer Berg, weil der Weg zur Kunsthochschule nicht weit war. Bis heute arbeitet Dinter im Kiez, weil er die Atmosphäre immer noch entspannter und familiärer findet als an seinem Wohnort in Mitte.

 

Vom Helmholtzplatz in die Schönhauser Allee

 

Deshalb ist es auch so gut wie unmöglich, durch Prenzlauer Berg zu gehen und nicht früher oder später auf ihn und seine Arbeit zu stoßen. An der Ecke Lette-/Dunckerstraße wird man zum Beispiel an ihn erinnert. Dort, wo mittlerweile neue Läden und Cafés eingezogen sind, hatte er sieben Jahre lang einen Platz in einer Ateliergemeinschaft im Erdgeschoss, bis er vor anderthalb Jahren zusammen mit seinen Zeichnerkollegen Jens Harder und Katharina Langer in die Schönhauser Allee umzog. Dinters Arbeiten waren Anfang 2011 auch in der Neonchocolate Gallery in der Schliemannstraße zu sehen – die er übrigens sehr schätzt, weil es da so schön gemütlich und unkommerziell zugeht. Auch im Supalife Kiosk in der Raumerstraße kann man Dinters Werke zu erschwinglichen Preisen kaufen. 

Aktuell hängen sie auch im Schaufenster von Kathrin Bräuers Siebdruckatelier in der Göhrener Straße, denn Bräuer und Dinter arbeiten derzeit an einem spannenden Gemeinschaftsprojekt: „Berlin Stadt Set“ ist eine limitierte Serie von insgesamt drei Mappen, die jeweils drei Blätter mit Drucken von Tim Dinters Zeichnungen enthalten. Die erste Mappe zum Thema Kreuzberg entstand im Herbst 2010, demnächst wird die zweite zum Thema „Reflexion“ in einer limtierten Stückzahl von 60 Exemplaren fertiggestellt. Wer mag, kann am übernächsten Sonntag, den 30. Oktober dabei sein, wenn die letzten Blätter gedruckt werden. Dinter und Bräuer werden dann in Bräuers Siebdruckatelier die letzten Linien einfügen und Interessierten gern Auskunft über ihre Arbeit geben; anschließend stellt Bräuer die fertigen Drucke aus und verkauft sie auch.

 

Was soll man antworten, auf Fragen wie „Ist Ihr Wert gestiegen?“ 

 

Tim Dinter mag diese Drucktermine mit Publikum gern. Wenn ein paar neugierige Kinder mit helfen, oder Nachbarn auf einen Pläuschchen vorbeikommen, findet er das entschieden netter als die üblichen Selbstverkaufsgespräche, die er sonst bei manchen Ausstellungenseröffnungen über sich und seine Arbeit führen muss. Was er auf Fragen wie „Ist Ihr Wert gestiegen?“ antworten soll, weiß er eben einfach nicht so recht.

Aber zum Glück gibt es ja noch viele, viele andere Fragen, mit denen man ihn übernächsten Sonntag nach Herzenslust löchern kann. 

Drucktermin von „Berlin Stadt Set Nr. 2“ mit Tim Dinter und Kathrin Bräuer am Sonntag, den 30. Oktober von 16 bis 19 Uhr im Siebdruckatelier Kathrin Bräuer, Göhrener Straße 4. Infos auch unter www.kathrinbraeuer.de und www.timdinter.de.

 Tim Dinters gesammelte Berlin-Strips „Lästermaul und Wohlstandskind. Neue Berliner Geschichten“ (120 Seiten, 24,95 Euro, ISBN 9783939080589) erscheinen voraussichtlich Ende November im Avant-Verlag.


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