Der fehlbesetzte Salonlöwe

von Brigitte Preissler 14. Januar 2011

Eine Ausstellung in der Galerie Parterre befasst sich mit Arno Schmidt im Spannungsfeld von Provinz und Metropole.

Immerhin war er aus Hamburg. Der Schriftsteller Arno Schmidt (1914-1974) lebte, bis er vierzehn war, im Vorort Hamm, doch sonderlich beeindruckt hat ihn die Stadt offensichtlich nicht. 

„ … Hafen, Alster, Rathausmarkt, City=allgemein – (obwohl ich das selbstrednd auch geseh’n habe!) – waren für mich Nebensache, unbedeutend, ein selten erblickter lärmender Rand.“

 

Zu allem Urbanen hatte Schmidt zeitlebens ein distanziertes Verhältnis. Peter Rühmkorf schrieb über ihn, „dass Stadtluft ihn nicht gerade freier machte und das Bemühen um eine herzeigbare Fassade den erwünschten olympischen Eindruck gänzlich zur Fassade entgleisen ließ.“ Seine Heimaten hießen Lauban oder Gau-Bickelheim, Kastel oder Cordingen, und ob sie nun in Schlesien, Rheinhessen, an der Saar oder in Niedersachsen lagen – Käffer waren es allesamt, abgesehen vielleicht von Darmstadt, wohin es ihn Mitte der fünfziger Jahre für einige Zeit verschlug. Sein Lieblingsdorf Bargfeld lag im Kreis Celle. Und ohne die Abgeschiedenheit des Holzhauses, in dem er hier für mehr als zwanzig Jahre wohnte, ohne die Wolken, ohne den Wind, den Regen und die nächtliche Mondbeschienenheit der Lüneburger Heide ist sein Werk von 1958 bis zu seinem Tod nicht denkbar. 

 

Niedersächsische Wiesenluft – in Prenzlauer Berg

 

Welches Spannungsfeld?, darf man sich also fragen, wenn man hört, es gebe jetzt eine „Ausstellung um Arno Schmidt im Spannungsfeld von Provinz und Metropole.“ Sicher: Die Schau um den provinzaffinen Autor wird mitten in der Stadt gezeigt. Mitten in Prenzlauer Berg, um genau zu sein, in der „Galerie Parterre.“ Und wenn man beim Durchgang plötzlich vor einem verkleinerten Nachbau von Schmidts Bargfelder Haus steht, meint man für einen kurzen Moment tatsächlich auch die niedersächsische Wiesenluft in der Nase zu haben. Die Künstlerin Karen Koschnick ließ sich durch eine Passage aus Schmidts Erzählung „Schlüsseltausch“ zu dem Modell inspirieren.

 

Despektierliche Zitate, dezente New-York-Verweise

 

Der Untertitel der Ausstellung ist trotzdem irreführend. Denn viel Erhellendes lässt sich über Schmidts Verhältnis zum Urbanen eben kaum sagen, mehr als ein paar ironisch-despektierliche Zitate und dezente New York-Verweise gibt das Thema kaum her. Der aparteste Beitrag hierzu stammt sicherlich von F.W. Bernstein. Der emeritierte Professor für Karikatur und Bildgeschichte lieferte eine Tuschezeichnung mit dem Titel „Salonlöwe Schmidt – eine Fehlbesetzung“ (2010). Sie zeigt den Autor bei einer Abendgesellschaft im Smoking, mit einer etwas schweinchenhaften Dame am Arm. Ein herrlich absurde Idee, wenn man bedenkt, wie ungeheuer daneben sich Schmidt in Gesellschaft benehmen konnte. 

 

Bei manchen anderen Exponaten verflüchtigt sich der prononcierte Metropolen-Provinz-Gegensatz zwar schnell im Schatten der erstbesten Kuh „in Halbtrauer“, doch unbedingt sehenswert ist die Schau mit ihrem umfangreichen Begleitprogramm trotzdem. Vierzig teilweise prominente Künstler sind beteiligt, zum Beispiel Thomas Kapielski, der Filmhistoriker Günter Agde, der Schriftsteller Reinhard Jirgl oder der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit. Wer eine freie, vielgestaltige Hommage an Leben und Werk Schmidts erwartet, wird nicht enttäuscht sein. Die meisten Exponate sind eigens für die Ausstellung entstanden, und als bloße Werkillustrationen lassen sich die wenigsten auffassen. Vielmehr bot die Galerie den beteiligten Künstlern jede Menge assoziativen Freiraum; letztlich habe die Fragestellung einfach gelautet, sich – egal wie – mit den Texten oder der Existenz dieses Autors zu befassen, erklärt Kathleen Krenzlin, Leiterin der Galerie Parterre. Auf Anregung des Malers und Zeichners Michael Bartsch hat sie die Ausstellung gemeinsam mit der Bargfelder Arno Schmidt Stiftung und dem Verein Berliner Kabinett kuratiert. 

 

Literatur und andere Künste

 

In den so verstandenen, denkbar weit gefassten Bezugsrahmen passt dann selbst ein Georg Baselitz mit seiner Serie „Fluss & Schiff“ irgendwie hinein – „wegen der deutsch-deutschen Thematik“, wie Krenzlin erklärt, denn die spielt ja auch in Schmidts Werk eine Rolle. Wer nach einem klarer umrissenen Schwerpunkt sucht, findet ihn am ehesten in der Frage nach Schmidts Verhältnis zu anderen Künsten. Bernd Rauschenbach, Leiter der Arno Schmidt Stiftung, und Egon Blume, Leiter des Hamburger Bahnhofs, machen sich im Programmheft einige lesenswerte Gedanken zu diesem Thema. Schmidt zeichnete und fotografierte auch selbst, zudem erprobte er in seinen Erzählungen „Die Umsiedler“ (1952) und „Seelandschaft mit Pocahontas“ (1953) Schreibtechniken, die der Fotografie viel verdanken. Oft regten seine Texte auch bildende Künstler wie Paul Weber oder Eberhard Schlotter zu eigenen Werken an, manche davon sind nun in der Galerie Parterre zu sehen.  

 

Es ist eine disparate Ausstellung, die den Besucher herausfordert. Aber das passt ja zu Schmidt. Schließlich ist die Lektüre seines Werks mitunter ebenfalls harte Arbeit. Seiner Biografie und Kunstauffassung wird die Schau allemal gerecht – als ein buntes, mosaikhaftes, prächtiges „Tablett voll glitzernder snapshots.“

 

 

Mit seiner an James Joyce und Alfred Döblin geschulten, sprachexperimentellen Prosa zählt Arno Schmidt zu den bedeutendsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur. Er wurde am 18. Januar 1914 in Hamburg geboren, von 1958 bis zu seinem Tod am 3. Juni 1979 lebte er in Bargfeld bei Celle. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Das steinerne Herz“ (1956), „Die Gelehrtenrepublik“ (1957) und „Zettel’s Traum“ (1970). Seine von der Arno Schmidt Stiftung betreuten Werke erscheinen im Suhrkamp Verlag. 

 

Die Autorin Brigitte Preissler war 2001 Stipendiatin der Arno Schmidt Stiftung. 

 

„Und was heißt schon New York? Großstadt ist Großstadt; ich war oft genug in Hannover.“ Eine Ausstellung um Arno Schmidt im Spannungsfeld von Provinz und Metropole, 19. Januar bis 20. März 2011. Eröffnung am Dienstag, 18. Januar um 20 Uhr, es sprechen Bernd Rauschenbach (Leiter der Arno Schmidt Stiftung) und Eugen Blume (Leiter Hamburger Bahnhof.) Galerie Parterre, Danziger Straße 101. Haus 103, Sonderöffnungszeiten täglich 14 bis 20 Uhr, Telefon 902953821. Weitere Informationen unter http://www.berlin.de/ba-pankow/kunstundkultur/galerie-parterre/index.html



Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar