Das innere Lichtlein

von Brigitte Preissler 22. Dezember 2011

Im Willy-Brandt-Haus sind derzeit Fotografien aus Sibylle Bergemanns Nachlass zu sehen. Sie offenbaren die intensive, hellwache Bühnenpräsenz von Darstellern des Prenzlauer Berger RambaZamba-Theaters.

1997 fing alles an. Sibylle Bergemann (1941-2010), die legendäre Fotografin und Mitbegründerin der Agentur Ostkreuz, kam zum ersten Mal ins Theater RambaZamba in der Kulturbrauerei. Sie hatte ihre Polaroid-Kamera dabei. Ihre spektakulären Fotos von Darstellerinnen und Darstellern der damaligen „Woyzeck(en)“-Inszenierung wurden berühmt, nachdem sie sogar der „Stern“ abdruckte. Und als Gisela Höhne, die Leiterin des Theaters, sie dann fragte, ob sie vielleicht auch weitere RambaZamba-Inszenierungen fotografieren wolle, soll Bergemann ganz lapidar gesagt haben: „Ja, das können wir mal machen.“

Es war der Beginn einer einzigartigen Langzeitsstudie. Bergemann widmete sich in den darauffolgenden Jahren während insgesamt acht Inszenierungen, bei Premieren und Proben, in den Garderoben und während der Pausen intensiv der Spielkunst dieses 1991 gegründeten Theaters, das von vielen als die wichtigste integrative Spielstätte Deutschlands angesehen wird. Über Jahre hinweg hielt sie den Alltag des Ensembles fest, das sich hauptsächlich aus Schauspielern mit kognitiver Einschränkung zusammensetzt, einige haben das Down-Syndrom. 

 

Schnappschüsse und Porträts, Schwarz-Weiß und in Farbe

 

Rund 100 dieser Fotografien aus Bergemanns Nachlass sind derzeit im Willy-Brandt-Haus zu sehen. Etwa die berühmten Polaroids, aber auch jüngere Prints und analoge Handabzüge; Schnappschüsse und stilisierte Porträts, Schwarz-Weiß- und Farbfotografien in unterschiedlichsten Formaten, die teilweise zum allerersten Mal gezeigt werden. Frieda von Wild – Bergemannns Tochter – hat die Schau gemeinsam mit Jonas Ludwig Walter von der Fotoagentur Ostkreuz und der RambaZamba-Chefin Gisela Höhne kuratiert.  

Prächtig herausgeputzte, selbstbewusste Diven und Stars sind da zu sehen, mit weiß grundierten Gesichtern, rabenschwarzen Brauen und knallroten Lippen entschieden geschminkt, in Schlangenhüten, üppigen Tüllwolken oder seidig glänzenden Anzügen opulent kostümiert. Würdevoll und vor allem sehr, sehr ernst schauen sie oft direkt in die Kamera. Sie kaschieren ihr Anderssein nicht – sie arbeiten einfach damit, und zwar hochkonzentriert und professionell. Nicht etwa, weil sie darauf aus sind, den Zuschauer zu erschüttern oder sein Mitleid zu erregen. Sie sind, wie alle Schauspieler, beifallsüchtig; mit den Bühnenscheinwerfern scheinen sie gleichsam ein inneres Lichtlein anzuknipsen, und in dieser ihrer eigenen intensiven, hellwachen Bühnenpräsenz sonnen sie sich mit sichtlicher Leidenschaft. 

 

Die Mitte ist anderswo

 

Sibylle Bergemann hat es verstanden, diesem inwendigen Flämmchen eine ungeheure Leuchtkraft zu verleihen; dank ihrer Fotos wird offensichtlich, warum beispielsweise die Schauspielerin Angela Winkler ihre Tochter, die RambaZamba-Darstellerin Nele Winkler, als eine rundum ebenbürtige Kollegin ansieht. 

„Ich will Bilder vom Rand der Welt, nicht aus der Mitte.“ Mit diesem Satz wird die Bergemann häufig zitiert. Auf ihre Bilder im Willy-Brandt-Haus trifft er allerdings nicht zu, denn Randständiges ist darauf nirgends zu sehen. Eher stellt man hier unversehens fest, dass die Mitte möglicherweise anderswo ist, als man gemeinhin denkt. 

Sibylle Bergemann und das Theater RambaZamba, im Willy-Brandt-Haus, Stresemannstraße 28. Die Ausstellung wurde verlängert bis zum 28. Januar 2012 und ist dienstags bis sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet (geschlossen allerdings am 24., 25., 26. und 31. Dezember sowie am 1. Januar 2012). Eintritt frei, Ausweis erforderlich.

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