Danziger macabre

von Cosima Lutz 22. Dezember 2010

Zwölf Jahre nach „Lola rennt“ kehrt Tom Tykwer nach Berlin zurück. Der Film „Drei“, eine Komödie mit makaberer Grundierung, spielt teilweise in Prenzlauer Berg.

Vielleicht ist Berlin, speziell Prenzlauer Berg, für deutsche Kinomacher und -gänger ja inzwischen tatsächlich so etwas wie das Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse: totaler Konsens, Lieblings-Gesinnungskulisse bis zum Überdruss. Oder, wie Simon (Sebastian Schipper) über eben jene „Stufen“ sinniert, während er die Kastanienallee entlang spaziert: „dieses Kopf-hoch-Pamphlet für reueloses Weitermachen, auf das sich interessanterweise alle Deutschen einigen können, denn es ist, wie Mutter gern zur Untermauerung ihres guten Geschmacks sagte, der Nachkriegsdeutschen lyrisches Vermächtnis“.

Es ist ein sonniger Sonntagmorgen, man kennt dieses spezielle Licht, zu dem die Erwägung gehört, sich die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ zu kaufen, um zu lesen, was die Kollegen und Nachbarn gerade so treiben und schreiben. Und wer viel ins Kino geht und zerrüttete Nerven hat, wie Simon im Moment, dem kann auch schon mal ein Engel vorschweben im Himmel über Berlin. Simon hat gerade die Diagnose Prostatakrebs und den Krebstod seiner Mutter hinter sich, weshalb er mit leicht zynischem Lächeln an den bunten Laubhaufen vorbeischlurft und einen Engel in Gestalt seiner Mutter (Angela Winkler) vor sich herfliegen sieht, die besagte „Stufen“ Hermann Hesses rezitiert. Uff.

 

Simon ist ein Berliner Bilderbuch-Kreativer: Er hat Zeit und keine Kinder

 

Ja, so ist das hier, bei Tykwer. Simon ist so ein sympathischer, ruhiger, Dreitagebart- und Brillenträger Anfang 40, ein Berliner Bilderbuch-Kreativer. Er baut Skulpturen, besucht mit seiner langjährigen Liebe Hanna (Sophie Rois) Ausstellungen im Martin-Gropius-Bau, geht mit ihr ins Kino und ins Berliner Ensemble, so was halt. Man hat Zeit und keine Kinder, ist intellektuell aufgeschlossen, Kultur ist normal und nicht bloß Distinktion, sie wird eher in einer ständigen Suchbewegung bewohnt, als dass man sich mit ihr ausstaffiert.

Mit den massenhaften Verweisen auf bildungsbürgerliches Zeugs, wie es der „Süddeutsche“ lesende Prenzlauerbergbewohner mehr oder weniger kennt und duldet, ist Tykwers Film manchen Kritikern schon mächtig auf die Nerven gegangen: Robert Wilson hier, Sasha Waltz dort, Thomas Struth hier und dann noch Ingeborg Bachmann, ach ja. Das ist alles ein bisschen viel, für die Protagonisten ebenso wie für manche Zuschauer, zumal wenn beide ja schon im Alltag dauernd Kultur um sich haben und wenigstens im Kino endlich ein bisschen echtes Leben sehen wollen. „Ich kann mich nicht konzentrieren“, knarzt denn auch Hanna im Kinosessel ungeduldig.

Das müsste zwar genügen als Hinweis darauf, dass „Drei“ so konstruiert und abgehoben womöglich gar nicht ist. Zugleich ist schon seit „Lola“ klar, dass mit Tykwer keine Authentizitäts-Festspiele zu haben sind. Sondern dass Versuchsanordnungen, Möglichkeits-Laboratorien und Zahlenhokuspokus seine Kino-Maschine am Laufen halten. In „Drei“ ist er, nach den internationalen Großproduktionen „The International“ und „Das Parfum“, offenbar wieder ganz bei sich, in seinem Labor, in dem er auf ganz eigene, diesmal auf ungewohnt humorvolle Art, die Mechanik der Liebe studiert.

 

Sex mit Adam oder der geteilte Pimmel

 

Und so ist es kein Zufall, dass Tykwer mit Adam (Devid Striesow) einen geheimnisvollen Labor-Profi, nämlich einen Stammzellenforscher und Chimärenspezialisten, zum Motor seines Dreiecksgeschichten-Zwitters macht. Die Kulturjournalistin Hanna (Rois) beginnt mit diesem Mann in dessen ebenfalls laborartig leerer Wohnung an der Frankfurter Allee eine Affäre, am nächsten Morgen im Taxi stehen ihr Schock und Glück ins Gesicht geschrieben.

Die gleichen Wechselbäder huschen auch über das Gesicht ihres Freundes Simon, nachdem er sich, nach seiner Hoden-Operation und zur eigenen Verwunderung, erstmals von einem Mann einen Hand-Job gefallen hat lassen. Dieser Mann ist – Adam. Simon und Hanna, auf eine Weise miteinander verbunden, von der sie nichts ahnen, lieben einander weiterhin, heiraten sogar, und erst spät stellt sich heraus – in einer herrlich zerdehnten, bizarren Szene -, dass beide mit ein und demselben Adam fremdgehen. 

Doch selbst der behaglichste Altbau, der beste Sex und die harmonischste Partnerschaft schützen nicht vor der Angst vor Krankheit und Tod. Das ist der banale, dunkle Untergrund des Films. Immer wieder stellt er die „Drei“ in himmlisches, ortloses Weiß. Die Gesichter – und Tykwer bleibt immer ganz nah dran an seinen grandiosen Darstellern – spiegeln ständig diese feinen Sollbruchstellen zwischen Abgrund und Hochgefühl. Himmel, Hölle und dazwischen: Berlin. Warum? Und warum wirkt es hier so stimmig wie seit Andreas Dresens „Sommer vorm Balkon“ nicht mehr?

 

„Drei“als Heimatfilm

 

„Bei ,Lola rennt‘ hatten wir Lust, Berlin in seiner neuen Geografie zu erforschen“, schreibt Tykwer in dem Buch zum Film (Berlin Verlag, 223 S., 28 Euro). So sei Berlin zur reinen Kulisse geworden, „fast wie ein fremder Planet, durch den eine wie reinkopiert wirkende Gestalt jagt und nach Hilfe und Schutz sucht.“ In „Drei“ sei es fast die umgekehrte Bewegung: „der Film streift mit den Personen durch ihren privaten Kiez, eine Welt, die man als Beheimateter ja auch nicht mehr bewusst in ihren Oberflächen und ihrer speziellen Ikonographie, sondern einzig als atmosphärisch behütenden Raum erlebt.“ Man kann „Drei“ also getrost einen Heimatfilm nennen.

Denn durch diese Herangehensweise entsteht paradoxerweise eine höhere Authentizität – trotz der betont artifiziellen Umsetzung des Films mit Scherenschnitten und Splitscreens – als in anderen Berlin-Filmen, die hier mit ausgestellt realistischem Anspruch gedreht werden (vorläufiger Tiefpunkt: „Die Entbehrlichen“). Und während sich Matti Geschonneck für seinen nostalgischen „Boxhagener Platz“ den Friedhof in der Heinrich-Roller-Straße als maximal berlinischen ausguckt und also der Kiez wegen seiner brutalstmöglichen Behaglichkeit außer sich selbst auch noch das alte Friedrichshain verkörpern darf, sitzen wir bei Tykwer entspannt gegenwärtig im „Schusterjungen“ in der Danziger Straße oder spielen im Mauerpark mit Striesow/Adam Fußball, gleich nebenan bohrt ein Aktionskünstler nach Öl: Kunst und Kohle, immer schön rausholen was geht. Prenzlauer Berg wird bei Tykwer bei aller barocken Fülle eher nebenbei kenntlich als die große Petrischale, an der die gesamte Republik ihre soziale Kaffeesatzleserei betreibt.

 

Deutschland 2010 – Regie: Tom Tykwer – Darsteller: Sophie Rois, Sebastian Schipper, Devid Striesow, Annedore Kleist, Angela Winkler, Alexander Hörbe, Winnie Böwe, Hans-Uwe Bauer, Peter Benedict, Edgar M. Böhlke – FSK: ab 12 – Länge: 119 min. – Start: 23.12.2010

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar