Deutschlands Comic-Zentrum heißt Prenzlauer Berg

von Thomas Lindemann 31. Oktober 2012

Zwischen Kastanienallee und Helmholtzplatz blüht die Comic-Szene. Wie sehr sie in und um Prenzlauer Berg lebt, zeigen derzeit eine spektakuläre Ausstellung und ein gezeichneter Porno.

Es fängt an wie ein Witz: Kommt ’ne coole junge Frau in ’ne coole junge Boutique. Das könnte genau hier im Szenebezirk sein. Im Klamottenladen steht ein Gründerzeit-Sofa, die wenigen Dessous werden in türkisfarbenen und violetten Regalen präsentiert. Aber, plötzlich kommt die Verkäuferin mit in die Umkleide – zur bereits nackten Kundin. Küßchen sind dann nur der Anfang. Die Szene – aus der Feder der Berliner Zeichnerin Meike Plenzke – stammt aus „Bettgeschichten“, einer neuen Edelporno-Comic-Anthologie. Das Buch ist einer der zurzeit vielen Beweise, dass Prenzlauer Berg das Comic-Zentrum der Republik geworden ist. Herausgegeben werden die Porno-Kurzcomics von Naomi Fearn und Reinhard Kleist. Erdacht in ihrem Atelier in der Kastanienallee.

Der deutsche Comicfan klagt traditionell, dass seine liebste Kunstform hier zu Lande, anders als in Frankreich, Belgien oder den USA, nicht etabliert ist und in der öffentlichen Wahrnehmung praktisch nicht existiert. Doch das ist in Prenzlauer Berg anders. In den kleinen Modeläden liegen zwischen Pullis und Mützen Comics im Fenster. Und die U-Bahn-Station Bernauer Straße – zwar in Mitte gelegen, aber nur wenige Schritte vom Prenzlberg entfernt – ist derzeit eine ganze Comicausstellung.

Bis zum 3. November hängt dort die Schau „Tunnel 57“, die gezeichnete Geschichte von ein paar tragischen Tagen im Oktober 1965. 57 Menschen flohen durch einen Tunnel in den Westen, doch einer der Verschwörer war Stasi-Spitzel. Am Ende fielen Schüsse. Davon berichtet nun die gesamte Wand des U-Bahnhofs in Comic-Form. Von Sabine Buddenberg und Thomas Hensler, den Künstlern hinter der Aktion, erscheint gleichzeitig im Avant-Verlag das Buch „Berlin – geteilte Stadt“.

 

Ein Laden, ein Verlag und etliche Zeichner sitzen hier

 

Überhaupt, der Avant-Verlag. In der Rodenbergstraße, nahe des S-Bahn-Station Schönhauser Allee, befindet sich nicht nur mit „Black Dog“ einer der besten Comicläden der Stadt – einer nämlich, in dem man wirklich die gängigen Heftreihen aus den USA bekommt, einmal wöchentlich eingeflogen. Statt, wie der große Berliner Comicladen „Grober Unfug“, auch stark auf Nippes zu setzen, ist hier ein Comicladen geblieben wie der aus den „Simpsons“ – verschroben und großartig. Der dort als Teilhaber aktive Johann Ulrich ist gleichzeitig bei Avant Verleger. Unter den Underground-Verlagen vielleicht der interessanteste, da er mehr nur hübsche Kunstcomics will. Hier erscheint Tim Dinter, dessen „Lästermaul und Wohlstandskinder“ man als Chronik von Mitte und Prenzlberg lesen kann.

Die Reihe der interessanten Zeichner der Gegend ließe sich fortsetzen. Felix Görman alias Flix blickt aus seinem Atelier auf die Zionskirche. Er zeichnete für die FAZ einen erfolgreichen „Don Quichotte“. Und der Illustrator Marko Djurdjević, der neben seiner Zeichnertätigkeit bis vor kurzem eine Galerie in der Winsstraße betrieb, hat gerade nach fünf Jahren etwas schon wieder aufgegeben, wovon viele nur träumen: Er war regelmäßiger Künstler für Marvel, hat etwa Spider-Man und Wolverine gezeichnet. 

Aber die Lichtfigur der Berliner Comicszene bleibt Fil alias Philipp Tägert. Er war gerade für den „Sondermann“-Preis nominiert, er ist als Entertainer in der Stadt bekannt –an der Gitarre singt er auch verschiedene Songs über Prenzlauzer Berg, seine Wahlheimat, zu der er längst eine intensive Hassliebe pflegt. (Mehr dazu auch hier.)

 

Er wollte kein Honorar, weil das „nicht punk“ wäre


Mit 14 Jahren reichte Fil eine Zeichnung beim Stadtmagazin zitty ein, das damals übrigens noch wirklich links, underground und deutschlandweit respektiert war. Aus der Zeichnung wurde eine Serie. Fil forderte nicht einmal Honorar, „weil das sonst nicht punk wäre“. 1996 dann wurden „Didi und Stulle“ geboren, die beiden Schweine, die sich durch Berlins Diskursthemen rüpeln. Nach Prenzlauer Berg zog Fil vor zwölf Jahren um. „Didi und Stulle sind irgendwie in Moabit geblieben, wo ich vorher war“, sagt er. Die zwei Prolos passen nicht ganz in die inzwischen hübsche Szene. 

Fil teilt sich das legendäre Atelier in der Kastanienallee mit Reinhard Kleist, Naomi Fearn und Mawil. Von hier sind Initiativen ausgegangen wie die „Geschichten aus dem Comicgarten“-Sammelbände. Dazu haben sich jeweils ein paar aus der Szene getroffen und einfach zwei Nächte durchgezeichnet. Punk eben.

Fil blickt nachdenklich auf die Yuppies in dem hässlichen Neubau gegenüber. Er spürt, Prenzlauer Berg habe nachgelassen. Viel beklagt und hinlänglich bekannt, dass Kreative heute nach Neukölln gehen und hier aggressive Makler und Shops für teures Olivenöl oder Küchendesign hinterlassen haben. Aber mehr als man denkt ist geblieben. Street Art etwa. Und der Comic. Und Fil. Und Kleist. Und Avant. Und Blackdog. Irgendwas muss sie wohl noch haben, diese Gegend. „Ich bleibe“, sagt Fil deswegen auch, trotz allem. 

 

Info: „Berlin – geteilte Stadt“ ist gerade bei Avant erschienen, die „Bettgeschichten“ im Zwerchfell-Verlag. Und Fil tritt mit seiner sehenswerten Show bis 17. November dreimal wöchentlich im Mehringhof-Theater aus, Tickets unter mehringhoftheater.de

 


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