Mythos, Spitzel, arme Sau

von Juliane Schader 1. Oktober 2014

Sascha Anderson stand in der 1980ern im Zentrum der Prenzlauer Berger Kulturszene. Nach dem Mauerfall kam raus, dass er sie auch an die Stasi verraten hatte. Jetzt erzählt ein Dokumentarfilm seine Geschichte. (Aktuell in der ARD Mediathek zu sehen!)

An der Klingel steht immer noch der Name. Das Land ist ein anderes, der Bezirk ist ein anderer, die Nachbarn sind andere, nur Ekkehard Maaß, der wohnt immer noch in der Schönfließer Straße.

Hinter einem der Fenster dieses Hauses liegt sie also, die sagenumwobene Küche, in die der studierte Philosoph und Sänger Maaß in den 1980er Jahren die Szene vom Prenzlauer Berg zum literarischen Salon einlud. Hier war die Keramikwerkstatt, mit der seine Frau Wilfriede währenddessen die Familie ernährte, und hier ist er Anfang der 1980er Jahre irgendwann aufgeschlagen: Alexander Anderson, genannt Sascha, auch bekannt als Sascha Arschloch. Wolf Biermann hat ihn so bezeichnet, als er 1991 aufdeckte, dass Anderson nicht nur Dreh- und Angelpunkt der Prenzlauer Berger Subkultur war, sondern diese auch minutiös an die Stasi verraten hatte. Eine unglaubliche, eine deutsche Geschichte, die die Dokumentation „Anderson“ von Annekatrin Hendel nachzeichnet, die nun in die Kinos kommt.

 

An Stasi-Akten macht man sich die Finger schmutzig

 

Der Film beginnt in Frankfurt am Main, wo Anderson heute als Autor und Layouter lebt. Es gibt ein Leben nach dem Spitzeltum, ist die erste Erkenntnis, die einen in den ersten Minuten ereilt. Die zweite formuliert Anderson selbst, als er eine der Akten zur Hand nimmt, die von seiner Stasi-Tätigkeit zeugen, und beklagt, dass man sich daran die Finger schmutzig mache.

Er sagt nicht, dass es diese Akten niemals hätte geben dürfen.

Geboren wird Anderson 1953 in Weimar. Später macht er eine Lehre zum Schriftsetzer, ein Volontariat bei der DEFA und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs als Pförtner und Gleisbauarbeiter durch. Ab 1981 lebt er als freier Autor in Prenzlauer Berg und mausert sich dort schnell zum kleinen Star. 1986 geht er in den Westen. „Die DDR als Gebilde interessiert mich nicht. (…) Ich mußte mich nicht identifizieren mit diesem Staatsgebilde. Ich habe mich identifiziert mit einem Freundeskreis, mit einer Landschaft, in der ich aufgewachsen bin“, erzählt er im selben Jahr in einem Interview mit dem Spiegel.

Fünf Jahre später kommt raus, dass er diesen Freundeskreis bespitzelt hat. Jede Unterschriftenaktion, jede subversive Schrift, die ihm anvertraut wurde, hat er an seinen Führungsoffizier weitergetragen. Dazu hat er Persönlichkeitsprofile erstellt. „Uwe Kolbe ist ein aktiver, sachlicher Typ mit ungebrochenen Idealen.“ „Ekke Maaß hat eine übersteigerte familiäre Bindung und eine manische Sucht, Kleinwerte anzuhäufen.“ So steht es in den Akten.

 

Vom Popstar zur armen Sau

 

25 Jahre danach sitzen die so Verratenen für die Dokumentation vor der Kamera. Sie erzählen, wie sie Anderson zum ersten Mal begegnet sind („So ein Geck“, dachte Wilfriede Maaß, die später für Anderson ihren Mann Ekkehard verließ). Sie erzählen, welche zentrale Rolle er als Vermittler von Verlagen, Organisator von Konzerten oder Veranstalter von Lesungen sehr schnell im damaligen Kulturbetrieb einnahm („Wenn man sich in Prenzlauer Berg getroffen hat, war es nicht ungewöhnlich, wenn man erstmal eine halbe Stunde über Sascha Anderson gesprochen hat“, sagt Lyriker und Spelunkier Bert Papenfuß.) Sie nennen ihn „Popstar der Szene“ und „Kunst-Papst der Underground-Szene“. Und sie berichten, wie sie von Andersons Doppelleben erfuhren („Auf einmal war der ganze Mythos weg. Da war nur noch arme Sau“, meint Fotografin Ingrid Bahß).

 

Sascha Anderson in Ekkehard Maaß‘ nachgebauter Küche. (Foto: Martin Farkas)

 

Dazwischen kommt Anderson selbst zu Wort. Meist sitzt er dabei in der Version der Küche von Ekkehard Maaß, die für den Film in einem Studio nachgebaut wurde – auch, weil ihm hier bewusst eine Bühne geboten werden soll. Die zu nutzen er nicht versteht. Zwar redet Anderson viel, erzählt von Loyalitäten, an die er sich gebunden fühlte, von Fehleinschätzungen („Ich meinte, ich hätte das System im Griff“) und von Fehlern („Das ist scheiße gelaufen. Ich hätte früher das wahnsinnige Verletzungspotential erkennen müssen.“). Ein Bewusstsein für sein Fehlverhalten hat er aber nicht entwickelt.

Am Ende weiß man, dass es diesem Mann gelungen ist, sich selbst eine Geschichte zurechtzulegen, mit der er leben zu können glaubt. In sich logisch, gar nachvollziehbar ist sie für Außenstehende jedoch nicht.

Träte Anderson nicht so demonstrativ selbstbewusst auf, man könnte Mitleid mit ihm haben.

 

„Er muss die Last mit sich tragen, nicht ich.“

 

Diejenigen, denen er zu schaden billigend in Kauf genommen hat, sind hingegen mit sich im Reinen. Der Schock ist überwunden, von einem vermeintlich guten Freund an den vermeintlich gemeinsamen Feind verraten worden zu sein. „Enttäuschung ist etwas Positives: Ich bin nicht mehr ge-täuscht, ich bin ent-täuscht“, formuliert es Roland Jahn, heute Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, damals von Anderson noch nach seiner Ausbürgerung in den Westen überwacht.

Als Wolf Biermann 1991 den Spitzel öffentlich enttarnte, da sagte er nicht nur: „der unbegabte Schwätzer Sascha Arschloch, ein Stasispitzel, der immer noch cool den Musensohn spielt und hofft, dass seine Akten nie auftauchen. Das MfS setzte seine Kreaturen überall an die Spitze der Opposition, um sie besser abbrechen zu können.“ Er sagte auch: „Nichts wird vergessen, aber alles wird verziehn. Es tut noch weh, aber der Stachel ist aus dem Fleisch.“

Zum Schluss des Films sieht man Sascha Anderson bei Bert Papenfuß in der Rumbalotte in der Metzer Straße sitzen. Schon seit Mitte der 1990er arbeiten die beiden wieder zusammen, geben die Edition „Poetsche Boegen“ und die Reihe „Black Paperhouse“ im Gutleut Verlag heraus. Auch andere halten Anderson noch ein Türchen offen. Nur hindurchgehen müsste er selbst. „Ich vermisse da eine Offenheit, die soweit geht, dass er auch zu mir kommt. Dass er mir erklärt, wie das war in West-Berlin“, sagt Roland Jahn. „Aber ich muss ihm nicht hinterherrennen. Wir sind freie Menschen. Er muss die Last mit sich tragen, nicht ich.“

Die Dokumentation „Anderson“ von Annekatrin Hendel ist aktuell in der ARD Mediathek zu sehen (hier klicken)

 

 

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