Mauerfall mit Darm

von Juliane Schader 4. November 2014

Ein Hund passiert unerlaubt die Grenze, dem Oberstleutnant drückt der Magen, und dann ist da noch das Gerücht mit der Reisefreiheit: So präsentiert sich die Nacht des Mauerfalls im ARD-Film „Bornholmer Straße“, der Mittwochabend läuft.

„Unverzüglich.“ Es ist 18.53 Uhr am Abend des 9. Novembers 1989, als Günter Schabowski mit diesem Wort erklärt, dass die neue Reiseregelung für Bürger der DDR ab sofort gilt. Wenige Minuten später rasen die Eilmeldungen über die Ticker der Nachrichtenagenturen. Am Grenzübergang Bornholmer Straße stehen kurz darauf die ersten Menschen und wollen rüber. Doch die Grenzer wissen nicht, was Sie machen sollen. Was fehlt, ist ein konkreter Befehl. Soll die Mauer sich wirklich öffnen? Was würde dann aus der DDR, dem Sozialismus? Oder soll man nach chinesischem Vorbild die Menge gewaltsam auseinandertreiben? Nun muss sich entscheiden, welchen Weg das Land nimmt.

Einen besseren Stoff als die Erinnerungen des damals für den Grenzübergang verantwortlichen Oberstleutlants Harald Schäfer kann man sich für einen Thriller kaum wünschen. Doch die ARD hat sich entschieden, daraus eine Komödie zu machen. Das Ergebnis heißt „Bornholmer Straße“ und läuft am Mittwochabend im Fernsehen.

 

Ein Hund als Grenzverletzer

 

Dass es hier nicht ganz so ernst zugehen wird, zeigt schon die erste Szene: Da sitzt Oberstleutnant Schäfer (verkörpert durch Charly Hübner) auf dem Klo und leidet unüberhörbar an Verdauungsbeschwerden. Kurz darauf läuft ein Hund einfach so über die Grenze, und während die Soldaten noch mit dem ihnen eigenen Vokabular den Vorgang Hund erfassen („unerlaubter Grenzübertritt eines Hundes“, „Grenzverletzter ist dingfest gemacht“, „Feststellung eines Hundes: Name? Geburtsdatum? Wohnort?“), erklärt Günter Schabowski im Fernsehen die Reisefreiheit. 

 

(Foto: MDR/UFA FICTION/Nik Konietzny)

 

Nun könnte es dramatisch werden, denn am Schlagbaum sammeln sich immer mehr Menschen und alle Anrufe Schäfers bei seinem Vorgesetzten Oberst Kummer (Ulrich Matthes) bleiben ohne Erfolg. „Ich kann mir doch auch keinen Befehl aus den Rippen schneiden“, brüllt der irgendwann in sein beiges Wählscheibentelefon (nicht zu verwechseln mit dem direkt daneben stehenden roten Wählscheibentelefon – das ist nur für Anrufe ganz oben gedacht). Aber ohne Befehl läuft halt nichts bei Menschen, deren Lebensinhalt bislang im Ausführen von Ordern bestand.

 

Running Gag Magenbeschwerden

 

Doch hier soll es ja nicht dramatisch, sondern komisch zugehen, und so verlieren sich die Grenzer, die nicht wissen, ob sie aufs eigene Volk schießen sollen, im Klamauk: Erst versuchen sie, die Verantwortung an die Volkspolizei abzuschieben („Das ist eine unangemeldete Demonstration, da sind die Genossen von der Volkspolizei zuständig.“ – „Wir sind gerettet!“). Dann platzt die Mutti eines Zollbeamten ausgerechnet in dem Moment herein, als sie die Gewehre aus dem Schrank holen, um den vergessenen Turnbeutel ein paar geschmierte Schrippen vorbeizubringen. Und schließlich hopsen sie wie die Kindergartenkinder vor Freude, als endlich doch ein Befehl zu ihnen durchdringt („Wir haben einen Befehl! Wir haben einen Befehl“ singen sie) – vermeintlichen Provokateure soll die Ausreise gewährt, sie sollen dabei aber ohne ihr Wissen ausgebürgert werden, Rückkehr in die DDR ausgeschlossen.  

Dazwischen rumort als eine Art Running Gag Schäfers Magen. Die Heilung kommt zwischen immer neuen Telefonaten mit dem zunehmend dem Cognac verfallenen Vorgesetzten und Diskussionen mit Ausreisewilligen in Person des Botschafters von Mozambique vorbei. Dieser beharrt genau jetzt auf seinem Recht, von West nach Ost zu fahren, kann diesem Wunsch aber nur in gebrochenem Deutsch Ausdruck verleihen („Ich nicht kennen Chaos.“) und muss dazu noch ein lächerliches Fellkostüm mit einer schrecklicher Krawatte tragen – wie man sich bei der ARD eben Botschafter afrikanischer Staaten vorstellt. Mit Handauflegen und einer Art Voodoo-Zauber beendet er dann Schäfers Magenleiden, was den Zuschauern zumindest weitere Kloszenen erspart.

 

„Macht das Tor auf! Wir kommen wieder.“

 

Dafür bleibt endlich Gelegenheit für ein paar wirklich denkwürdige Szenen, etwa den Blick über die Grenze auf die Bornholmer Straße, auf der sich bis zum Horizont die Menschen drängen, oder der Moment, als Schäfer den Telefonhörer aus dem Fenster des Grenzerhäuschens hält, damit der Vorgesetzte in seinem fernen Amtsstübchen die Menge hört, die skandiert „Macht das Tor auf! Wir kommen wieder.“ Woraufhin dieser überfordert auflegt.

Um 23.30 Uhr entscheidet Schäfer dann eigenmächtig, die Waffen wieder in den Schrank zu sperren und den Schlagbaum zu öffnen. Die Menschen drängen Richtung Westen.

Der Film endet mit dem seltsamen Gefühl, dass es offenbar eine Truppe uniformierter Witzfiguren war, die sie voher 28 Jahre lang davon abgehalten hatte.

 

„Bornholmer Straße“ läuft am Mittwoch, 5. November um 20.15 Uhr in der ARD (und steht jetzt auch in der Mediathek). Um 21.45 Uhr folgt die begleitende Dokumentation „Die Nacht des Mauerfalls“.

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