Bevor die Westmark kam

von Juliane Schader 7. August 2012

Lust auf eine Zeitreise in den Prenzlauer Berg des Sommers 1990?  Die Dokumentation „Berlin Prenzlauer Berg“ der Filmemacherin Petra Tschörtner macht es möglich.

Zum Glück gibt es das U-Bahn-Viadukt der U2. Würde es nicht so verlässlich die Schönhauser Allee kennzeichnen, man würde sich in diesem Prenzlauer Berg von 1990 nicht zurechtfinden. Es sind nicht nur die Geschäfte und Kneipen, die anders heißen oder aussehen als heute, oder die Tatsache, dass die Bilder nur in Schwarz-Weiß daherkommen. Auch die Straßen erscheinen breiter und die Häuser einheitlicher, weil kaputter. Von den Menschen ganz zu schweigen, die sich im Wiener Café an der Schönhauser Allee zu Schlagern als Standardtänzer versuchen und die nichts gemein haben mit den Hipstern, die dort heute in den Biomarkt gehen. „Berlin Prenzlauer Berg. Begegnungen zwischen dem 1. Mai und dem 1. Juli“ heißt der Dokumentarfilm, der einem die Zeitreise ermöglicht. Nun ist er endlich auf DVD erschienen.

 

Besuch zwischen den Zeiten

 

Filmemacherin Petra Tschörtner hat sich damals, als alles und nichts mehr ging, mit ihrer Kamera durch die Kieze aufgemacht. Sie sprach mit den Arbeiterinnen der VEB Treffmodelle, die in der Greifswalder Straße Kleidung herstellten, „die einfach nicht modisch ist“, wie eine junge Frau erklärt, während im Hintergrund eine ältere Dame ein Monstrum von einem Mantel anprobiert. „Im Moment gibt es kein Modell bei uns, das ich anziehen würde.“

Sie besuchte die Hausbesetzer in der Kastanienallee, die die DDR-Fahne aus dem Fenster hängen hatten  – „Wir wollen ja nicht alles wegwerfen.“ Sie sprach mit dem 85-Jährigen im Altersheim, der ihr seine frisch erworbene Spaßbrille vorführte und sie mit zum Tanztee nach Karlshorst nahm. Und sie filmte die Kinder, die sich mit Spielzeugpistolen durch Hauseingänge jagten, denen man die Einschusslöcher des letzten Weltkrieges noch ansah.

So hat Tschörtner kurze Episoden festgehalten aus dem Leben der Menschen vom Prenzlauer Berg, die noch nicht genau wussten, was auf sie zukam. Die eher skeptisch waren als wirklich erfreut über die Entwicklungen der letzten Monate. Und die sich trotz des erbärmlichen Zustandes der Bausubstanz doch ganz wohl zu fühlen schienen in ihrer kleinen Enklave.

 

Die erste Westmark bei Konnopke

 

Das vermeintliche Idyll endete, als am 30. Juni 1990 Dagmar Berghoff in der Tagesschau für den kommenden Tag die Währungsunion ankündigte. „Vorbei der kurze Sommer der Anarchie. Ab morgen herrscht am Alex die Deutsche Bank“, heißt es in dem folgenden Nachrichtenbeitrag. Abends filmte Tschörtner, wie im Frannz-Club ein Bläsertrio die DDR-Hymne spielte und junge Punks sich dazu mit Münzen bewarfen. Kurz darauf sieht man noch Waltraud Ziervogel bei Konnopke ihre erste Westmark einnehmen, dann überlässt Tschörtner den Stadtteil und seine Bewohner der BRD.

„Die Menschen vom Prenzlauer Berg haben sich schon immer mehr Freiraum genommen als andere und eine kritischere Haltung gezeigt“, kommentierte sie später ihren Film. Seit 1984 lebte die Dokumentarfilmerin, die zur letzten DEFA-Generation gehörte, hier. Wie nun bekannt wurde, starb Petra Tschörtner am 25. Juli dieses Jahres nach langer Krankheit im Alter von 54 Jahren.

„Berlin – Prenzlauer Berg – Begegnungen zwischen dem 1. Mai und dem 1. Juli 1990″, Dokumentarfilm von Petra Tschörtner, 75 Minuten, DEFA-Studio für Dokumentarfilme GmbH, UVP 19,90 Euro.

 

Nachtrag vom 20. September:

Seit kurzem kann man den Film auch komplett und kostenlos bei Vimeo ansehen.  


 

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