Die letzten ihrer Art

von Thomas Trappe 5. Juni 2014

Seit mehr als hundert Jahren zeigt der Circus William Mensch und Tier in Aktion. Jetzt wird es langsam eng für den Zirkus, das wird in Pankow deutlich. Zu Besuch bei einem Show-Patriarchen und seinen Kindern, die fürchten, dass ihr Job nicht mehr erwünscht ist.

Heinz Wille macht die Beine breit. Er muss schon länger so sitzen, nachvollziehbar, es ist morgens um neun, die Sonne scheint und dieser Wohnwagen neben ihm misst sagenhafte 14 mal fünf Meter. Sein Wohnwagen. Was soll er da anders machen, als zufrieden und mit breiten Beinen auf seinem Stuhl sitzen? „Ich habe mein Leben lang gearbeitet“, erklärt er, und ob seine Augen dabei blitzen sieht man nicht, denn sie liegen hinter einer schicken Sonnenbrille.

Heinz Wille ist 70, und er ist Chef hier. „Circus William“: Sein Laden. Siebte Generation, er kannte noch die vierte, Urgroßmutter und Urgroßvater, und die kannten mit viel Glück vielleicht noch die Gründer des Zirkus‘, 1889 ging es los. Damals wurde in den USA das erste Mal der elektrische Stuhl eingesetzt, aus humanen Gründen löste er der Strick ab. Damals lagen viele Dinge noch etwas anders, und Tierschutz war was, worum sich Tiere schon selbst kümmern mussten. Zeiten ändern sich, und deshalb tut es irgendwie weh, wenn man Heinz Wille jetzt beobachtet, den Mann, der zumindest die zweite Hälfte der kompletten Geschichte seines Zirkus‘ verkörpert, wie also dieser Heinz Wille sich jetzt leicht aufbäumt, und die kindliche Freude über diesen riesigen Wohnwagen dem ehrlichen Entsetzen weicht, dass er ein Tierquäler sein soll. Ein Nazi. Heinz Wille sagt: „So was darf man doch nicht sagen.“

 

Maria Weber mit Antilope

Maria Weber mit einer Antilope. (Alle Fotos: tt)

 

Ein Zirkus ist eine zwiespältige Angelegenheit. Er riecht schon von weit her, und wen der Geruch nicht an Kindheit und irgendwie an Quietschvergnügen erinnert, der hatte, möchte man meinen, wohl eine eher harte Kindheit. Man betritt dann das Gelände des alten Rangierbahnhofs an der Granitzstraße in Pankow und sieht diese Wohnwagen, viele große und diesen einen riesengroßen, die Kinder und Halbstarken in Trainingsanzügen, hört dieses jeder Grammatik Hohn sprechende Rotwelsch des fahrenden Volkes und will nicht so recht einsehen, dass man das jetzt schlecht, gar böse finden soll.

Aber es ist nicht zu übersehen. Hier stehen Tiere, die hier nicht hingehören. Zebras, Löwen, Tiger, und irgendwas mit Hörnern. Man weiß inzwischen, dass das vielleicht nicht ganz korrekt ist. Tierschutz und so. Aber gilt Tierschutz auch, wenn es so schön nach früher riecht? Ja, meinen die Tierschützer, die hier in den vergangenen Tagen mehrfach demonstriert haben und vorher schon in Potsdam. Dort gab es dann eine Schlägerei, und auch in Pankow ist die Stimmung bei den Demos angespannt. Anlass für diesen Ortstermin.

 

Kommunen geben kaum noch Genehmigungen

 

Nochmal schnell die Front abstecken. Die Akzeptanz für Zirkusshows mit Tieren sinkt seit Jahren, der öffentliche Druck steigt. So verzichtet zum Beispiel der Bayerische Rundfunk seit 2008 darauf, seine jährliche Show „Stars in der Manege“ mit exotischen Tieren zu bestreiten. Aktivisten fordern die Abschaffung von Tierzirkussen, und viele Kommunen geben inzwischen auch keine Genehmigungen mehr für solche Veranstaltungen. Auch der Circus William habe im Bezirk Pankow kaum noch eine Chance, berichtet Maria Weber, Tochter von Heinz Wille. Sie könnten nur noch ihr Zelt hier aufschlagen, weil es sich um ein Privatgelände handle.

Maria Weber führt über das Areal. Sie ist für die Kasse zuständig, außerdem macht sie als Statistin in den Shows mit, wozu auch gehört, als Partner für den Messerwerfer herzuhalten. 38 Jahre ist sie alt, einen anderen Job als Zirkus hat sie nie gemacht, und das gilt auch für die meisten anderen der 40 Mitarbeiter und 100 Tiere hier. Denen gehe es gut, sagt Wille, und auch von den gegnerischen Tierrechtlern wird später eingeräumt, dass die Gehege größer seien als in anderen Zirkussen. Gestern diese Demo wieder, sagt Maria Weber genervt. „Der Zirkus muss kaputt gehen, haben sie gerufen, weggesperrt gehörten wir.“ Maria Weber weiß genauso wenig wie ihr Vater, was das soll.

 Zebras im Zirkus Wille

100 Tiere, darunter diese Zebras, werden im Circus William gezeigt.

 

Auf dem Tisch vor ihrem Wohnwagen liegt eine Wasserpistole. Die Waffe, wegen der in Potsdam neulich alles eskalierte, wo der Zirkus drei Wochen gastierte. Nahezu täglich demonstrierten Mitglieder des Zusammenschlusses „Tierzirkus, Zoo und Co. abschaffen“. Unbestritten ist, dass Zirkuskinder die Demonstranten mit Wasserpistolen bespritzten, ob mit Gülle oder mit Wasser, darüber gibt es unterschiedliche Angaben von Demonstranten und Zirkus. Schließlich, auch da besteht Einigkeit, ging ein Demonstrant auf das Zirkusgelände, um die Kinder am Spritzen zu hindern. Er sei von einem 16-Jährigen und anderen verprügelt worden, sagt nun der Demonstrant, beim Zirkus erklärt man, dass der Bruder eines Kindes dieses nur beschützen wollte. 

 

„Ihr steht auf einer Stufe mit den Nazis“

 

Der Demonstrant habe eine Platzwunde erlitten und Schmerzen im Rücken, teilt die Polizei Potsdam auf Anfrage mit. Anzeigen lägen sowohl vom Demonstrant (Körperverletzung) und Zirkus (Hausfriedensbruch) vor. „Die Leute hören so viel im Internet und aus dem Ausland über misshandelte Zirkustiere“, sagt Maria Weber. „Und scheren alles über einen Kamm.“ Nach dem Zwischenfall in Potsdam müsse die Familie Drohungen und Schmähungen aushalten, meistens anonym und online. „Ihr beweist nur, was für niederträchtige Monster ihr seid“, ist da zum Beispiel zu lesen. „Nix als Tierquäler und blinde Schläger! Mit eurer gestrigen Aktion könnt ihr euch auf eine Stufe mit den Nazis stellen. Draufknüppeln, das könnt ihr. Schon immer. An Kamelen, Zebras, Tigern, Löwen – jahrelange Übung.“

 

Tiger

Tiger und Löwen in Gehegen auf dem Zirkusgelände.

 

Von solchen Worten allerdings distanziert sich Jörg Hartmann, der verprügelte Demonstrant. Er ist gerade ans Telefon gegangen, da muss er schon wieder auflegen. Sein Hund sei gerade abgehauen. Zwei Minuten später ist er wieder am Hörer und berichtet von den Wasserpistolen und der Jauche, er hat das in den letzten Tagen schon sehr häufig erzählt, viele Journalisten wollten es hören. Hartmann versteht sich als Tierbefreier, was abzugrenzen sei von Tierschützern, „die einfach nur für größere Käfige eintreten“ und Tierrechtlern, die gewisse Grundrechte forderten. Er selbst und seine Mitstreiter kämpften für einen grundlegenden Wandel in der Gesellschaft, der die Gefangenschaft aller „nichtmenschlichen Tiere“ beenden müsste, wie er sagt. Für den Circus William ganz konkret wünscht er sich ein sanftes Auslaufen: So sollten keine neuen Tiere angeschafft oder nachgezüchtet werden. „Was mit den Tieren, die jetzt im Zirkus leben, passiert, müsste man dann sehen.“ 

 

Monika, 42, Eselstute

 

Hartmann sieht die Willes, so sagt er, „nicht als Gegner, sondern selbst als Opfer der Umstände“. Sieben Generationen Zirkus sind für ihn keine Leistung, sondern eine Tragödie. „Zirkusleute wurden über hunderte Jahre ausgegrenzt und hatten gar keine anderen Möglichkeiten, einen Beruf auszuüben.“ Bis heute setze sich die soziale Ausgrenzung fort. „Deshalb würde ich gerne mit den Leuten zusammenarbeiten und schauen, wie man zusammen eine Lösung findet. Die haben ja auch nur Angst, weil sie spüren, dass sie nicht mehr lange so weiter machen können.“

Es ist davon auszugehen, dass Heinz Wille, hörte er diese Ansage, dann wohl doch mal kurz von seinem Stuhl aufspringen würde. Aber er wird sich die demonstrierenden Tierrechtler wahrscheinlich weiterhin nur von Weitem anschauen. Jetzt lobt er erstmal seine Söhne, die zwei Wagen weiter eine Schildkröte füttern. „Kein Alkohol, keine Zigaretten, kein Hasch, keine Disco“, beschreibt er die beiden in Negierungen, sie stünden im Übrigen immer sehr früh auf und seien wahre „Tierflüsterer“. Die Söhne sind etwas jünger als Monika. Monika ist das älteste Tier im Bestand, eine Eselstute von 42 Jahren, sie kannte Heinz Willes Vater noch. Monika ist Rentnerin, verbringt ihren Lebensabend auf der sieben Hektar großen Ranch im Brandenburgischen, genau wie alle anderen Tiere, die zu alt fürs Showgeschäft sind. „Den Tieren geht es gut bei uns, wir behandeln sie wie unsere Kinder“, sagt Heinz Wille. Eines einzuschläfern komme selbstverständlich nicht in Frage.

Er redet jetzt sehr viel, hört gar nicht mehr auf, es geht jetzt um selbst gebaute Holzwagen und Pferdefuhrwerke, mit denen sie früher durchs Land zogen, um die Trompete, in die er als kleiner Junge blies, wenn sie ihr Erscheinen in einer neuen Stadt ankündigten. „Das war eine andere Welt“, sagt Heinz Wille. Den Tieren gehe es doch gut bei Ihnen, wiederholt er, „wissen Sie, was mit den meisten Tigerjungen in freier Wildbahn passiert?“ Wahrscheinlich würden die Tiger bald aussterben, wenn es keine Zirkusse gebe, sagt Heinz Wille dann noch. Eigentlich ist er ein Tierschützer.

 

 

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