„Wer Prenzlauer Berg sagt, ist Prenzlauer Berger“

von Juliane Schader 23. Dezember 2010

Reinhard Kraetzer war bis 2001 der letzte Bezirksbürgermeister für Prenzlauer Berg. Im PBN-Interview spricht er über Weihnachten 1972, Wohnungen mit Innenklo und die Zukunft der Castingallee.

 

Sie wohnen seit 1972 in Prenzlauer Berg. Erkennen Sie es noch wieder?

Natürlich. Es ist ein bisschen heller geworden seitdem, aber ich kenne noch viele Leute, die schon damals hier lebten. 1972 war ich selbst neu hier und habe mich seitdem gemeinsam mit dem Prenzlauer Berg entwickelt. 

 

Wie bewerten Sie die Veränderung?

Erstmal finde ich es sehr positiv, dass es heller und damit auch schöner aussieht. Das war ja früher eine richtig graue Stadt, wie man an manchen Häusern noch erkennt. Dass alles Neue mittlerweile schon wieder ein bisschen Patina hat, ist auch nicht so schlecht. Und dass hier so viele neue Leute hergezogen sind – sympathische und auch weniger sympathische. Am besten gefällt mir genau das, was viele kritisieren, nämlich dass es heute so viele Kinder in Prenzlauer Berg gibt, und dazu gehören nun mal Kinderwagen.

 

Erzählen Sie doch mal von früher. Wie war es Anfang der 70er, in Prenzlauer Berg zu leben?

Es war ein vergessener Bezirk. Wer Komfort wollte, ist weggezogen. Wer aber an Lebensqualität interessiert war, die ein bisschen anders ist, der ist hiergeblieben. Was jedoch auf dem geregelten Zuweisungswohnungsmarkt der DDR gar nicht so leicht war. Meine erste Wohnung habe ich nicht vom Wohnungsamt bekommen, sondern von einem Freund, der zu seiner Freundin gezogen ist. Er kam  eines Mittags ins Espresso Lindencorso und sagte: „Du wolltest doch meine Wohnung haben. Musst drei Monate Miete nachzahlen.“ Damals war das ja nicht so viel, 29 Mark 95, glaube ich. Und dann nannte er den Namen der Frau für die die Miete eingezahlt werden musste, die aber weder er, noch sein Vormieter kannten. So bin ich in den Prenzlauer Berg gezogen, in die Lychener Straße 17. Leider ist meine Ein-Zimmer-Innenklo-Wohnung heute ein Durchgang. Und dann wohnte man in Prenzlauer Berg und lernte immer schnell Leute kennen. Etwa in meiner Stammkneipe, dem Keglerheim…

 

Wo war das?

Auch in der Lychener Straße. Heute heißt das August Fengler. Das war eine legendäre Kneipe mit einer alten sehr netten  Wirtin, Margarete Fengler. Die hat von 10 bis 24 Uhr aufgehabt, und da traf sich alles, was Rang und Namen hatte: Künstler, Lebens- und Möchtegern-Künstler, Handwerker, Arbeiter, Musiker, Studenten.

 

Was haben sie damals gemacht?

Ich habe Theaterwissenschaften studiert.

 

Und wie war es damals an Weihnachten? Heute wirkt Prenzlauer Berg dann ja geradezu entvölkert.

Der Prenzlauer Berg war nie eine richtige Weihnachtsstadt. Auch vor der Wende sind viele Prenzlauer Berger zu ihren Eltern und Großeltern ins Land gefahren. Wir waren auch nur einmal hier, daher weiß ich das. Früher fuhr man halt nach Sachsen, Thüringen und Mecklenburg, und heute auch nach Schwaben, München und ins Ruhrgebiet. 

 

In dieser Hinsicht hat sich also gar nicht so viel geändert?

Nein, kann sich auch gar nicht, so ein Bezirk prägt ja auch. Prenzlauer Berg war immer schon ein Ort der Zuzüge und Wegzüge. Das ist doch Großstadt und nicht weiter zu bedauern.

 

Können Sie Prenzlauer Berg in ein paar Sätzen charakterisieren? Gibt es etwas Typisches, das überdauert hat?

Egal, woher man kommt, in Prenzlauer Berg ist man Prenzlauer Berger. Diese Schwaben-Diskussion wurde garantiert nicht von Prenzlauer Bergern gemacht, die sich als solche fühlen, und auch nicht von Menschen, die hier geboren wurden. Das kommt von außen, wie auch das Wort Prenzlberg. Der Prenzlauer Berger sagt das nicht, der sagt Prenzlauer Berg.

 

Wer ist dann der richtige Prenzlauer Berger?

Derjenige, der Prenzlauer Berg sagt.

 

In der Kastanienallee wehren sich derzeit Zugezogene gegen Veränderung mit der Begründung, der Charme der Straße ginge verloren. Wie stehen Sie zu dieser Diskussion?

Ich bin beileibe kein fundamentaler Bewahrer, aber ich bin immer sehr skeptisch, wenn Straßen derartig stark verändert werden, mit Gehwegvorstreckung, Parktaschen und komischen Abbiegeregelungen, wo Fußgänger, Fahrrad- und Autofahrer völlig durcheinander geraten. Ob der Straße durch den Umbau allerdings die Seele genommen wird, weiß ich nicht. Die Seele ist schließlich nicht das Pflaster. Die Kastanienallee ist ja ein gutes Beispiel für Veränderung. Vor und kurz nach der Wende war sie eine langweilige, völlig unaktraktive  Straße. Dann kamen die Cafés, Bars und Geschäfte, und nun wird sie sich wieder entwickeln. Sie kann ja nicht ewig Castingallee bleiben.

 

Eine letzte Frage: Sie waren der letzte Bürgermeister in Prenzlauer Berg; seit der Bezirksfusion 2001 wird dieser aus dem Pankower Rathaus verwaltet. Hat der Prenzlauer Berg darunter gelitten?

Nein, das glaube ich nicht. Verwaltung ist die eine Sache, der Lebensraum eine andere. Identität definiert sich nicht über Kommunalpolitik, sondern Kommunalpolitik nimmt im besten Fall Rücksicht auf Identitäten. Die Bezirksfusion war vernünftig; eigentlich hätten es noch weniger Bezirke werden müssen. 

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