„Wir haben bereits heute Klima-Probleme“

von Juliane Schader 19. Juni 2014

Die Stadt braucht Freiflächen, sonst wird es im Sommer für manche lebensbedrohlich, sagt Klimatologe Dieter Scherer. Ein Interview über Bauen am Mauerpark, kühlende Fassaden und die Fehlentscheidung Tempelhofer Feld.

Wer in der Stadt lebt, meint, mit Klima nicht viel am Hut zu haben. Niemand von uns wartet auf Regen, damit der frisch angebaute Weizen wächst. Ein Thema tauchte in den vergangenen Monaten aber immer wieder auf, wenn es darum ging, gegen Neubauprojekte mobil zu machen: die Kaltluftschneise. Was ist das eigentlich?

Dieter Scherer, Professor für Klimatologie am Institut für Ökologie an der Technischen Universität Berlin: Wir haben gerade in den Städten das Phänomen, dass insbesondere in den Sommernächten die Temperaturen in den dicht bebauten Flächen deutlich höher sind als in den Freiflächen. Eine Kaltluftschneise ist ein Gebiet, das in der Lage ist, kühle Luftmassen aus diesen Freiflächen in die angrenzenden Wohngebiete zu transportieren. Damit das funktioniert, dürfen die Kaltluftschneisen auf einer Breite von mindestens 50 Meter nur gering oder am besten gar nicht bebaut sein. Neben Grünflächen sind auch Flüsse oder Seen hervorragende Kaltluftschneisen, wobei aber zu beachten ist, dass die Gewässer selbst im Sommer kaum Kaltluft produzieren.

 

Wie kommt es zu diesen Temperaturunterschieden?

Im Wesentlichen liegt es daran, dass Energie von der Sonne am Tage in den Gebäuden gespeichert und verzögert in der Nacht an die Luft abgegeben wird. Dadurch sinken die Temperaturen deutlich weniger ab. Das führt dazu, dass es in Berlin in der Nacht bis zu zwölf Grad wärmer ist als im Umland. Wir als junge Menschen finden das vielleicht ein bisschen drückend. Aber für ältere Menschen über 65 – insbesondere, wenn sie krankheitlich belastet sind –ist das eine starke Beeinflussung. Eine aktuelle, frei zugängliche Veröffentlichung in der Zeitschrift „Die Erde“ zeigt am Beispiel Berlin, dass ungefähr fünf Prozent aller Todesfälle nachweislich mit erhöhten Lufttemperaturen einhergehen. Und das ist nicht nur während der Hitzewellen so, die alle zehn Jahre mal vorkommen, sondern bei den heißen Perioden, die wir jedes Jahr haben.

 

Die Initiativen, die etwa am Mauerpark oder am Güterbahnhof Greifswalder Straße gegen geplante neue Wohnviertel und für eine Freihaltung der Kaltluftschneisen kämpfen, sprechen also ein wichtiges Thema an?

Das kann man so sagen. Aber – und jetzt kommt der entscheidende Punkt: Es wird häufig falsch eingeschätzt, wie weit Kaltluft vom Entstehungsort bis in die Wohngebiete hineintransportiert wird. Das geht nicht, wie immer wieder behauptet wird, über viele, viele Kilometer, sondern nur über kurze Distanzen.

 

Von welchen Dimensionen sprechen wir da?

Ungefähr 200 Meter. Nehmen sie mal das Tempelhofer Feld. Da wird ja viel Kaltluft gebildet in der Nacht, die aber maximal 200 Meter in die angrenzende Wohnbebauung hineintransportiert wird, und dann ist die Wirkung des Feldes verpufft.

 

Das heißt, wir brauchen zur Abkühlung der Stadt nicht einen großen Park, sondern viele, im Raum verteilte Grünflächen?

Viele kleine und mittlere, vor allem gut vernetzte und in kurzer Distanz erreichbare Grünflächen sind wichtiger. Diese sollten aber mindestens einen Hektar Größe haben, damit sie selbst ausreichend Kaltluft produzieren. Sie dürfen also nicht oder nur gering bebaut sein, und in den Kaltlufttransportgebieten darf nichts die Strömung behindern.

 

In Prenzlauer Berg wird aktuell über eine geplante Bebauung am Mauerparks diskutiert, die die Verbindung zum „Grünes Band“ genannten Grünzug nach Norden durchschneiden soll. Ist das ein Beispiel für eine Blockade, die bedenklich wäre?

Das könnte sein, aber das hängt von den Details der Bebauung und von den typischen Windrichtungen ab. So pauschal lässt sich das nicht beurteilen.  

 

Müssen Bauherren solche Klimafaktoren berücksichtigen, wenn sie ein neues Wohngebiet konzipieren?

Die rechtliche Lage ist da leider sehr schwammig. Anders als beim Schutzgut Luft, wo wir Grenzwerte für Luftschadstoffkonzentrationen haben, gibt es beim Klima nur ganz schwache Formulierungen im Sinne von „Das Klima muss mit berücksichtigt werden“. Wie das erfolgt, ist nicht genauer ausgeführt.

Was dann häufig passiert, ist leider eine richtig traurige Sache: Man macht eine ganz kleine, billige Untersuchung, und dann ignoriert man die Ergebnisse. Denn Berücksichtigen heißt ja nicht, dass man es auch wirklich in die Planungen einfließen lässt, sondern nur, dass man sich das Thema angeschaut hat und es dann abwägt gegen andere Aspekte.

 

Politik und Rechtsprechung haben das Problem also noch nicht erkannt?

Das Schlimme daran ist, dass die Politik sich auf den Klimawandel konzentriert. Das hört sich verrückt an, aber der Klimawandel ist auf der Agenda, die Stadt Berlin tut da einiges. Aber sie tut nichts für die Verbesserung der gegenwärtigen Klimasituation. Und wir haben die Probleme nicht erst in 30 Jahren, wir haben sie bereits heute. Aber es wird einfach ignoriert, weil andere Interessen im Vordergrund stehen, wie jetzt zum Beispiel die Notwendigkeit – die ja auch anerkannt werden muss – für neuen Wohnraum.

 

Aber die Stadt wächst und wir brauchen, auch angesichts der steigenden Mieten, dringend neue Wohnungen.

Genau deshalb ist der Volksentscheid, der das Tempelhofer Feld in dieser riesigen Fläche frei hält, aus ökologisch-klimatologischer Sicht eine Fehlentscheidung: Der Druck der Bebauung auf die kleineren Flächen wird zunehmen, sie werden kleiner werden und ihre Ausgleichsfunktion für die angrenzende Wohnbebauung verlieren.

 

Tempelhofer Feld

Das Tempelhofer Feld. (Foto: Juliane Wiedemeier)

 

Bislang haben wir nur über das Thema Temperatur gesprochen. Gibt es noch andere Klimafaktoren, die uns in der Großstadt beeinflussen?

Der Wind spielt eine wichtige Rolle. Schon ein leichter Luftzug kann eine Wärmebelastung deutlich reduzieren. Das merken sie, wenn sie sich zum Beispiel in einer Sommernacht zu Hause belastet fühlen. Dann machen sie auch nicht den Kühlschrank auf, sondern sie schalten den Ventilator ein. Das Ventilieren ist eine große Hilfe, damit der Körper die überschüssige Wärme wieder loswird. Deswegen sind auch die Kaltluftschneisen wichtig, weil sie Luftbewegungen ermöglichen.

Außerdem spielt beim Thema Wärmebelastung und Hitzestress die Strahlung eine Rolle. Von der Sonnenstrahlung, die uns die gesamte Energie liefert, wird ein Teil von Oberflächen sofort zurückreflektiert. Wenn sie eine helle Oberfläche haben, können das bis zu 30 Prozent sein; bei dunkleren Oberflächen sind es nur 10 Prozent. Das, was sie etwa in der Nähe einer Betonfläche an Belastung spüren, hat weniger mit der Lufttemperatur als mit der Strahlung, die von der Oberfläche ausgeht, zu tun.

 

Diese Strahlung verursacht die hohen Temperaturen nachts im Sommer?

Sie bedingt sie und kommt zusätzlich als Belastungsfaktor hinzu.

 

Was kann man dagegen machen?

Eine Gebäudehülle sollte sicherstellen, dass die Wärme im Winter drinnen und im Sommer draußen bleibt. Die gleiche Gebäudehülle kann das. Das wird immer als energetische Sanierung verkauft, um die Energiekosten zu drücken, was sehr sinnvoll ist. Die Energie wird ja mit Treibhausgasemissionen erzeugt. Aber das hat auch eine unglaublich positive Wirkung im Sommer. Das mit Zahlen zu belegen, ist ein Teil der Forschungsarbeiten, die wir derzeit durchführen. (Mehr Informationen dazu gibt es auf der Website der Forschergruppe UCaHS, kurz für Urban Climate and Heat Stress.)

 

Macht sich der Klimawandel in Berlin bemerkbar?

Nehmen wir das Stadtgrün, das hilft, der Belastung durch Wärme entgegen zu wirken. Berlin ist da relativ gut versorgt, allerdings wächst Vegetation nur, wenn sie Wasser hat. Wenn sich die Niederschläge nun verändern und längere Trocken- oder gar Dürreperioden kommen, dann verkümmern die Pflanzen und können ihre Kühlleistung nicht mehr ausüben.

Wir haben Messungen gemacht auf dem Dach vom Kaufhaus Stilwerk in der Kantstraße – das ist eines der Kerngebiete, wo wir diese Überwärmungsprobleme haben. Da haben wir die Oberflächentemperaturen von zwei verschiedenen Vegetationsarten und einer Betonplatte angeschaut. Was meinen sie, was die höchsten Temperaturen gehabt hat?

 

Die Betonplatte?

Das war ein Rasen, der trocken gefallen ist.

 

Das heißt, wenn es nicht genug regnet, helfen uns auch Grünflächen nicht?

Ganz genau. Die Grünflächen müssen mit Wasser versorgt werden. Das kann normalerweise das Wetter für uns machen. Alles, was sich durch den Klimawandel da verändert, ist problematisch.

 

Beobachten Sie denn dahingehend Veränderungen?

Wir haben das Problem, dass der Niederschlag bei uns von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr extrem stark variiert. Die Änderungen, die wir derzeitig im Klimawandel sehen, sind viel zu schwach, um gegen diese große Schwankungsbreite statistisch als Trend erkennbar zu sein. Das heißt, wir kennen den Zusammenhang, aber wir können ihn statistisch nicht beweisen.

 

Gilt das auch für den Temperaturanstieg?

Die wissenschaftlichen Untersuchungen zeigen ganz klar: der Klimawandel geht weiter. Wir liegen da in Berlin im durchschnittlichen Trend mit einem Temperaturanstieg von etwa einem Grad seit rund 100 Jahren.

 

Das Klima beeinflusst uns Stadtmenschen also wesentlich stärker, als gedacht.

Der Stadtmensch hat Vorteile bezüglich des Klimas. Gehen sie mal an einem heißen Sommertag in Brandenburg auf einen baumlosen Acker. Da werden sie die Stadt zu schätzen wissen. Aber wenn sie in den verdichteten Innenstadtbereichen wohnen, dann haben sie gravierende Probleme mit Hitzestress. Stadtplanung müsste das viel mehr mitdenken.

 

Foto: Olaf Tausch / CC-BY-SA-3.0 via Wikimedia Commons (Foto beschnitten)

 

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