Aus alt mach neu

von Anja Mia Neumann 2. Juli 2015

Ein Sozialladen direkt unter schicken Eigentumswohnungen. Ein Ding der Unmöglichkeit? Nein. Eine Baugruppe hat sich freiwillig dazu verpflichtet. Der Laden ist ein Treffpunkt mit neuem alten Design geworden.

Darum geht’s:

 

• Ein Second-Hand-Laden der Stadtmission darf trotz Grundstückverkaufs und neuen Eigentumswohnungen zurück an seinen angestammten Platz – für eine geringe Miete.

• Das Konzept des Ladens heißt Upcycling: Aus alten Gegenständen werden neue, zum Beispiel Sofas zu Taschen oder Betten zu Tischen.

 

Dieser Bau in der Malmöer Straße zeigt mal wieder die Verdrängung in Prenzlauer Berg – so haben es zumindest Gentrifizierungsgegner vermutet. Wo früher eine Baracke mit einem Sozialladen der Berliner Stadtmission stand, sind jetzt Eigentumswohnung. Doch – entgegen der Erwartung vieler Nachbarn – der Second-Hand-Laden ist wieder eingezogen. Auf ganzen 250 Quadratmetern gibt es seit letztem Wochenende wie vorher Kleidung, Bücher und Spielzeug. Gebraucht und günstig. Aber ohne Modergeruch, der Zweite-Hand-Geschäften sonst so eigen ist. Und mit ungewöhnlichem Innendesign.

Vor vier Jahren verkaufte die Berliner Stadtmission ihre Einrichtung, Gnadenhütte genannt, genauer gesagt das Grundstück, auf dem sie stand. Zwei Jahre später wurde es bebaut. In den 1920er Jahren hatte die evangelische Kirche die frühere Hütte als Suppenküche genutzt, seit Mitte der 1990er Jahre war hier der Komm-und-Sieh-Laden. Damals wie heute funktioniert das Geschäft durch das Spenden all jener Gegenstände, die zum Verkauf stehen. Die Erlöse gehen an den Kältebus, an Hospize und die Bahnhofsmission.

 

„Es geht nicht um Gewinn.“

 

Beim Verkauf hatte die Organisation mit den Käufern, unter anderem einem Architekten und seinem Partner, eine Verabredung getroffen: Der Laden darf im Erdgeschoss zurückkehren. Und die Gruppe, die anschließend baute, Shared Space Malmöer, hielt sich an das Versprechen. Freiwillig.

„Uns geht es explizit nicht um Gewinn“, sagt Friedrich May, Vertreter der GbR. Die Baugemeinschaft habe die Gewerbeeinheit extra gebaut und zu einer sozialverträglichen Miete angeboten. Warum? Weil der Laden Tradition und Kunden habe. Und weil es nicht die Absicht war, Dinge komplett zu verändern. Altes sollte im Neuem bleiben können.

„Ohne das Entgegenkommen der neuen Eigentümer, hätten wir hier in der Gegend eher keine Chance auf einen Laden mehr gehabt“, meint Eckhard Berchner, der als Ehrenamtlicher das Geschäft entworfen und gestaltet hat. Woanders wäre wohl das Doppelte an Miete fällig, schätzt er.

Der Sozialladen erstreckt sich fast über die ganze Breite des Neubaus. Foto: Anja Mia Neumann

 

Konkrete Zahlen wollen weder er noch der Leiter des Ladens nennen. Doch Andreas Scholze kennt sich aus, hat lange in der zentralen Kleiderkammer der Stadtmission gearbeitet, und weiß, dass das Entgegenkommen nicht selbstverständlich ist. „Viele Vermieter verbinden die Stadtmission mit Obdachlosen und Alkoholismus“, sagt Scholze. „Die haben Angst vor Verwahrlosung und lehnen deshalb eine Vermietung ab.“

 

Ein Treffpunkt mit Kaffee und Nähmaschine

 

Mit Verwahrlosung hat der neue Laden allerdings so ziemlich gar nichts zu tun. Er ist eine Mischung aus Kiezcafé mit gutem Cappuccino für 1,50 Euro, Bücherregalen zum Schmökern und einer großen Spieleecke mit Spielsachen aus zweiter Hand.

Außerdem gibt es ein Atelier mit Nähmaschine zum Verleih und Kursangebot. Die Designer von „Water to Wine“, einem Projekt der Stadtmission, machen hier etwa aus einer alten Ledercouch neue Handtaschen. Der Laden soll ein Treffpunkt sein. Wie nebenbei stehen ein Taschenbuch oder eine alte Porzellantasse für 50 Cent zum Verkauf, eine Bluse für 3,50 Euro.

Rund 1200 Euro hatten die Mitarbeiter der Stadtmission zur Verfügung, um den Laden zu gestalten. „Das ging alles für Werkzeug, Schrauben und Verpflegung drauf“, sagt Kommunikationsdesigner und Ehrenamtlicher Berchner. Die komplette Einrichtung basiert auf Möbel-Spenden.

 

Upcycling als Design-Konzept

 

Und so hängen Oma-Lampen an der Decke – „Ich habe sie extra trashig ausgesucht, damit es hier nicht so clean ist“, erklärt Berchner – und die Möbel sind aus alten Einrichtungsgegenständen neu zusammen gezimmert. Aus dem geschwungenen Hinterteil eines Bettes ist eine Tischplatte geworden, aus dem Bett-Vorderteil eine Sitzbank für Kinder. Upcycling heißt dieses Konzept: Aus alt und wertlos mach neu und wertvoll.

Das ursprüngliche Ausweichquartier der früheren Gnadenhütte in der Thulestraße wird übrigens geöffnet bleiben, trotz der Wiedereröffnung in der Malmöer Straße. Zu groß ist der Bedarf an Second Hand. Für Friedrich May von der Baugruppe Shared Space ist die ungewöhnliche Mischung aus Eigentumswohnungen und Sozialladen gelungen. „Ich würde mich freuen, wenn Andere das auch machten.“ Neubau-Projekte in Prenzlauer Berg gäbe es genug.

 

Der Komm-und-Sieh-Laden in der Malmöer Straße 4-5 ist montags bis freitags von 15 bis 19 Uhr und samstags von 10 bis 16 Uhr geöffnet. Ehrenamtliche Mitarbeiter werden noch gesucht.

Sachspenden für den Verkauf sind herzlich willkommen, sehr gerne genommen werden Turnschuhe, Rucksäcke und robuste Männerkleidung. Größere Spenden wie Möbel sollten vorher angekündigt werden und passen eventuell besser in den Laden in der Thulestraße.

 

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