Wissenschaft zum Anfassen

von Juliane Schader 4. Mai 2012

Im Gewerbehof in der Alten Königsstadt entstehen virtuell erkrankte Babys, lebendige Roboterköpfe und Wagons voller Wissenschaft: Ein Besuch bei den Ausstellungsmachern von Archimedes.

Simone geht es gar nicht gut. Übersäht mit roten Flecken und vom Fieber völlig erschöpft liegt das 18 Monate alte Mädchen regungslos auf dem Tisch. Oder besser: Im Tisch. Denn Simone sieht zwar aus wie ein echtes Kleinkind, ist aber ein virtuelles Wesen. Sie wird auf einen großen Bildschirm projiziert, der in einen Tisch voller Technik eingelassen ist. An ihm sollen schon bald angehende Kinderärzte das Diagnostizieren üben. Daher kann man bei der virtuellen Simone auch Blut abnehmen, ihr Medikamente geben und ihre Herztöne abhören.

Entstanden sind Simone und das Technikimperium um sie herum, zusammen „SimMed“ genannt, in einem Gemeinschaftsprojekt der Charité und der Prenzlauer Berger Kommunikationsagentur Archimedes. „Bislang können Medizinstudenten nur an Dummys oder Schauspielern lernen“, erklärt Ursula Schmidt von Archimedes. Mit SimMed sei man aber viel näher dran an der Realität.

 

Der Computer merkt sich jeden Fehler

 

Tatsächlich kommt eine gewisse Hektik auf, wenn man sieht, wie das so echt aussehende Kind immer fleckiger wird und die Sauerstoffsättigung im Blut sinkt. Wer jetzt nicht schnell herausfindet, was ihm fehlt, kann in ein paar Minuten nur noch den Tod seines virtuellen Patienten feststellen. Weil der Computer jeden einzelnen Behandlungsschritt aufzeichnet, kann der Ausbilder später genau erklären, an welcher Stelle die Studenten einen Fehler gemacht haben. Zwei Jahre hat die Entwicklung des Lernprogramms gedauert, mit dessen Hilfe sich auch fertige Ärzte fortbilden können. In diesem Monat werden es Studenten an der Charité auf seine Praxistauglichkeit testen, wenn der Tisch in einer Versuchsreihe gegen bisherige Übungsmethoden antritt.

Dabei ist SimMed für das mittelständige Unternehmen, das seinen Sitz im Gewerbehof in der Alten Königsstadt in der Saarbrücker Straße hat, nur ein Projekt von vielen. Die 40 Mitarbeiter entwickeln von allem Ausstellungen, meist zu wissenschaftlichen Themen. Dabei erarbeiten sie nicht nur die inhaltliche und gestalterische Konzeption, in den angeschlossenen Werkstätten werden die Exponate auch gleich gebaut. So entstanden die zwölf Wagons des Science Express, die vor drei Jahren im Auftrag der Max-Planck-Gesellschaft durch die Welt reiste, und Teile des Copernikus Science Centres in Warschau. „Wenn man Wissenschaft vermitteln will, muss man erfinderisch sein“, meint Ursula Schmidt. „Man muss die Themen witzig und ansprechend, dabei aber inhaltlich richtig rüberbringen.“

In diesem Geist steht auch Felix, der Roboterkopf, mit dem man über die Mimik interagieren kann. Wenn man ihn anlacht, lacht er zurück, auf einen bösen Blick reagiert er mit zusammengekniffenen Augenbrauen. Möglich macht das eine kleine Kamera, die Felix auf der Stirn trägt. Wer genau hinschaut, sieht die Kabel und Zahlräder und damit die Technik, die hinter allem steckt. Doch die menschliche Mimik, die diese produzieren, sorgt dafür, dass es gar nicht langweilig wirkt. Statt dessen möchte man lieber schnell herausfinden, wie das eigentlich genau funktioniert. So schlägt er die Brücke in die Welt der Technik.

 

Seit vier Jahren gehört das Unternehmen zu den Genossen in der Königsstadt

 

Derzeit steht Felix im Foyer von Archimedes im obersten Stockwerk des Hauses B. Zwei Etagen und ebenso viele Werkstätten belegt das Unternehmen auf dem Gelände der ehemaligen Brauerei. Vor neun Jahren wurde dieses von einer Genossenschaft gekauft und wird seitdem schrittweise saniert. Archimedes ist 2007 aus der Kreuzberger Urbanstraße hergezogen und auch selbst Genosse. „Wir brauchten damals mehr Platz, und hier bot sich die Möglichkeit, die Räume auch selbst mitzugestalten“, erzählt Schmidt. Zudem profitiere man von den Synergieeffekten mit den anderen Firmen des Gewerbehofs wie der Druckerei oder dem Tischler.

Das neuste Projekt von Archimedes ist die Umgestaltung der Ausstellung „Wege – Irrwege – Umwege“ im Deutschen Dom, die sich der Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland widmet. Nach zehn Jahren soll diese mal wieder entstaubt werden, die Prenzlauer Berger kümmern sich nun um die Abteilung, die die Geschichte des Bundestags seit 1945 bis in die Gegenwart erzählt. Im Zentrum soll ein Mini-Plenarsaal aufgebaut werden, in dem die Besucher selbst an Abstimmungen teilnehmen können; drum herum sollen viel Technik und interaktive Angebote den trockenen Parlamentarismus auflockern. Mit dabei sein wird auch wieder ein großer Computertisch. Statt Simone wird darauf jedoch der Terminkalender eines virtuellen Abgeordneten abgebildet werden, statt Fieber messen kann man dann dort kleine Filme über seinen Arbeitsalltag abrufen. Nur der Effekt des spielerischen Lernens bleibt gleich. Im Frühjahr nächsten Jahres soll die Eröffnung sein.



 

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