Leerstand vs. Luxus

von Juliane Schader 8. Oktober 2012

An der Schönhauser Allee stehen die Geschäfte leer. Gerade kleine Unternehmer können die steigenden Mieten nicht mehr bezahlen, finanzstarke Nachfolger fehlen. Eine Straße im Umbruch.

Ein Schriftzug und ein bisschen Sperrmüll, mehr ist nicht übrig vom Café Nährreich an der Schönhauser Allee. Im September musste das dreiköpfige Team seinen Laden schließen – nicht etwa, weil die Prenzlauer Berger genug hätten von fair gehandeltem Kaffe, Biomilch und Bagels mit Gemüsepaste. Sondern einfach, weil die Gewerbefläche zu teuer wurde. „Wir sollen jetzt 30 Prozent mehr bezahlen“, erzählt Matthias Nebur. Für den knapp 100 Quadratmeter großen Laden wären das 2200 Euro. „Mit dem Verkauf von Kaffee kann man das nicht finanzieren.“

Nebur ist nicht der einzige Unternehmer, den die steigenden Mieten aus der Straße vertreiben. Ende des Jahres wird Fernando Fonseca sein „Männergift“ dicht machen. „Die letzte Mieterhöhung war dann doch zu viel“, sagt er. Fünf Jahre hatte Fonseca seinen Laden für Geschenkartikel. Wie es weitergeht, weiß er noch nicht.  

 

40 Euro pro Quadratmeter kalt

 

Auch andere Gewerbetreibende der Straße klagen über steigende Kosten, mögen aber nicht alle damit in der Zeitung stehen. Bei Immoscout lässt sich recherchieren, dass für Ladenflächen in der Schönhauser Allee locker mal 40 Euro pro Quadratmeter fällig werden – kalt. Dabei wirkt die Straße derzeit überhaupt nicht wie eine attraktive Einkaufsmeile.

Wer die Allee einmal Richtung Eberswalder Straße herunterbummelt, dem bietet sich das traurige Bild zahlreicher Leerstände. Schlecker ging pleite und hinterließ zwei leeren Ladengeschäfte. Ebenso wie die Norisbank, die sich ins Internet zurückzog. Easy Credit verabschiedete sich von seiner Filiale, das Outlet des Klamottenladens Jugendmode machte nach kurzer Zeit wieder dicht, Picaldi ging, und am einstigen Standort des Fahrradladens Fiezfabriek sucht die Hausverwaltung per Aushang seit November letzten Jahres nach einem Nachmieter. Ein lebendiges Einkaufszentrum sieht anders aus. Nur die Mieten lassen hier eine attraktive Lage vermuten.

„Derzeit laufen viele Verträge aus, und die Vermieter sind zu gierig“, kommentiert Pankows Stadtrat für Stadtentwicklung Jens-Holger Kirchner (Grüne) die Lage. Der Bezirk kenne das von allen großen Magistralen; an der Prenzlauer Allee sei derzeit sogar die traditionsreiche Fleischerei Gottschlich bedroht. „Der Verwertungsdruck ist hoch“, meint Kirchner. Die Politik habe aber wenig Einflussmöglichkeiten, der Markt müsse sich selbst regulieren.

 

Die Mietpreise sind überbewertet

 

Darauf setzt auch Katrin Grupe, Geschäftsführerin beim Berliner Immobilienmakler Grupe. „Aufgrund der großen Nachfrage wurden die Mieten lange zu hoch angesetzt“, erklärt sie. Aus eigener Erfahrung berichtet Grupe von einem Unternehmen, das vor ein paar Jahren unbedingt an die Schönhauser Allee wollte und bereit war, dafür eine Miete weit über dem Marktpreis zu zahlen. „Wenn so ein Laden nun aufgibt, ist es für den Vermieter erstmal schwer zu verstehen, dass er heute nur 30 Prozent weniger Miete verlangen kann.“ Das pendle sich aber gerade ein, glaubt sie.

Einmal im Jahr untersucht Grupes Firma mit seinem Handelsindex die 65 umsatzstärksten Einkaufsstraßen der Stadt. In der Ausgabe von diesem Jahr firmiert die Schönhauser Allee dort als 1a-Stadtteillage mit regionaler Bedeutung, in der Vermieter von Gewerbeflächen doppelt so viel verlangen können wie etwa in der Frankfurter Allee oder am Kottbusser Damm. Hier spiegelt sich wohl die Überbewertung der vergangenen Jahre wider, von der sich die Straße laut Grupe gerade erholt. 

 

Schlechte Geschäfte während der Bauarbeiten an der U2 

 

Für Matthias Nebur stellt sich die Situation ganz anders dar. Er glaubt vielmehr, dass die Mieten derzeit nicht sinken, sondern steigen. Zumindest sei das seine Erfahrung mit dem eigenen Laden: In den vergangenen Jahren habe die Schönhauser Allee aufgrund der Bauarbeiten am Viadukt der U2 sehr gelitten. Laufkundschaft sei ausgeblieben, die Einnahmen seien zurückgegangen – eine Tendenz, die auch Fonseca vom Männergift bestätigt. Während dieser Zeit hätten die Vermieter sich zurückgehalten. Doch nun wollten sie mit steigenden Mieten die Einbußen der letzten Jahre ausgleichen. „Wir kommen alle aus den Kiezen um die Schönhauser Allee und wären gerne hier geblieben“, sagt Nebur über sein Team. „Leere Flächen gibt es. Aber die Mieten sind einfach zu hoch.“

Für die Straße bedeutet das, dass sie zumindest vorerst auf die kleinen Cafés und Geschäfte, die den Prenzlauer Berg sonst ausmachen, wird verzichten müssen. Gleichzeitig sind große Ketten, die auch hohe Mieten nicht abschrecken, akutell nicht in Sicht. Dazwischen bleibt der Leerstand, den man derzeit sehen kann. Dramatisch sei der aber nicht, glaubt zumindest Nils Busch-Petersen.

 

Zehn Prozent Leerstand sind normal

 

„Dem Handel an der Schönhauser Allee geht es gut“, sagt der Geschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg. Zehn Prozent Leerstand seien bei einer Einkaufsstraße völlig normal; zudem sei an der Schönhauser Allee der Umbrauch das Normale. „Wenn Geschäfte mal länger unvermietet bleiben, sind das Einzelfälle wie etwa beim Schlecker an der Ecke Gaudystraße, wo gerade der Eigentümer wechselt“, meint Busch-Petersen. Immobilienmaklerin Grupe verweist noch darauf, dass in den wenigsten Fällen Gewerbeflächen im fliegenden Wechsel übergeben würden. „Im Schnitt braucht man bis zu sechs Monate für die Neuvermietung“, erklärt sie.

Lauter schöne Theorien, die zwar darauf hindeuten, dass die Schönhauser Allee wohl keinen Einfall von Spielhallen zu befürchten hat. Für die kleinen Gewerbetreibenden bieten sie aber keinerlei Trost. Zwar mag die Straße im Gesamtbild lebendig und bezahlbar werden, akut ist für Nebur und Fonseca die Geschäftsabwicklung. „Wir geben nicht auf, sondern suchen gerade nach einem alternativen Standort“, meint der Mann vom Nährreich. Wedding oder Neukölln soll es wohl werden. Andere Bezirke haben eben auch schöne Straße.

 

 

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