Im Limbo der Bürgerlichkeit

von Guido Walter 25. Februar 2011

Die Stadtillustrierte „Zitty“ unterwirft das Feindbild „Familien in Prenzlauer Berg“ einem Realitäts-Check. Da lohnt es sich, mal weiter drüber nachzudenken. Ein Kommentar.

Eine Mini-Demo, im letzten Herbst an der Kollwitzstraße. „Schwaben in Prenzlauer Berg sind spießig, überwachungswütig und haben kein Sinn für Berliner Kultur“, skandiert ein Fähnlein Gentrifizierungsgegner vor dem „Palais KolleBelle“ an der Kollwitzstraße. Der wehrhafte Yuppie-Bau mit „historischen Elementen wie Loggia, Erker, Konsolen und Dekomalereien spielenden Fassaden“, wie es im Prospekt des Investors heißt, bringt das Hausbesetzerblut zum kochen. Alles Eigentumswohnungen, im „Schwabenbunker“. Und die Läden im Erdgeschoss erst. Feinkost für reiche Wessis. Die sich in den Stockwerken darüber in Bulthaup-Küchen gegenseitig mit Jakobsmuscheln aus kontrolliertem Fang bekochen und dann beim Wein über Modernisierungsverlierer mokieren. Wer draußen noch nicht genug Wut im Bauch hat, liest im „KolleBelle“-Prospekt weiter: „Lebhaft wird es nachmittags nach Kita-Ende, wenn Mütter und Väter mit ihrem Nachwuchs nach Hause radeln und noch zu einem Plausch an dem großen zentralen Spielplatz halten. Und bei Anbruch der Dämmerung verzaubert das gelbe, warme Licht der Alt-Berliner Straßenlampen die lebensfrohe Szenerie. Die ideale Bühne für Lebenskunst, Flirts und tief empfundene Stimmungen – hier steht sie allen offen.“ Aber eben nicht jenen, die sich durch reiche Wessis in ihrer „Berliner Kultur“ gestört fühlen. Ein kleiner Tumult unter der Berliner Antischwa, als ein Bewohner des „Schwabenbunkers“ um Ruhe bittet. „Was wollt ihr denn?“, fragt der Pensionär. „Ich bin doch aus Leipzig.“

Auf den Bühnen der Intoleranz

Exemplarisch zeigt diese Szene, warum es in der ewigen Prenzlauer Berg-Diskussion hintergründlich geht: Aus einer Prise Wahrheit entsteht ein Klischee, welches dann an der Realität scheitert. Auf den Bühnen der Intoleranz wird das immer gleiche Stück gegeben. Es geht um Ost gegen West. Um Neo-Spießer-Hass. Pseudo-Ökotum und Familien im Spannungsfeld von Hysterie und Hedonismus. Die Stadtillustrierte „Zitty“ rief ihre Leser vor einiger Zeit zur Wahl der beliebtesten Feindbilder Berlins auf. Ganz oben auf der Liste: Familien in Prenzlauer Berg. In der aktuellen Ausgabe unterwirft die Stadtillustrierte bestehende Klischees einem Realitäts-Check. Höchst lesenswert, reizen die Ergebnisse zur weiterführenden Diskussion, zu der die Prenzlauer Berg Nachrichten ihre Leser gern einlädt. Nehmen wir das Thema Intoleranz. In der „Zitty“ kommt eine kinderlose Frau zu Wort, die von der hohen Muttikonzentration am Helmholtzplatz genervt ist. Was sie aber noch mehr stört, ist Sozialneid. Etwa, wenn der alte Benz eines Freundes wegen seines Stuttgarter Kennzeichens zerkratzt wird. Den Ur-Berliner, so „Zitty“, lässt das alles kalt. Der schüttele nur mit dem Kopf. Darf er auch, denn in der Weltsicht der Gentrifizierungsgegner steht er gern mal auf Rang eins. Je länger jemand in Prenzlauer Berg gelebt hat, desto verdammungswürdiger ist seine Verdrängung. Die Rangliste geht ungefähr so: Urberliner, Alt-Ossi, Hausbesetzer der 90er Jahre, Porno-Hippie-Schwabe, Marthashof-Bürger. Opa hat noch keinen vertrieben. Der Wessi-Schwabe aber. Sagt der jetzt etablierte Ex-Hausbesetzer der 90er Jahre, der zwar den Alt-Ossi vertrieb, jetzt aber gegen den Schwaben mit Kohle wettert, der in Wahrheit aus Nordrhein-Westfalen stammt, ihn aber trotzdem gentrifizieren will. Und so weiter. Alles sinnlos, solange Eigentum in unserer Gesellschaft als Wert verbrieft ist, nicht aber die Mumifizierung von Sozialstrukturen in bestimmten Stadtbezirken. In Richtung der „Anti-Schwabenhetzer“ schreibt „Zitty“, dass jene, die ständig über Veränderungen lamentieren, auf ihre Art konservativer als ihr Feindbild sind. Der Bezirk ließe sich nicht konservieren. Aufregend sei es jetzt eben anderswo.

Prenzlauer Berg wird Steglitz. Und du mit ihm.

Wie könnte es auch in einem Kiez aufregend sein, in dem es von fanatischen Christen wimmelt? Den Run auf Kirchen in Prenzlauer Berg, inklusive Tauf-Boom, bestätigt die „Zitty“. Alles sei aber halb so wild, beten wäre das neue Yoga. Der Bio-Wahn dagegen sei nervig. Eine der Facetten des vielgeschmähten Neospießertums im Kiez. Warum darüber so viel diskutiert wird, liegt auch daran, dass der Vorwurf bei den Geschmähten einen wunden Punkt trifft. Etliche Neubewohner von Prenzlauer Berg haben entgegen den gängigen Klischees nämlich schon mal hier gewohnt oder sind zumindest oft da gewesen. Anfang der 90er, zu lustigen Studentenzeiten. Jetzt sind sie wieder da, Erinnerungen an illegale Bars und lustige Parties im Gepäck, versuchen sich an einem irgendwie bürgerlichen Leben mit Frau und Kind. In Prenzlauer Berg gibt es mehr Fläche fürs Geld als in Düsseldorf, Stuttgart oder München. Noch. Romantisierende Erinnerungen, oder die bloße Adaption gängiger Berlin-Klischees verheißen die Möglichkeit einer Art Doppelexistenz von Szenekulturspaß und Bürgertum. Doch das Verharren im ewigen Sowohl-als-auch entpuppt sich als Vorhölle. Als Limbo der Bürgerlichkeit, im gelben, warmen Licht der Alt-Berliner Straßenlampen. Wer Kinder hat, erhält zumeist schnell Gewissheit über das Scheitern seiner Illusion und ist dann womöglich auch bereit, sich wegen dieser Metamorphose als Neospießer kasteien zu lassen. Dabei scheint es unausweichlich. Prenzlauer Berg wird Steglitz. Und du mit ihm.

Als ich heute morgen in einer kleinen Kaffee-Bar trotz politischer Bedenken einen Latte Macchiato bestellte, saß da ein freakiger Typ. Er bestellte einen Kaffee mit Amaretto. „Wir haben keinen Alkohol“ beschied ihm die Frau am Tresen. Der Typ sagte, er würde Kaffee grundsätzlich nur mit Alkohol trinken. Ansonsten könnte er ja nach Hause gehen und Chips essen. In den alten Zeiten hätte er damit das Fundament eines lustigen Gesprächs, vielleicht sogar eines gemeinschaftlichen Besuchs einer illegalen Bar gelegt. Heute geht er einfach. Die meisten Leute schütteln den Kopf und sind insgeheim froh, dass er weg ist. 

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