Gelebte Geschichte in der Kastanienallee

von Kristina Auer 13. Februar 2017

Seit 95 Jahren lebt die Familie Hauptmann in der Kastanienallee und dokumentiert im Hotel Kastanienhof die Geschichte von Prenzlauer Berg.


„Früher gab es auf der Kastanienallee einen Gardinenladen, Kurz- und Modewaren und den Kaugummiladen Teufelchen, heute gibt es Galerien, Modelabels und Cafés“, sagt Uwe Hauptmann. Wie wohl kaum jemand haben er und seine Familie die Entwicklung der Kastanienallee miterlebt. Schon 95 Jahre dauert die Familiengeschichte der Hauptmanns an der legendären Straße zwischen Mitte und Prenzlauer Berg. „Es ist schon bewegend, welche Veränderungen wir hier über die Jahre hinweg mitgemacht haben. Die Kastanienallee hat eine sehr wechselhafte Geschichte“, sagt Hauptmann.

Exemplarisch für diese Veränderungen stehen die Häuser der Hauptmanns mit den Nummern 65 und 66, die einige Meter hinter der Schwedter Straße eigentlich schon zum Bezirk Mitte gehören. „Jeder verbindet uns trotzdem mit Prenzlauer Berg“, sagt Hauptmann. Am westlichen Ende der Kastanienallee wohnt die Familie inzwischen in der vierten Generation neben ihrem Hotel Kastanienhof, das 2017 sein 25-jähriges Bestehen feiert. Doch die Familie hat die Geschichte der Straße nicht nur am eigenen Leibe erlebt, sondern sie auch mit großer Leidenschaft dokumentiert.

 

Ein Fleischermeister sorgt fürs Alter vor

Im Jahr 1922 ist Uwe Hauptmanns Urgroßvater Boleslaus Schulz zum ersten Mal im Adressbuch in der Kastanienallee genannt. „Er ist in den 1910er Jahren aus Ostpreußen nach Berlin gekommen und hatte ein Fleischwarengeschäft in der Nummer 62“, sagt Hauptmann. Sozusagen um seine Rente zu sichern, kaufte der Urgroßvater im Jahr 1933 die beiden um 1870 erbauten Häuser. Er setzte die Gebäude instand, baute einen Wasseranschluss und die ersten Toiletten ein und errichtete im Innenhof eine Garage für sein Fuhrwerk und später sein erstes Auto.

Kastanienhof

Boleslaus und Ida Schulz, die Urgroßeltern von Uwe Hauptmann. (Foto: privat)

 

Die Kriegsjahre überstanden die beiden Häuser der Hauptmanns fast unbeschadet, doch zum Kriegsende wurden sie fast zerstört: „Ein Wehrmachtssoldat, der sich vor den russischen Truppen verstecken wollte, hat hier seine Uniform verbrannt, wurde erwischt und im Innenhof erschossen“, erzählt Hauptmann. Die russische Armee habe dann das Gebäude in Brand gesteckt. „Da hat der Urgroßvater geflucht“, sagt Hauptmann. Doch weil der Fleischermeister in der Straße beliebt und angesehen war, hätten die Arbeiter aus der Fleischerei ein Wort für ihn eingelegt und durften ihm schließlich helfen, das Haus zu löschen, erzählt Hauptmann.

Das Haus konnte gerettet werden, aber viel half es dem Urgroßvater von Uwe Hauptmann zunächst nicht: Innerhalb von 24 Stunden musste er das Haus im Juli 1945 verlassen, dort wurde eine sowjetische Kommandantur eingerichtet. „Damals wurden die Fußböden und Türen herausgerissen, nur der Körper des Hauses blieb stehen“, sagt Hauptmanns Sohn, Juniorchef Maximilian. Der rote Stern, der in dieser Zeit an der Fassade angebracht war, ist noch heute im Familienbesitz. Die Familie Hauptmann musste bei Verwandten in Friedrichshain unterkommen, drei Familien wohnten damals in einer Wohnung. „Das hat die Familie zermürbt“, sagt Hauptmann.

 

„Alles, was wir hatten“

Als die Kommandatur im Jahr 1947 geräumt wurde, konnte die Familie zurück in die Kastanienallee ziehen, wo sie bis heute wohnt. Bereits vor der Wende entstand die Idee, ein Hotel zu eröffnen. „Auch in der DDR durfte man eine Art Jugendherberge betreiben“, sagt Hauptmann. So habe man die Wohnungen nach und nach nicht mehr vermietet, sie standen in den 80er Jahren teilweise leer. Dann kam die Wende dazwischen, und aus den Jugendherbergsplänen wurden Hotelpläne: „Wir haben dann einfach überlegt, was wir mit dem Haus machen können, es war ja alles was wir hatten“, sagt Hauptmann „Uns war wichtig, dass die Familie Arbeit hatte und die Häuser saniert werden können.“ Zu den Hochzeiten der Hausbesetzungen mussten die Hauptmanns ihre Häuser aber zunächst rund um die Uhr bewachen, um nicht von neuen Bewohnern überrascht zu werden.

Am 1. April 1992 eröffneten Seniorchef Otto und sein Sohn Uwe die Hotel-Pension Kastanienhof mit damals noch beschaulichen sechs Zimmern. Heute hat das Hotel nach Umbauarbeiten und einem Dachausbau 44 Zimmer und schon so einige aufregende Phasen erlebt. In den 90er Jahren hätten viele Geschäftsleute im Hotel gewohnt, die beruflich in Berlin zu tun hatten. „Die Bauleute, die am Bau des Regierungsviertels gearbeitet haben, haben viele Monate bei uns gewohnt“, sagt Hauptmann, „und ein Bremer Tanzensemble, während einer Spielzeit an der Volksbühne. Das waren tolle Zeiten!“ Besonders stolz sind die Hauptmanns auf einen prominenten Gast: Während der Dreharbeiten zu Goodbye Lenin wohnte die Filmcrew samt dem damals noch eher unbekannten Daniel Brühl drei Monate lang im Kastanienhof. Der Grund: In einem der Nebenhäuser wurden viele Szenen gedreht. „Dort hängt bis heute überall DDR-Tapete“, sagt Uwe Hauptmann.

Kastanienhof

Uwe und Maximilian Hauptmann / Foto: Kristina Auer

 

Inzwischen habe sich die Kundschaft von den Geschäftsleuten eher zu Eltern und Besuch der zugezogenen Nachbarschaft gewandelt, so Uwe Hauptmann. Und auch darüber erzählt man sich im Hotel  die ein oder andere Anekdote. Einmal habe ein sehr bedrohlich aussehender junger Mann, ein Punk mit viel Leder, Stacheln und hohem Irokesenhaar das Hotel betreten und das Personal zuerst erschreckt. „Der kam dann an die Rezeption und sagte mit einer ganz lieben Stimme: Ich muss ein Zimmer reservieren für meinen Papa. Ganz wichtig: Mit Parkplatz. Der Papa fährt einen Benz und der darf nicht auf der Straße stehen“, sagt Hauptmann und lacht.

 

Ein Hotel wie ein Heimatmuseum

Passend zur Hauptmannschen Familiengeschichte ist das Hotel Kastanienhof voll und ganz der Historie der Kastanienallee und Prenzlauer Bergs gewidmet. Als glühende Geschichtsliebhaber haben Großvater, Vater und Sohn so ziemlich alles gesammelt, was sie an Historischem aus der Umgebung finden konnten. Eine originale Drehorgel, die Anfang des 20. Jahrhunderts in der Schönhauser Allee gebaut wurde, steht im Eingangsbereich, überall hängen alte Brauereischilder und unzählige Fotos aus allen Jahrzehnten. Dort kann man sehen, wie die Schönhauser Allee vor dem Bau der Hochbahn aussah oder welche Häuser dem Krieg zum Opfer fielen. Wegen dieses umfangreichen Archivs wurden die Hauptmanns schon öfters von Museen und Wissenschaftlern angefragt, auch dem Museum Pankow am Wasserturm haben sie schon ausgeholfen.

Zum 80. Geburtstag des Seniorchefs Otto Hauptmann wurde jetzt sogar ein kleines Büchlein erstellt, das die Geschichte der Häuser und der Kastanienalle erzählt und in vielen Fotos abbildet. Das Buch ist vorerst nur an der Hotelrezeption erhältlich, gegen einen kleinen Obulus, „wieviel müssen wir uns erst noch überlegen“, sagt Uwe Hauptmann. Für historisch Interessierte jedenfalls eine gute Gelegenheit, um einer der traditionsreichsten Familien in der Kastanienallee einen Besuch abzustatten. Im hauseigenen Restaurant Ausspanne – natürlich mit altberliner Küche – könntet Ihr Euch anschließend bei Boulette und Bier gleich in die Lektüre vertiefen.

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