Markus träumt von Bento

von Joanna Itzek 22. September 2014

Essen in Prenzlauer Berg: Versenkt in einer vor sich hinbröckelnden Hausfassade liegt das japanische Restaurant Gobento. Sein Besitzer ist Koch, Küchenkraft und Kellner in einer Person. Und bringt einen mit seinen Kreationen zum Weinen. Vor Freude.

Es ist erstaunlich, wie beiläufig er dann kommt: der Moment, in dem man genau das findet, was man gesucht hat. Markus Suvit-Schinke hatte keine Ahnung, wo er genau war. Mit dem Fahrrad rollte er durch den Osten der Stadt, als ihm dieser Baum auffiel, der anders aussah als alle anderen Bäume in der Straße. Weide statt Kirsche. Und hinter dem Baum, versenkt in einer vor sich hinbröckelnden Hausfassade, lag das leerstehende Ladenlokal. Kleiner Raum, gebrochenes Licht. Da war ihm die Sache klar. Wenige Wochen später bezog er, 24-jährig, in der Stubbenkammerstraße 6 sein Versteck. Beziehungsweise er eröffnete das Restaurant „Gobento“, doch das ist in diesem Fall ein und dasselbe.  

Das Gobento verkauft seit nunmehr vier Jahren, Sie werden es ahnen, Bentoboxen. Diese Darreichungsform stammt aus Japan und bezeichnet ein Kästchen gefüllt mit verschiedenen, kleinen Speisen, die in getrennten Fächern liegend ihres Verzehrs harren. Im Grunde ist eine Bentobox wie ein Haus mit fünf Zimmern und in jedem Raum wartet ein eigener Mikrokosmos. 

 

Herzlich Willkommen zur Hausführung:  

  • Dünn geschnittenes Rib Eye-Steak, kurz flambiert mit gebackenem Chiliöl auf Reisball.
  • Langsam gekochte Kartoffeln und Erbsen mit Curry, eingebacken in einen Hefeteig, garniert mit Chili-Knoblauch-Soße und getrocknetem Soja-Jerky.
  • In Maismantel gehülltes –

 

Sehen Sie es mir nach, ich muss hier schon eine Pause einlegen bei der Tour. Denn spätestens nachdem man das zweite Fach leer gegessen hat, befinden sich sämtliche Rezeptorzellen im glücksseligen Aufruhr. Was Suvit-Schinke da zubereitet, sind kleine, vollendete Kunstwerke. 

Das Gobento ist eine One-Man-Show, Suvit-Schinke ist Koch, Kellner und Küchenhilfe in einer Person. Wenn man ihn allein in der offenen Küche sieht, wie er zwischen scharfen Messern und Bunsenbrennern wechselnd mit schnellen, präzisen Griffen seine Geschmacksarchitekturen erschafft, fallen einem sofort japanische Sushimeister ein. 

 

Tintenfischmassage muss 30 Jahre lang gelernt sein

 

Etwa der berühmte Jiro Ono aus Tokio, der in seinem mit drei Michelin-Sternen prämierten Restaurant keinen Pfusch duldet und im Zweifelsfall lieber alles alleine macht. Seine Arbeitsweise wurde in einem Dokumentarfilm festgehalten, „Jiro dreams of Sushi“. Darin sieht man den 85-jährigen, hageren Mann, wie er mit heiligem Ernst Tintenfisch massiert. Sein Sohn, irgendetwas über 50, arbeitet ebenfalls in dem Laden und befindet sich nach 30 Jahren immer noch in der Ausbildung. Jiro findet, der Junge sei noch nicht so weit. 

Ganz so dogmatisch gelagert ist die Sache bei Suvit-Schinke indessen nicht. Fünf Jahre lang hat er bei einem japanischen Meister das Handwerk gelernt. Die ersten zwei Wochen schälte er nur Gurken, einen Monat lang kratzte er tagein, tagaus Thunfisch. Das ist nach Sushimeisterstandards alles verhältnismäßig kurz. Aber doch lang genug, um eine stramme Geschäftsphilosophie zu entwickeln. 

30 Bentoboxen füllt Suvit-Schinke an einem Abend, nicht mehr und nicht weniger. Weder sind sie zu leer, noch zu voll. Dabei könnte er gerade einen richtigen Bento-Reibach machen, würde er seine Produktion ankurbeln. In einem steten Strom kommen Gäste in den Laden, nur um festzustellen, dass schon wieder alle acht Tische besetzt sind. Sei es drum, dann wird halt reserviert. 

Suvit-Schinke geht es nicht um künstliche Verknappung, sondern um das richtige Maß, die goldene Mitte – und um genügend freie Zeit für das, was im Leben so außerhalb von Küchen passiert. „Ich mache so viele Portionen, wie ich machen muss, um den Laden am Laufen zu halten und meine Familie zu versorgen“, sagt er. Das macht nach seiner Kalkulation 30 Boxen a 10 Euro pro Abend. „Wobei das noch die alte Rechnung ist.“ Gerade ist er zum zweiten Mal Vater geworden, bald wird also neu überschlagen.

 

Die Gäste bringen Getränke und Dartscheiben

 

Eine weitere Besonderheit bei Gobento ist, dass sich die Gäste ihre eigenen Getränke mitbringen müssen, wenn sie nicht den ganzen Abend Jasmintee trinken wollen. Suvit-Schinke erklärt, nicht die leiseste Ahnung von Wein zu haben, überhaupt trinke er keinen Alkohol und sei somit ein schlechter Ratgeber in diesen Belangen. „Da halte ich mich lieber raus.“ Und so mutet das Gobento bisweilen an wie ein versteckte Wohnzimmerveranstaltung, zu der jeder Gast sein Lieblingsgetränk beigetragen hat. 

Dieser Eindruck erhärtet sich vollends gegen Ende des Abends im Restaurant, wenn alles aufgegessen ist und die Gäste das Regal mit den Brettspielen plündern oder sich an die alte Spielkonsole hinter dem Tresen machen, um „Zurück in die Zukunft 3“ zu zocken. Sie sitzen da, spielen und reden, während Suvit-Schinke mit seiner buddhistischen Gelassenheit Hinweise gibt, wie zur Hölle man das erste Level überlebt. André, der Wirt aus der benachbarten Anarchistenkneipe Bumerang, hat seine Dartscheibe bei Gobento deponiert, nachdem sein Laden kürzlich schließen musste, weil der neue Hauseigentümer den Mietvertrag nicht verlängert hat. Manchmal schießt Suvit-Schinke mit Stricknadeln präparierte Essstäbchen auf die Dartscheibe. Auch sein Mietvertrag mit demselben Eigentümer läuft offiziell nur noch ein Jahr. 

 

Gobento, Stubbenkammerstr. 6, Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag, 18:00 bis 22:00 Uhr, Reservierungen unter 0172 365 2269, oder einfach eine Postkarte in den Gobento-Briefkasten werfen.

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