Gender ist kein Kinderspiel

von Thomas Trappe 17. Oktober 2012

Kaum ein Spielplatz im Bezirk ist gleichermaßen für Jungs wie Mädchen geeignet. Es braucht mehr Schaukeln, Rutschen – und am besten keine Alkoholiker.

Gleichberechtigung fängt im besten Fall früh an, im schlechtesten scheitert sie schon kurz nach der Geburt. Beziehungsweise ein klein wenig später, auf dem Spielplatz. Rund 23 Hektar „öffentliche Spiel- und Bewegungsfläche“ gibt es im Bezirk Pankow, einer der größten ist der Abenteuerspielplatz Marie in der Marienburger Straße. Ein Platz für Kinder. Alle Kinder? Kaum: Denn die meisten Spielplätze im Bezirk sind nicht für beide Geschlechter gleichermaßen geeignet, wie eine Analyse des Bezirksamt deutlich macht. Um genau zu sein: 57 von 211 Spielplätzen im Bezirk gelten als „gendergerecht“, also ungefähr nur jeder vierte.

Gendergerechtigkeit ist Inhalt eines ganzen Forschungszweigs, der eigentlich die Frage stellt, inwieweit Geschlechterzuschreibungen und damit verbundene Rollenmodelle überhaupt zielführend sind. Im konkreten Fall geht es jedoch um die eher grundsätzliche Frage, inwieweit Spielplätze im Bezirk gleichermaßen für Mädchen und Jungen einladend sind. Und hier kommt die Analyse, die dem Haushaltsplan für dieses und kommendes Jahr vorangestellt ist, zu dem Ergebnis, dass von gleichen Zugangsbedingungen kaum gesprochen werden kann. Für noch zu planende Spielplätze sei es deshalb notwendig, heißt es in der Empfehlung, „herausgearbeitete Genderkriterien zur Planungsvoraussetzung“ zu machen.

 

Jungs gehen auf die Straße, Mädchen nicht

 

Zu der Frage, ob Jungs oder Mädchen auf Prenzlauer Berger Spielplätzen benachteiligt werden, macht die Analyse keine Aussage. Allerdings lässt der aktuelle Forschungsstand die Vermutung zu, dass es wohl vor allem Mädchen sind, die zu kurz kommen. Simone Fritz, Landschaftsarchitektin aus Mainz, hat sich für das Gender- und Frauenforschungszentrum (GFFZ) der hessischen Hochschulen in Frankfurt mit der Frage beschäftigt, wie Spielplätze gendergerecht eingerichtet werden können. Einer ihrer Hauptschlüsse: Da Mädchen viele Spielplätze zu unsicher erscheinen, werden sie kaum von ihnen erschlossen. Bedingung für gleichberechtigtes Spielen sei daher, transparente Räume, gut einsichtig und hell, zu schaffen. „Die Schaukel in einer dunklen Ecke, am besten noch hinter dem Bolzplatz, da geht kein Mädchen hin“, sagt Simone Fritz.

Es gibt städteplanerische Möglichkeiten, Ungleichheiten auf dem Spielplatz zu verhindern, sagt Simone Fritz und greift dabei auf ihre Erfahrung am GFFZ zurück. Grundlegend sei die Erkenntnis, dass „der Streifradius bei Jungs größer ist“, soll heißen, Mädchen wohnortnahe Spielplätze „im direkten Wohnumfeld“ bevorzugen. Wichtig sei zudem Verkehrssicherheit und eine „sozial kontrollierte Wegverbindung“. Pädagogisch problematische Botschaft dabei: Soziale Randgruppen wie Alkoholiker und Obdachlose schrecken Mädchen eher als Jungs vom Spielen ab. So mieden Mädchen „dysfunktionale und undefinierte Räume“; damit ist nichts anderes gemeint, dass sie eben nicht in Hinterhöfen spielen oder auf der Straße bolzen. Mädchen sind dort kaum zu finden. Das gleiche gilt für große Freiflächen auf Spielplätzen. 

 

Sport ohne Zaun ist besser

 

In einer Studie des GFFZ werden auch konkrete Hinweise gegeben, wie Spielplätze gestaltet werden sollten, damit Mädchen sie in dem Maße nutzen, wie sie sie nutzen wollen. Demnach sprechen Mädchen besonders Schaukeln, Schwunggeräte, Seilbahnen und Rutschen an. Angebote für Rollenspiele in Spielhütten oder auf Bühnen sollten geschaffen werden, Skaterbahnen, Tischtennisplatten und Angebote für „tänzerische Nutzungen und Geschicklichkeitsspiele“. Malwände und am besten noch ein Streichelzoo wären auch nützlich.

Für ältere Mädchen ab ungefähr zwölf Jahren werden in der Studie öffentliche Orte zum „sehen und gesehen werden“ empfohlen, Bummelmöglichkeiten, Rollschuh- und Schlittschuhplätze mit Musik oder Tennisfeldern, die laut Studie „eventuell auch nur für Mädchen zugänglich sein dürfen“. Auch andere Sportplätze könnten für Mädchen attraktiv sein, sofern sie nicht eingezäunt sind wie bisher die meisten Basketball- oder Volleyballfelder – geeignet wären dafür „weniger leistungsorientierte Rasen- oder Parkflächen“.

 

 

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