Die Streber aus Prenzlauer Berg

von Thomas Trappe 7. Januar 2016

Der neue Berliner Einschulungsbericht zeigt: In Prenzlauer Berg leben viele Musterfamilien. Mit viel Bildung, zwei Kindern und ohne Zigaretten.

Macht die Zigarette am Abend, einmal in der Woche, bei einem Glas Whiskey, mich schon zu einem Raucher? Ist Netflix eigentlich Fernsehen? Und habe ich gefühlt nicht einen Hochschulabschluss, auch wenn ich das Studium nicht beendet habe? Eigentlich sind es einfache Fragen, die im Dokumentationsbogen der Einschulungsuntersuchung für Berliner Erstklässler gestellt werden, doch so einfach ist es eben doch nicht. Denn bei der Einschulung ist es wie beim Arzt: Das Phänomen der sozialen Erwünschtheit tritt mit voller Wucht zu Tage. Soziale Erwünschtheit, damit wird bei Umfragen die Tendenz von Befragten beschrieben, so zu antworten, wie sie annehmen, dass es gesellschaftlich goutiert wird. Allzu sehr verlassen muss man sich auf die Angaben des jetzt veröffentlichten Berliner Einschulungsbericht 2014 also nicht – doch eine Tendenz lässt er trotzdem erkennen. Entweder wissen Prenzlauer Berg sehr gut, was sozial erwünscht ist. Oder sie sind wirklich so verdammt vorbildlich. Dass es ihnen ganz gut geht, kann hingegen mit ziemlicher Sicherheit gesagt werden.

In den Dokumentationsbögen werden Daten von Kindern, die in Berlin eingeschult werden, standardmäßig erfasst. Darin geht es unter anderem um die Herkunft des Kindes, den gesundheitlichen Status, Lern-, Bewegungs- oder Sprachdefizite. Aber auch die Lebenssituation der Kinder wird erfasst – und damit die der Eltern. Diese geben ihren formalen Bildungsstand an, ihre Erwerbssituation, ob sie Raucher sind. Ebenso müssen sie erklären, wie lange sie ihre Kinder täglich fernsehen lassen und ob diese ein eigenes TV-Gerät besitzen. Idealerweise macht es für die Beurteilung der Kinder durch die Lehrer keinen Unterschied, ob sie aus einem Bücher lesenden Akademikerhaushalt kommen oder aus einer verrauchten Hauptschulfamilie. Die Zahl der Bildungsstudien, die Deutschland im Allgemeinen und Berlin im Speziellen ein ideales Bildungssystem bescheinigen, sind allerdings bisher überschaubar. Aber wie gesagt: Prenzlauer Berg geht’s ja gut.

 

Prenzlauer Berg hat den höchsten Sozialindex der Stadt

 

Nicht immer liegen im Bericht Daten für einzelne Stadtteile vor, sondern nur für die Bezirke. Zum Beispiel zu Einschulungen, die Prenzlauer Berg seit mehreren Jahren an immer neue Kapazitätsgrenzen bringen, jüngst an der Tesla-Schule. Im Bezirk Pankow gab es demnach 2014 stadtweit die meisten Einschulungen, knapp 13 Prozent aller Schüler kamen hier in die erste Klasse. Allerdings ist Pankow auch der bevölkerungsreichste Bezirk, etwas mehr als elf Prozent aller Berliner leben hier – womit die Zahl der eingeschulten Kinder trotzdem über dem Schnitt liegt. Und die leben offenbar besonders häufig mit einem Geschwisterkind zusammen: Nirgendwo in der Stadt gibt es so viele Zweikindfamilien wie in Pankow, nirgends so wenig mit drei und mehr Kindern. Drei Viertel der Kinder wohnen dabei mit beiden Elternteilen in einem Haushalt.

Herausragend ist Pankow und hier nochmal Prenzlauer Berg beim sogenannten sozialen Statusindex. Hier werden Punkte vergeben, für den Schulabschluss, für einen Hochschulabschluss und für eine Arbeitsstelle. Ohne Schulabschluss, ohne Berufsausbildung, ohne Arbeit gibt es zum Beispiel null Punkte, das Maximum erreicht man mit Abitur, abgeschlossenem Studium und Vollzeitstelle. 52,3 aller Pankower Einschul-Eltern wurden 2014 mit diesem Punktsystem in die oberste soziale Schicht eingeordnet. Das ist Berliner Spitzenwert, ähnliche Werte erreichen nur Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf. Die drei Bezirke haben auch die geringste Quote von Eltern mit geringem sozialen Status, Pankow ist mit 4,6 Prozent Spitzenreiter. Hier ist wohl tatsächlich Prenzlauer Berg ausschlaggebend. Der Süden des Stadtteils – Kollwitz-, Wins-, Helmholtzkiez et cetera – hat nämlich den höchsten durchschnittlichen Sozialindex der ganzen Stadt, mit 17 Punkten einen Punkt unterm Maximalwert. In Prenzlauer Berg Nord sind es 16 Punkte, die in Berlin in der Regel nur in den klassischen wohlhabenderen Stadtteilen erreicht werden.

 

Man spricht deutsch hier – sehr gut

 

Ebenso auffällig wie der durchschnittlich hohe Sozialstatus ist der geringe Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Pankow – wobei diese Zahlen durch die aktuelle Flüchtlingssituation und die Schulpflicht für Asylbewerberkinder wohl inzwischen ordentlich durcheinandergewirbelt worden sind. Im Sommer 2014 jedenfalls hatten 16 Prozent der Kinder in Pankow einen Migrationshintergrund, nur in Treptow-Köpenick waren es mit 9,6 Prozent noch weniger. In Neukölln lag die Quote beispielsweise bei 69 Prozent, in Charlottenburg-Wilmersdorf bei rund 47. Allerdings stellt sich die Situation in Prenzlauer Berg deutlich anders dar: Hier hatten im Norden mehr als 23 Prozent, im Süden knapp 22 Prozent der eingeschulten Kinder einen Migrationshintergrund, das entspricht ungefähr der Quote des Bezirks Steglitz-Zehlendorf.

Erklärbar sind dadurch zum Teil auch die wenigen Kinder, die im Bezirk Pankow mit Sprachdefiziten in die Schule kamen – knapp zwölf Prozent, noch weniger waren es mit 7,7 Prozent in Treptow-Köpenick. Allerdings scheint auch die Deutschkompetenz der Kinder mit Migrationshintergrund in Pankow außerordentlich hoch zu sein: 93 Prozent von ihnen bekamen gute oder sehr gute Schulsprachkenntnisse bescheinigt, das ist mit großem Abstand der beste Wert in Berlin. Zwischen den Stadtteilen Pankows gibt es dabei kaum Unterschiede.

 

Masernimpfung weiterhin zu selten

 

Bleibt noch die Frage nach der Zigarette. Die ist in Prenzlauer Berg scheinbar eher auf dem Rückzug, rund 17 Prozent der Eltern gaben an, dass sie rauchen würden. Weniger waren es nur in Teilen von Steglitz-Zehlendorf und in Frohnau-Hermsdorf. Auffallend ist dabei das Nord-Süd-Gefälle im Bezirk Pankow: Im Stadtteil Buch raucht offenbar mehr als die Hälfte der Eltern. Dass ihre Kinder ein eigenes Fernsehgerät besitzen, gaben nur 1,2 Prozent der Eltern in Prenzlauer Berg Süd an, auch das der geringste Wert in Berlin. Allerdings kann diese Angabe getrost vernachlässigt werden – nicht nur wegen der sozialen Erwünschtheit, sondern auch wegen des Umstands, dass Medienkonsum bei Erstklässlern kaum noch an ein TV-Gerät gebunden ist. Valide hingegen ist, dass es in Prenzlauer Berg Süd berlinweit die mit Abstand wenigsten Kinder mit Übergewicht gibt: 1, 7 Prozent. In Prenzlauer Berg Nord sind es mehr als doppelt so viele, im Stadtvergleich aber immer noch sehr wenig.

Wenig überraschend ist nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre, dass es auch 2014 eine auffallende Korrelation von jenen Stadtteilen mit überdurchschnittlich vielen Akademikern und einer geringen Impfquote gab. So auch in Prenzlauer Berg, wo viele Kinder nicht ausreichend gegen Masern geimpft waren: Im vergangenen Jahr waren es 14 Prozent aller Eingeschulten. Ähnliche schlechte Werte wurden im südlichen Weißensee und im südlichen Pankow erreicht. Die WHO setzt bei der Masern-Durchimpfung eine Zielvorgabe von 95 Prozent. Allerdings wurden die vorliegenden Zahlen erhoben, bevor in Berlin, und hier schwerpunktmäßig unter anderem in Prenzlauer Berg, eine Masernepidemie 2014 ihren Höhepunkt erreichte. In Zuge dieser könnte sich die Durchimpfungsrate also noch einmal erhöht haben.

 

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