Die dunkle Spur der Steine

von Thomas Trappe 24. Juni 2013

„Schweinebäuche“ sind traditionelle Prenzlauer Berger Granit-Pflastersteine. In der Kollwitzstraße sollen sie ohne Erlaubnis verkauft worden sein. Das Amt konnte nur einen kleinen Teil retten.

Wenn auf einer Baustelle die Zahl der Schweinebäuche rapide abnimmt, muss das nicht unbedingt auf eine Diät bei den Bauarbeitern deuten: „Schweinebäuche“, das nämlich ist das umgangssprachliche Wort für eine spezielle Sorte von großen Pflastersteinen, die in Berlin eine hundertjährige Tradition haben. Riesige Platten, die gerne im Winter mal platzen und dann zum Stolpern einladen. Oben sind sie glatt, die nicht sichtbare nach unten zeigende Seite erinnert an die Form eines Hängebauchschweins und sorgt für eine große Stabilität der Platten. Wie alles, was klobig und etwas gefährlich ist, haben auch diese Steine inzwischen den Status eines Berliner Charakteristikums, das es zu erhalten gilt. So auch in Prenzlauer Berg, so auch in der Kollwitzstraße. Und eben hier läuft gerade einiges schief. Schweinebäuche wurden offenbar im großen Stil und gegen den Willen der Verwaltung verkauft, und das Amt bemerkte den Verlust auf der eigenen Baustelle viel zu spät. Verantwortlich soll ein namentlich nicht genanntes insolventes Ingenieurbüro sein, dass für Teile der Fußwegerneuerung zuständig war.

Der Linken-Bezirksverordnete Wolfram Kempe wohnt in der Kollwitzstraße. Die Schweinebäuche vor seinem Haus mag er sehr, und deshalb sei es ihm aufgefallen, dass im Zuge der Gehwegsanierung auffällig viele alte Granitplatten, eben jene Schweinebäuche, durch neue ersetzt worden seien. Dazu ist zu sagen, dass es erklärtes Ziel bei der Sanierung ist, möglichst viele der alten Steine wieder zu verwenden, um den Charakter der Straße zu bewahren. Eines Tages, so erklärte Kempe jetzt gegenüber dieser Zeitung, fiel ihm ein Lkw mit Hamburger Kennzeichen auf, der massenhaft Schweinebäuche von einer Baustelle holte. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass der zum Bauhof des Bezirks gefahren ist“, so Kempes Verdacht. Und der scheint nicht unbegründet, wie das Bezirksamt jetzt eingestehen musste. 

 

65 Quadratmeter wurden verkauft. Irgendwo

 

Denn Kempe stellte eine kleine Anfrage, die Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD) in Zusammenarbeit mit der für die Gehwegsanierung betrauten städtischen Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung (STERN) beantwortete. In der jetzt veröffentlichten Antwort wird deutlich, dass es bei den Schweinebäuchen mit der Behutsamkeit wohl etwas gehapert hat. Konkret geht es in der Anfrage um den Abschnitt südlich der Danziger Straße. Die Stern hatte mit dieser Baustelle ein Planungsbüro beauftragt, wie auch schon öfters zuvor in der Kollwitzstraße. „Auf die Wiederverwendung einer größtmöglichen Menge an historischen Granitplatten wurde von Seiten der Planer genauestens geachtet“, erklärte dazu nun Bürgermeister Köhne. „Nicht zuletzt auch deshalb, weil von Anwohnern immer wieder der sach- und fachgerechte Umgang mit diesen Platten angezweifelt wurde.“

Wie viele Granitplatten wiederverwendet werden können, wird vor der Sanierung in einem „Leistungsverzeichnis“ vermerkt. Dabei habe es laut Köhne bisher nie Probleme gegeben. Bisher. Bei der jetzt in Rede stehenden Baustelle „wurde das Leistungsverzeichnis jedoch ohne jede Ankündigung durch das Ingenieurbüro dahingehend geändert, dass nahezu die gesamte Menge der Granitplatten zur freien Verwendung abgefahren werden sollte“. Und das sei dann auch geschehen. Rund 65 Quadratmeter der wiederverwendbaren Platten seien abgeholt und später verkauft worden, so Köhne. Nur 35 Quadratmeter hätten gerettet werden können. Eine Stern-Mitarbeiterin habe den Abtransport verhindert. Die verbliebenen Schweinebäuche seien im Abschnitt zwischen Sredzkistraße und Wörther Straße verbaut worden.

 

„Glaube nicht an einen Einzelfall“

 

Wo die anderen Steine sind, weiß im Amt kein Mensch. Nur, was das Ingenieurbüro damit gemacht haben könnte, davon hat man eine dunkle Ahnung. So sei seit kurzem bekannt, dass die Firma „Insolvenz angemeldet hat und im Vorfeld wohl erhebliche Personalprobleme hatte“, so Matthias Köhne. Die Stern hätte dies nicht gewusst. Wolfram Kempe stellt sich nun die Frage, man verzeihe das unglaublich schiefe Bild, ob die verschwundenen Schweinebäuche in der Kollwitzstraße nur die Spitze des Eisbergs sind? Nicht zuletzt wegen des Lasters aus Hamburg, den sah Kempe ja an einer anderen Baustelle in der Straße, „glaube ich nicht, dass es ein Einzelfall ist“. 

Jetzt will er eine neue Anfrage beim Bezirksbürgermeister einreichen. Unter anderem will Kempe wissen, wie die Stern recherchieren konnte, dass die Hälfte der abtransportierten Steine wiederverwendbar gewesen sein sollen, und zwar „im Nachhinein“, wie Bürgermeister Köhne erklärte. Kempe fragt außerdem, um welches Ingenieurbüro es sich handelt und wieviel es mit den Steinen eingenommen haben könnte. Bei der Stern war für Nachfragen niemand zu erreichen. Das Ingenierbüro ist namentlich nicht bekannt, konnte also nicht befragt werden. In der Kollwitzstraße ist derweil ein weiterer Haufen mit Schweinebäuchen zu besichtigen. Es sind zerbrochene, nicht mehr wiederverwendbare Steine.

 

 

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1 Kommentar

Ron 2. April 2019 at 18:20

Korrekterweise sollten die Platten nicht als Granit-Pflastersteine bezeichnet werden. Dann denkt man nämlich sofort an Kopfsteinplfaster oder Kleinsteinpflaster. Es sind eben Großgranitplatten mit gewölbter Unterseite. Teilweise 100 bis 120 cm in der Breite, historisch sehr wertvoll.

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