Brandstifter war Workaholic

von Thomas Trappe 26. Januar 2012

Am Landgericht begann heute der Prozess gegen den Kinderwagen-Zündler. Der Angeklagte bestreitet, dass er aus Schwabenhass gehandelt habe. Und berichtet von seiner 100-Stunden-Arbeitswoche.

Als die ersten Berichte über die angezündeten Kinderwagen in Prenzlauer Berg zu lesen waren, war Maik D. einer der Ersten, die sie zu Gesicht bekamen. Nicht, dass er besonders Wert darauf gelegt habe, sagt er, aber er saß nun mal an der Quelle. Jeden Morgen, so gegen drei Uhr, begann der 29-Jährige seine Runde, die ihn von Weißensee Richtung Kollwitzplatz führte. Im Bollerwagen viele Packen Zeitungen, darunter die meisten der lokalen, die sich im vergangenen Sommer intensiv mit den Bränden beschäftigten. Ein kurzer Blick auf die Berichte, dann ab damit in den Briefkasten. Und manchmal war es dann so weit, dass Maik D. seinen mitgebrachten Brandbeschleuniger auspackte und mit Hilfe eines Feuerzeugs einen Kinderwagen in Brand steckte.

Maik D. ist geständig. Insgesamt elf Brände werden ihm zur Last gelegt, am heutigen Donnerstag begann vor der 11. Strafkammer des Berliner Landgerichts der Prozess gegen ihn, es werden ihm Brandstiftungen vorgeworfen, bei denen er wissend die Gesundheit und das Leben von Menschen aufs Spiel setzte. Die Anklageschrift des Staatsanwalts las sich dabei wie ein Verzeichnis der besten Adressen des Kiezes, fast immer in der Nähe des Kollwitzplatzes. 

 

Mit Amphetaminen wach gehalten

 

Die erste Welle an Bränden gab es zwischen dem 15. und dem 23. Juli. In der Saarbrücker, der Belforter Straße, in der Husemann- und der Kollwitzstraße und der Schönhauser Allee brannte es, teilweise zogen sich später die Verrußungen bis in die vierte Etage. Nach einer kurzen Pause – Maik D. hatte Urlaub  –  kamen zwischen dem 15. und dem 19. August die nächsten Brände hinzu. Betroffen waren diesmal die Pasteur-, die Wins- und die Bötzowstraße. Dann wurde Maik D. nach einer Observierung und damit nach frischer Tat festgenommen.

Dass Maik D. aus Langeweile zündelte, kann nach dem ersten Verhandlungstag ausgeschlossen werden. Denn wenn er etwas nicht hatte, war es offenbar ein Überfluss an Freizeit. Nach dem Zeitungssortieren und -austragen arbeitete der Neuköllner D. fast täglich auf Baustellen im Wedding oder in Moabit, schwarz. An vier Tagen in der Woche hatte er zudem einen dritten Job, zwei Stunden trug er dann ein Pankower Amtsblatt aus. Meist habe er damit von Mitternacht bis mindestens 16 Uhr gearbeitet und bestenfalls drei Stunden Schlaf bekommen. Um noch ein wenig Freizeit genießen zu können und die Arbeit durchzustehen, habe er sich dabei regelmäßig mit Amphetaminen auf den Beinen gehalten. So sei er auf ein Nettoverdienst von knapp 1800 Euro gekommen. 

 

„Ich kam auf keinen grünen Zweig“

 

Vor Gericht wirkte der Angeklagte keineswegs wie ein blindwütiger Gewalttäter, der bereitwillig Leben aufs Spiel setzen mochte. Dass er genau das getan habe, verwundere ihn selbst am meisten. Seit seiner Festnahme sitzt D. in U-Haft, auch in dieser Zeit verfolgte er intensiv die Berichte über ihn und seine mutmaßlichen Motive. Und ging bei seiner Erklärung direkt darauf ein: Nein, mit Schwabenhass, wie oft behauptet, habe das alles wenig zu tun. „Ich wusste ja gar nicht, wem die Kinderwagen gehören“, sagte er. Auch auf die Frage des Richters, das in Brandsetzen ausgerechnet von Kinderwagen sorge für besonderes Erstaunen, mochte D. eher pragmatisch erklären. Es gab kaum andere Dinge im Flur, die brennbar waren. Einmal zündete er ersatzweise eine Bananenkiste an.

Die Aussagen widersprechen freilich dem, war D. kurz nach seiner Festnahme der Polizei erklärte. Damals gab er an, dass ihn soziale Verwerfungen im Kiez zum Feuerzeug greifen ließen. „Es kotzt mich einfach an, dass die Reichen dort die Armen verdrängen“, zitierte der Staatsanwalt aus dem Vernehmungsprotokoll. Zudem sei danach ergänzt worden, „dass mich die Schwaben ankotzen“. Heute will D. von dieser Interpretation seiner Tat nichts wissen. „Ich war damals einfach an einem Punkt, an dem mich mein ganzes Leben überfordert. Ich kam einfach auf keinen grünen Zweig.“ 

 

Mit Wassereimer bedrängt

 

Auch von einem Vorfall, der sich anderthalb Jahre zuvor in Prenzlauer Berg abgespielt habe – Maik D. arbeitete seit 2000 als Zeitungsausträger  –, erzählt der Angeklagte nicht selbst, sondern der Staatsanwalt. So erinnerte sich D. bei der Vernehmung an einen Vorfall im Kiez besonders gut. Als er damals gerade seine Runde abgeschlossen hatte, wurde er von einem Mieter aus dem Fenster ermahnt, seine Arbeit leise zu verrichten. Um seine Forderung zu unterstreichen, habe der Mieter dann noch einen Eimer Wasser über den Zeitungsausträger ausgeschüttet. Doch, so der der Angeklagte, habe dies nichts mit der Tatmotivation zu tun. Genauso wenig wie Sozialneid.

Der vorsitzende Richter wies während der Verhandlung Maik D. immer wieder darauf hin, dass er mit seinen Brandstiftungen viel riskierte und nur mit Glück die meisten Verletzungen betroffener Mieter leichter Natur blieben, Rauchvergiftungen und kleine Brandwunden zum Beispiel. Erklärungen konnte auch dies nicht aus dem Angeklagten herauslocken. Es tue ihm leid, wiederholte er, er wolle, wenn er das Gefängnis wieder verlassen könne, „neu anfangen“. Wann das soweit sein wird, ist in der kommenden Woche klar. Dann soll am Montag das Urteil gesprochen werden.

 

 

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