Güterbahnhof Greifswalder Straße

Chronologie des Stillstands

von Kristina Auer 19. März 2018

Sieben Jahre währt das Ringen um die Zukunft am alten Güterbahnhof an der Greifswalder Straße. Pläne gab es viele, passiert ist nichts. Die Geschichte eines ewigen Streits.


Wir schreiben das Jahr 2018 nach Christus und am ehemaligen Güterbahnhof Greifswalder Straße herrscht Ödnis: Hier ein rostiger Wagen, dort ein paar Äste, viele Zäune, Graffiti, steiniger Boden, Trümmer. Zweieinhalb Hektar groß ist das Gelände zwischen Lilli-Henoch-Straße und S-Bahn-Trasse, die Parkplätze eingenommen.

Wie kann es bei aller Platznot sein, dass ein so großes Gebiet inmitten von Prenzlauer Berg seit Jahren im Dornröschenschlaf vor sich hin gammelt und in seinem jetzigen Zustand überhaupt niemandem nutzt?  Wir widmen dieser Frage eine Themenwoche Güterbahnhof Greifswalder Straße. Den Auftakt macht die Chronologie dessen, was in den letzten sieben Jahren am Güterbahnhof – ähm, nicht – passiert ist:

 

2011

 

September: Kurz vor den Berlin-Wahlen bringt die Grünen-Fraktion in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) einen Antrag mit dem Titel „Flächen des ehemaligen Güterbahnhofs Greifswalder Straße für den Bezirk sichern“ ein. Linke und SPD zeichnen den Antrag mit. Der Bezirk möge prüfen, inwiefern es Bedarf an Flächen für Schule, Sport und Natur gebe und was der Kauf des Grundstücks kosten könnte, heißt es darin.

Das Problem: Die Bahn hat das Gelände längst verkauft, und zwar an die Bahngelände Greifswalder Straße GmbH, deren einer Geschäftsführer der Investors Christian Gérôme ist. Beim Eisenbahn-Bundesamt hat die Bahn schon im Januar die Befreiung des Geländes von Bahnbetriebszwecken beantragt, die im Juni genehmigt wurde. Das geht aus einer Anfrage der heutigen Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) im Berliner Abgeordnetenhaus hervor.

Eine Bauvoranfrage des neuen Eigentümers für den Bau eines Supermarkts wird vom Bezirk abgelehnt, ebenso wie eine erste Anfrage für eine Wohnbebauung. Der Grund: Für eine Planung jeglicher Art bräuchte es zunächst einen Bebauungsplan.

 

2012

 

März: Die Pankower BVV beschließt einen Antrag von SPD und Grüne zur Aufstellung eines „integrierten Entwicklungskonzepts für das Gebiet Thälmannpark“. Ziel ist die „ganzheitliche, an öffentlichen und städtebaulichen Handlungsbedarfen orientierte Entwicklung des Quartiers“. Die BürgerInnen sollen mit öffentlichen Veranstaltungen in die Entwicklung eingebunden werden.

April: Wir berichten erstmals von geplantem Wohnungsbau auf dem Areal am ehemaligen Güterbahnhof Greifswalder Straße. Der damalige Baustadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) erzählt uns von „informellen Vorgesprächen“ zu den Plänen des Eigentümers. Der Vorsitzende des Stadtentwicklungsausschusses hat bereits die Wörter „Townhouse“ und „Hochhaus“ vernommen. Investor Gérôme spricht von „günstigem Wohnraum für Familien“.

November: Die Bahngelände Greifswalder Straße GmbH stellt eine Bauvoranfrage für den Bau von zwei Hochhäusern und 49 Townhäusern auf dem Gelände am ehemaligen Güterbahnhof. Diese wird wiederum mit der Begründung abgelehnt, dass zunächst ein Bebauungsplan für das Areal aufgestellt werden muss.

Der Bezirk schreibt das Gutachten zum im März beschlossenen Entwicklungskonzept öffentlich aus und erteilt den Zuschlag nach sechs Bewerbungen an das Büro Stattbau GmbH. Wir befürchten derweil, dass das Thälmann-Areal bis spätestens 2020 durchgentrifiziert sein wird. Wenn wir wüssten…

Dezember: Die Anwohnerinitiative Ernst-Thälmann-Park gründet sich. Sie setzt sich fortan für die Beteiligung der AnwohnerInnen an den Planungen im Thälmannpark-Areal ein. Was die Flächen am ehemaligen Güterbahnhof betrifft, plädiert sie für die Schaffung von Grünflächen und den Erwerb des Grundstücks durch die öffentliche Hand.

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2013

 

Februar: Die Stattbau GmbH lädt zur Auftaktveranstaltung für die „Voruntersuchung Thälmannpark“. Es soll im Frühjahr und Spätsommer zwei öffentliche Werkstattgespräche mit AnwohnerInnen geben. Im Oktober sollen die Ergebnisse präsentiert werden.

Juni: Die erste Bürgerwerkstatt findet unter der Leitung der Stattbau GmbH statt. Die Anwohnerinitiative Ernst-Thälmann-Park fordert „ein Moratorium für weitere Grundstücksverkäufe der Deutschen Bahn, eine Erweiterung des Untersuchungsgebiets und die Schaffung von mehr Grünflächen“.

August: Die Anwohnerinitiative  startet die Kampagne teddyzweinull. Die geforderte Erweiterung des Untersuchungsgebiets auf die Flächen östlich der Greifswalder Straße wird angenommen, allerdings soll hier die Bebauung mit bis zu 1 500 Wohnungen in Erwägung gezogen werden.

Oktober: Das zweite angekündigte Werkstattgespräch ist ausgefallen. Stattdessen findet eine Podiumsdiskussion statt, die mit der Ergebnispräsentation gleichgesetzt ist und für die Anwohner erwartungsgemäß unzufriedenstellend verläuft. Die Initiative beschwert sich mit einem offenen Brief und fordert eine bessere Bürgerbeteiligung.

Dezember: Die Ergebnisse des Beteiligungsverfahrens im Rahmen der Voruntersuchung Thälmannpark werden im Bezirksamt ausgelegt. War’s das dann mit der Beteiligung? The Anwohnerinitiative is not amused.

 

2014

 

Februar: Die Wohnsiedlung im Ernst-Thälmann-Park wird unter Denkmalschutz gestellt. Für mögliche Pläne auf den Flächen des ehemaligen Güterbahnhofs oder den Parkplätzen an der Lilli-Henoch-Straße hat der Denkmalstatus keine Auswirkungen.

März: Die Voruntersuchung Thälmannpark wird auf 133 Seiten veröffentlicht. Die Untersuchung gibt als Potential für Wohnungsbau an: 60 Wohnungen an der Ecke Danziger Straße Prenzlauer Allee, 80 Wohnungen an der Ella-Kay-Straße, 120 Wohnungen auf den Parkplätzen an der Lilli-Henoch-Straße, 280 Wohnungen auf dem Bahnhofsgelände nördlich der Lilli-Henoch-Straße und 1500 Wohnungen auf dem Gewerbegebiet entlang der Gleise östlich der Greifswalder Straße. Macht zusammen 2200 Wohnungen im gesamten Untersuchungsgebiet. Das beauftragte Büro nennt das eine „behutsame Ergänzung“ zum bestehenden städtebaulichen Ensemble.

Juli: Die Anwohnerinitiative bringt über Piraten- und Linksfraktion einen Bürgerantrag in die BVV ein. Darin wird die Ausweitung des Parks zu einem durchgehenden Naherholungsgebiet von Anton-Saefkow-Park bis zum Planetarium an der Greifswalder Straße gefordert. Außerdem will die Initiative, dass der Bezirk dem Investor das Land abkauft. Der will allerdings gar nicht verkaufen. Der Antrag wird in den Stadtentwicklungsausschuss verwiesen und schließlich nach der Beratung in der BVV-Tagung im Oktober abgelehnt.

November: Das Bezirksamt gibt der BVV einen Beschluss über die „Ergebnisse des Integrierten Entwicklungskonzepts für das Gebiet Thälmannpark“ zur Kenntnis. Darin enthalten: Die Entscheidung, eine Machbarkeitsstudie für die städtebauliche Entwicklung der Flächen und die Erweiterung der Grundschule am Planetarium umzusetzen.

 

2015

 

Februar: Für einen Moment sieht es so aus, als würde die Planung um den Güterbahnhof anziehen: Im Stadtentwicklungsausschuss steht die Vorinformation über einen Aufstellungsbeschluss auf der Tagesordnung. Der Bezirk hat also die Absicht, einen Bebauungsplan aufzustellen, der den Weg zum Baurecht frei macht.

März: Das Stadtentwicklungsamt teilt gegenüber der Senatsverwaltung die Absicht mit, den Bebauungsplan 3-61 am Thälmannpark aufzustellen. Ziel is die „Entwicklung eines Allgemeinen Wohngebietes“. Dazu gehören neben Wohnungsbau auch Grünflächen, ein Wegesystem, Kita, Schule, Turnhalle und Sportplatz. Außerdem muss der Flächennutzungsplan des Landes Berlin geändert werden, damit der ehemalige Güterbahnhof nicht mehr als Bahnfläche sondern als Bauland qualifiziert wird.

Im selben Monat bringt die Anwohnerinitiative den ersten Einwohnerantrag in der Geschichte Pankows in die BVV ein. Über tausend Unterschriften wurden für den Antrag gesammelt, der sich gegen die Bebauung der Parkplätze an der Lilli-Henoch-Straße wendet. Der Antrag wird zunächst im Ausschuss diskutiert.

November: Es ist soweit – die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie werden im Stadtentwicklungsausschuss vorgestellt. Die Rede ist von rund 600 neuen Wohnungen, 200 soll die Gewobag auf den landeseigenen Parkplätzen an der Lilli-Henoch-Straße bauen, 400 sollen auf dem Boden von Gérômes GmbH entstehen. Ein viertel der Wohnungen sollen gefördert und zum „Mondniedrigpreis“ von 6,50 Euro pro Quadratmeter vermietet werden.

 

2016

 

März: In der BVV wird heftig um den Thälmannpark gestritten. Der Einwohnerantrag der AI Thälmannüark wird in der BVV abgelehnt. Die SPD stellt den Antrag, einen städtebaulichen Wettbewerb für die Entwicklungen am Güterbahnhof auszurufen. Drei BVV-Mitglieder, ein Mitglied der Anwohnerinitiative und zwei Mitglieder der städtischen Wohnungsbaugesellschaften sollen Stimmrecht in der Jury bekommen. Voraussetzung für den Wettbewerb soll die soziale Durchmischung des neuen Wohngebiets nach dem Berliner Modell sein – das bedeutet ein Viertel der Wohnungen werden Sozialwohnungen.

April: Das gerade veröffentlichte Bezirkliche Wohnbaukonzept bestätig das Potential von rund 600 Wohnungen auf dem Areal zwischen Thälmannpark und S-Bahn-Gleis westlich der Greifswalder Allee. Die Grundstücke östlich der Greifswalder Straße mit einem Potential von 1500 Wohnungen werden als Dissens-Flächen ausgewiesen. Ein Bebauung dort ist somit vorerst vom Tisch. Die Realisierung soll mittelfristig bis 2020 möglich sein. Wir können uns ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Juni: Der Antrag der SPD für einen städtebaulichen Wettbewerb wird angenommen, gleichzeitig stellt sich heraus, dass der Bezirk trotzdem keinen städtebaulichen Wettbewerb plant – Stadtrat Kirchner will an der Machbarkeitsstudie vom November festhalten. Gegen die aber rührt sich Kritik aus mehreren Richtungen – sie sei ungenau und nicht überzeugend.

August: Wahlkampf: Der Bürgermeisterkandidat der Pankower Linken Sören Benn schlägt sich beim Vor-Ort-Termin mit uns auf die Seite der Anwohnerinitiative. Man müsse überlegen, was stadtentwicklungspolitisch Sinn ergebe, anstatt vorab Zahlen für geplanten Wohnungsbau festzusetzen.

September: Vier Tage vor der Wahl beschließt die BVV „Prioritäten für die Entwicklung von Wohnungsbaustandorten im Bezirk Pankow“. Nicht dabei: Der ehemalige Güterbahnhof Greifswalder Straße. Die Wahl am 18. September mischt das Kräfteverhältnis neu: Die Linken werden stärkste Kraft, Sören Benn wird Bezirksbürgermeister und Jens-Holger Kirchner verlässt den Bezirk und wird Staatssekretär für Verkehr. Die rot-rot-grüne Zählgemeinschaft im Bezirk bekennt sich trotzdem zu dem Interesse, am Thälmannpark Wohnungen zu bauen.

Dezember: Das Bezirksamt berichtet analog zum BVV-Beschluss vom September, dass „die Entwicklung dieses Bereiches für den Wohnungsbau zunächst nicht weiter verfolgt“ werden soll. Die Planung soll bis zu einem neuen Beschluss ruhen.

 

2017

 

Januar: Die AI Thälmannpark hat wieder Unterschriften gesammelt und bringt einen zweiten Einwohnerantrag in die BVV ein. Der Name ist Programm: Planverfahren Grünzug. Der Antrag fordert einen B-Plan für das Areal, der Wohnbebauung verhindert und stattdessen ein Erholungsgebiet festsetzt. Der Antrag wird in den Ausschuss verwiesen und knapp ein halbes Jahr später abgelehnt, weil er Wohnungsbau grundsätzlich ausschließt.

März: Es gibt neue Schadstoffgutachten zum giftigen Boden am Thälmannpark, auf dem einst ein Gaswerk stand. Der Boden sei unter anderem auf dem Gebiet des geplanten Schulcampus „mit schadstoffhaltigen Abfällen verfüllt, unter anderem Pak und Cyanide“, heißt es von Bezirksstadtrat Kuhn. Gebaut werden soll trotzdem – nur halt lieber nicht so tief.

Juni: Die Zählgemeinschaft beschließt neue Planungsziele am Thälmannpark. Es soll nun erstmal nur der Wohnungsbau auf den landeseigenen Flächen angegangen werden, heißt auf den Parkplätzen am Thälmannpark. Dort sollen bis zu 120 Wohnungen entstehen. Schulcampus und Grünzug sollen auch kommen.

September: Das Bezirksamt berichtet: „Das Gesamtkonzept unter Einbeziehung der privaten Flächen am Güterbahnhof Greifswalder Straße soll unter intensiver Beteiligung aller Akteure im Gebiet, insbesondere der Bürgerinnen und Bürger erarbeitet werden.“ In diesem Zusammenhang soll auch nochmal überprüft werden, ob ein städtebaulicher Wettbewerb eine gute Idee ist.

Oktober: Das Bezirksamt betont nochmal, dass es ein Gesamtkonzept geben muss, bei dem auch die privaten Flächen am Güterbahnhof einbezogen werden. Es werde außerdem gerade ein geeignetes Beteiligungsformat ausgearbeitet.

 

2018

 

Januar: Stadtrat Kuhn berichtet auf Anfrage: Der Planungsrahmen vom Juni 2017 kann so nicht durchgeführt werden. Der Grund: Baurecht nach §34 BGB, also ohne Bebauungsplan, ist nicht möglich. Ein Bebauungsplanverfahren, das die privaten Flächen am Güterbahnhof ausschließt, macht Kuhns Planungsexperten zufolge keinen Sinn. Auch die Senatsverwaltung habe dieser Einschätzung zugestimmt. Ergebnis: „Der weitere Planungsprozess ist zur Zeit ausgesetzt.“

 

Herzlichen Glückwunsch, Du hast es tatsächlich bis ans Ende des Artikels geschafft! Dafür hast Du ein Lob verdient! Außerdem hast Du den Crashkurs „Wie geht Bezirkspolitik?“ mit Bravour bestanden!! Du möchtest wissen, wie es nun weitergeht? Wir wollen Dich nicht auf die Folter spannen: Springe einfach zurück an den Anfang und lies den ersten Satz dieses Artikels fünf Mal hintereinander. Über alles, was bis mindestens 2021 noch am Güterbahnhof Greifswalder Straße passieren wird, solltest Du dann Bescheid wissen.

 

In der Themenwoche Güterbahnhof Greifswalder Straße widmen wir uns dem umstrittensten Bauprojekt von Prenzlauer Berg. Das hier ist Teil 1.

Teil 2: Was Ihr tun würdet – die Entscheider können sich nicht einigen, also haben wir Euch gefragt, was am Güterbahnhof passieren soll.

Teil 3: Wer will hier eigentlich was ? – Versuch einer Übersicht über unterschiedliche Positionen.

Teil 4: Blockieren und schweigen – warum ich mir meine nächste Wohnung irgendwo am Stadtrand suchen muss.

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